Satire im Wahlkampf: Die einzige ernstzunehmende Politik
Die verlogene Politik der AfD wird am besten mit Satire verarbeitet. Deshalb ist die „Spaßpartei“ Die PARTEI oft effektiver als die „ernsten“ Parteien.
Darf Politik Spaß machen? Und wenn ja, wieviel? Darf es so viel Spaß sein, wie man bei der Fernsehdebatte zwischen den beiden SpitzenkandidatInnen der zwei größten deutschen politischen Parteien haben konnte? Oder so viel, wie wenn die „Spaßpartei“ Die PARTEI Dutzende AfD-Gruppen kapert und (einmal wieder) offenlegt, wie rechtsradikal diese Partei eigentlich ist? Wer hat wohl an diesem Wochenende mehr WählerInnen überzeugt? Ziehen verhaspelte Plattitüden wie „Jenseits von richtig oder falsch gibt es einen Ort, dort treffen wir uns“ wie von SPD-Kandidat Martin Schulz mehr – oder doch eher „Ab jetzt werdet ihr von richtigen Menschen verarscht“, die Ansage des Satirikers Shahak Shapira an die AfD-Fans auf Facebook?
Die Aktion von Die PARTEI mag ein schadenfreudiger Streich zu sein scheinen, doch er ist ernsthafte Politik, der auf mehreren Ebenen den politischen Gegner entlarvt hat. Nun ist offengelegt, welche Hetze in den AfD-Gruppen betrieben wurde – was wohl mit dem Wissen, wenn nicht sogar der Billigung, von höchsten Parteifunktionären geschah. Der Coup zeigt, wie systematisch die rechte Partei Computerprogramme und Bots für ihre Kommunikation einsetzt – die die anderen Parteien nicht nutzen wollen. Und schließlich: Mit deren Übernahme hat Die PARTEI Teile der Kommunikationsinfrastruktur der AfD lahmgelegt. Es ist ein politischer Sieg, zu dem die anderen Parteien nicht in der Lage waren.
Das hat einen guten Grund: „Satire hat eine sehr niedrige Toleranz für Bullshit“. In einem Video des US-Mediums Vox argumentiert der Autor, dass satirische Nachrichtenshows in den USA derzeit besonders erfolgreich sind, weil Donald Trump Präsident sei. Während reguläre Journalisten beim Versuch, Trumps Lügen aufzudecken, diese wiederholen und aufwerten, könnten Satireshows gleich zum Punkt kommen und eine Lüge eine Lüge nennen. Dass Satire und hochwertiger Journalismus sich nicht ausschließen, zeigen Woche für Woche inzwischen ein halbes Dutzend US-Amerikanischer Sendungen: Von „The Daily Show“ über „Last Week Tonight“ bis „Full Frontal“ liefern sie ausgiebig recherchierte Analysen und und Hintergrundberichte, gespickt mit Witzen und sarkastischen Seitenhieben.
In Zeiten von Trump, Brexit oder AfD ist nun die Frage: Gilt das nur für den Journalismus? Wenn man notorische Lügner und Opportunisten Politik machen, können dann nur noch Satirepolitiker sie wirksam entlarven? Was hilft ein Untersuchungsausschuss gegen Trumps Behauptung, Millionen Menschen hätten in den USA illegal gewählt? Was hilft ein Faktencheck gegen die Lüge, dass die britische Regierung nach dem Brexit hunderte Millionen Pfund mehr in die Krankenversorgung fließen lassen werde? Was hilft die jahrelang andauernde Agonie darüber, ob die AfD jetzt endlich die Grenze zum Rechtsextremismus überschritten hat?
Tatsächlich sind aber nicht nur die Donald Trumps, die Boris Johnsons oder Alexander Gaulands dieser Welt ein Problem. Schon zuvor hatte sich eine Kultur des Doppelsprechs eingeschlichen, die den Rechten erst ihren Aufstieg ermöglichten. Kann man wirklich die Hartz-Gesetze einführen und sich noch „sozialdemokratisch“ nennen? Kann man das als „basisdemokratische“ Grüne? Kann man sich als Union wirklich auf die Philosophie des Nahost-Flüchtlings Christus beziehen, und über eine Obergrenze für Flüchtlinge aus Nahost diskutieren? Kann man das als den Menschenrechten verpflichtete Linkspartei?
Diese Widersprüche schreien geradezu danach, nicht ernsthaft sondern satirisch bearbeitet zu werden – und sie werden es: von der AfD. Die Tweets der Rechtspolitiker sind voller Ironie und Sarkasmus, ihre Wahlplakate auch. Der Tenor ist, dass „die da oben“ alle anderen belügen – deswegen ist AfD-Politikern inzwischen egal, was genau die Lügen sind. Im Zweifel ist einfach alles gelogen. Und so fühlen sie sich an keine Regeln gebunden. In der Politik ist die AfD erfolgreich, weil sie aktiv die Institutionen und Werte einer pluralen Demokratie missachtet, die den anderen Parteien wichtig sind. Die PARTEI kennt diese Achtung ebenfalls nicht und hat frecherweise die politische Auseinandersetzung an jene Stelle verlagert, die der AfD selbst wichtig ist, und wo sie keinen Spaß mehr kennt.
Wenn, wie bei dem TV-Duell am Sonntag, die Unterschiede zwischen den Parteien nicht mehr auf Anhieb erkennbar sind, wenn alle irgendwie für alles stehen wollen, ist eine Partei, die sich die „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ nennt, vielleicht die konsequenteste Wahl. Anders als die AfD geben ihre PolitikerInnen offen zu, Opportunisten und Populisten zu sein und anders als die anderen Parteien versuchen sie ihre inkonsistenten Positionen nicht mit PR-Sprech zu überdecken.
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