Schleppende Impfkampagne in Berlin: Nach dem Sommer kommt das Delta
Die Impfkampagne stockt, warnt der Chef des Berliner Hausärzteverbands. Dabei müsse man jetzt schneller werden, um eine vierte Welle zu verhindern.
Problematisch sei dabei vor allem, dass die Impfkampagne langsam ins Stocken gerate. „Da ist eine gewisse Impfmüdigkeit“, konstatiert der Hausarzt mit eigener Praxis in Zehlendorf. Nachdem im Juni, als die Priorisierung aufgehoben wurde, der Andrang zunächst groß war, kämen nun viele nicht zum vereinbarten Termin. In seiner Praxis fänden etwa 20 Prozent von 100 bis 120 gebuchten Impfterminen pro Woche nicht statt, sagt Kreischer.
„Viele sagen, sie wollen erst mal abwarten“, sagt der Mediziner. „Offenbar fällt es gerade schwer, die Gefahr angesichts der niedrigen Inzidenz ernst zu nehmen.“
Das könnte ein Trugschluss sein, wie der Blick über den Berliner Tellerrand hinaus zeigt. In Großbritannien etwa, wo der Anteil der als besonders ansteckend geltenden Delta-Variante 90 Prozent ausmacht, steigen die Infektionszahlen seit einigen Tagen wieder massiv – und es kommen auch wieder mehr Menschen mit schwereren Verläufen in den Krankenhäusern an. Und das, obwohl bereits rund 60 Prozent der BritInnen zweimal geimpft sind. Zum Vergleich: In Berlin haben laut Daten der Gesundheitsverwaltung erst 33,8 Prozent der BerlinerInnen den vollen Impfschutz. 53,8 Prozent haben wenigstens eine Impfung erhalten.
Drei Prozent Delta in Berlin
Zwar ist der Anteil der Delta-Variante in Berlin noch relativ gering: Laut Robert Koch-Institut lag er zuletzt bei drei Prozent. Allerdings sind die Daten relativ alt, von Mitte Juni. Der Bericht erscheint wochenweise, man erwarte die aktuellen Zahlen für den heutigen Mittwochabend, heißt es aus der Pressestelle des RKI. Mit Nachmeldungen sei überdies grundsätzlich „zu rechnen“.
RKI-Chef Lothar Wieler warnte am Montagabend auf der Gesundheitsministerkonferenz der Länder zudem, dass die Delta-Variante bundesweit bereits mindestens 36 Prozent der Neuinfektionen ausmache – vermutlich sogar, mit Blick auf die jetzt erwarteten frischen Zahlen, sogar noch höher liege.
In den Berliner Impfzentren entwickelt sich der Wirkstoff von AstraZeneca derweil weiter zum Ladenhüter: „Die angebotenen Termine mit diesem Impfstoff werden leider nicht so gut wahrgenommen“, sagt Regina Kneiding, Sprecherin des DRK Berlin, das die sechs Berliner Impfzentren koordiniert. Tatsächlich konnte man am Dienstagvormittag im Impfzentrum Messe Berlin, wo AstraZeneca verimpft wird, kurzfristig Termine bereits für den Mittwochmorgen bekommen.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt den Impfstoff nur für Menschen ab 60 Jahre, alle anderen können sich auf eigenes Risiko mit AstraZeneca impfen lassen.
Bei den Terminen mit Biontech sehe es anders aus: „Da verimpfen wir quasi alles, was wir haben, und könnten auch noch mehr tun, wenn mehr Impfstoff da wäre“, sagt Kneiding der taz.
Das bestätigt auch Hausarzt Kreischer: „Wir brauchen mehr Biontech in den Praxen.“ Teilweise bekomme er pro Woche nur eine Dose mit sechs Impfungen für die Erstimpfungen, das sei zu wenig – zumal auch bei ihm AstraZeneca sehr wenig nachgefragt sei.
Angesichts der schleppenden Impfkampagne und der Gefahr durch die Delta-Variante wird auch die Diskussion über eine Impfempfehlung für Jugendliche wieder drängender: „Die Stiko ist da vielleicht bisher etwas übervorsichtig“, sagt Hausärzteverbandschef Kreischer. Die Impfkommission empfiehlt den Biontech-Wirkstoff bisher nur für Jugendliche ab 12 Jahren, die Risikogruppe sind. Eltern kämen bisher mit ihren Teenagern auch nur „in Einzelfällen“ zum Impfen in seine Praxis.
Deutlicher als der Hausärzteverband wurde Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne): „Die Ständige Impfkommission muss überdenken, ob sie nicht aufgrund der Delta-Variante eine Impfempfehlung für Jugendliche ausspricht“, sagte sie am Dienstag. Man dürfe nach den Sommerferien nicht wieder die Schulen schließen, damit „Erwachsene entspannt Pizza essen gehen können“.
In Nordrhein-Westfalen fordert eine Elterninitiative angesichts der bereits wieder aufkommenden Diskussion über möglicherweise erneutes Homeschooling im Herbst die unbürokratische Anschaffung von Luftfiltergeräten für alle Schulen. Auch in Berlin erfolgt die Ausstattung bisher nur bedarfsbezogen über Abfragen in den Schulen.
Insgesamt will das Land Berlin bis zum neuen Schuljahr rund 8.000 Luftfiltergeräte für 14,6 Millionen Euro anschaffen – das bleibe allerdings nur eine „flankierende Maßnahme“, hatte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) betont: Man setze weiterhin aufs Lüften. Dabei werden es auch bleiben, trotz der Dynamik der Delta-Variante, hieß es am Dienstag auf Nachfrage aus der Bildungsverwaltung. Das „Lüftungsmanagement“ sei „das Mittel der Wahl zur bestmöglichen Reduzierung virushaltiger Aerosole“, so ein Sprecher. Dieses Konzept werde man in den Sommerferien nicht nochmal in Frage stellen.
Ramona Pop, Wirtschaftssenatorin
Im übrigen habe Berlin „im Vergleich mit anderen Bundesländern recht viele Luftreinigungsgeräte angeschafft“, betonte der Sprecher weiter. Und „bis auf eine kleine Restmenge“ seien die Geräte auch bereits an die Schulen ausgeliefert worden.
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) will indes die Berliner Impfzentren Ende September nicht schließen, sondern den Betrieb lediglich herunterfahren. Das hatte tags zuvor auch die Gesundheitsministerkonferenz beschlossen. Angesichts einer im Herbst möglicherweise nötigen dritten Impfung sei es aber wichtig, die Kapazitäten auch schnell wieder hochfahren zu können, betonte Kalayci.
Auch Hausarzt Kreischer sagt: „Wir müssen schon jetzt an eine dritte Impfung im Herbst denken.“ Angesichts einer besseren Schutzwirkung gegen die Delta-Variante mache es dann Sinn, zuvor mit Biontech Geimpfte zum Beispiel mit AstraZeneca zu impfen. Das dürfte allerdings noch mal eine Kommunikationsaufgabe für sich werden.
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