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Schau zu Emma Jungs Malerei in ZürichSie malen sich ins Unbewusste

Das Cabaret Voltaire in Zürich entdeckt psychoanalytische Bildstudien Emma Jungs, Gattin von C. G. Jung. Der wäre am 26. Juli 150 Jahre alt geworden.

Der Nabel der Welt: Ausstellungsansicht mit Rebecca Ackroyds „The World as I see it“ (Serie), 2022–fortlaufend Foto: Cedric Mussano/Courtesy: die Künstlerin

Leicht könnte man vorbei­gehen an dem sandfarbenen Haus. Das Cabaret Voltaire liegt im Zürcher Niederdorf, mitten im touristischen Zentrum, wo sich in schmalen Gässchen Boutiquen und Cafés aneinanderreihen. Von außen erinnert eine Marmortafel an der Wand zur Spiegelgasse, an das, was sich dort im Jahr 1916 zugetragen hat, eine nur wenige Monate andauernde Episode in der Geschichte des Gebäudes, die dieses aber weltberühmt gemacht hat: „In diesem Haus wurde am 5. Febr. 1916 das Cabaret Voltaire eröffnet und der Dadaismus begründet“.

Heute ist es an der Kunsthistorikerin Salome Hohl, den Geist von Dada lebendig zu halten, mit der Gegenwart in Beziehung zu setzen. Seit 2020 leitet sie als Direktorin das Haus, das vieles in einem ist: Künstlerkneipe, Bibliothek, Bühne und Ausstellungsraum. „Tage und Nächte“ heißt die aktuelle Sonderausstellung, die Werke der Psychoanalytikerin Emma Jung und der zeitgenössischen Künstlerin Rebecca Ackroyd zusammenbringt, in die inneren Welten von beiden hineinführt. Was Jungs Psychoanalyse und Dada verbindet? Das Unbewusste hervorholen wollen Beide.

Bekanntschaft mit Ackroyd, geboren 1987, hätte man im vergangenen Jahr während der Kunstbiennale in Venedig gemacht haben können. Surreal anmutende Skulpturen aus Kunstharz und Alltagsmaterialien sowie Malerei hatte sie dort auf ihre „Mirror Stage“ gebracht. Im Winter folgte eine Einzelausstellung in der Kestner Gesellschaft in Hannover. Für die Zeichnungen, Malereien, Gedichte und weiteren Papierarbeiten Emma Jungs aber ist es eine Premiere. Nie zuvor wurden Werke Jungs irgendwo in einer Ausstellung gezeigt.

Jung, geboren 1882, gestorben 1955, war sie die Frau von Carl Gustav Jung. Sie so einzuführen, fühlt sich nach dem Besuch von „Tage und Nächte“ ebenso notwendig wie falsch an. Dass sie weit mehr war als „die Frau von“, kommuniziert diese Schau erfolgreich. Andererseits ist es gerade spannend, Emma Jungs Arbeit, ihre Kosmologie, ihre symbolhaft aufgeladenen Bilder in Abgrenzung zu dem nicht unumstrittenen C. G. Jung zu betrachten, dessen Geburtstag sich am 26. Juli zum 150. Mal jährt.

Die Ausstellung

„Tage und Nächte“. Cabaret Voltaire, Zürich. Bis 2. November

Emma Jungs Werk wird gerade erst neu entdeckt, nicht nur im Zürcher Niederdorf: Bei Princeton University Press erschien kürzlich eine erste umfassende Publikation über das Schaffen Jungs, „Dedicated to the Soul“ (2025). Jungs erste Arbeit, das kann man einer lesenswerten Broschüre zur Ausstellung entnehmen, war eine psychologische Deutung des Märchens „Die zwei Brüder“.

Seit 1910 war sie Teil der Zürcher Gruppe der Psychoanalytischen Vereinigung, später umbenannt in „Verein für Analytische Psychologie“, ab 1916 erste Präsidentin des von C. G. Jung angeregten Psychologischen Clubs. Im Fokus ihres beruflichen Interesses lag vor allem der Prozess der „Individuation“, der Entwicklung eines Menschen zur eigen- und selbstständigen Persönlichkeit also, was sich aus vielen ihrer Zeichnungen und Malereien herauslesen lässt.

Vulkan unterm Sternenhimmel

Vor Ort ist es noch interessanter, diese direkt zu studieren. Einem Kind in blauem Kleid begegnet man da unter anderem, das an eine schwere Holztür klopft oder dunklen Krähen gegenübersteht, einer Schutzmantelmadonna, die jedoch keine Menschen, sondern einen Baum voller Vögel und blühende Blumen unter sich birgt, einem Vulkan unterm Sternenhimmel, aus dem tiefblaue Lava fließt, Mauern und Gitterstäben, einem Skorpion, der auf ein Kreuz blickt, sodass sich die Form eines Schwerts – des Grals? – ergibt, einer züngelnden Schlange, Ornamentalem, Planetarem, Abstraktem.

Als Kunst sind diese nicht entstanden, Jung zeichnete, malte, schrieb, um Zugang zu ihrem Unbewussten zu erlangen. So lesen kann man sie aber, Ähnlichkeiten zu Zeitgenossinnen wie Emma Kunz oder Olga Fröbe-Kapteyn ergeben sich da, oder auch zu Hilma af Klimt.

Ackroyd wiederum hat sich in Vorbereitung intensiv mit Jungs Skizzenheften und Notizbüchern beschäftigt, mit ihrem „Schwarzen Buch“ besonders, das Haus der Jungs in Küsnacht besucht, hat sich nicht ganz freiwillig sogar an ihre Praxis angepasst: Nachdem Ackroyd ihr Atelier in Berlin verloren hatte, konzentrierte sie sich wie Jung aufs kleine Format, hielt in Zeichnungen Träume und Visionen fest.

Wie Kommentare auf Jung ­wirken auch Ackroyds intensiv riechende Skulpturen aus Bienenwachs, zusammengesetzt aus Taucherköpfen, Füßen, Händen, Kameras, Sägeblättern. Scheinbar den Bezug zur ­Realität übernimmt schließlich ein Karussell gefundener Dias. Sie zeigen Knochenstrukturen oder den Weltraum, Dinge also, die zwar existieren, uns aber eher selten unter die Augen kommen.

„Was begraben in der Tiefe, wie mag es ans Licht gelangen?“, so beginnt ein Gedicht Jungs auf einem Bildzyklus von 1917/18. Was Emma Jungs erstaunliches Werk betrifft, ist die Ausstellung hoffentlich ein erster Schritt.

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