Sanierung von Wäldern im Rheinland: Bäume fällen, um Wald zu retten
Der Klimawandel gefährdet das Rheintal: Die Dürre rafft viele Buchen dahin. Damit sie nicht andere Bäume in die Tiefe reißen, werden sie gefällt.
Durch die extrem trockenen Sommer und den Klimawandel steht dieser Wald auf der Kippe. Axel Henke, Leiter des zuständigen Forstamts Boppard, spricht von einer „tickenden Zeitbombe“. Nahezu alle Buchen, darunter 30 Meter hohe Baumriesen, sind bereits abgestorben. Sie drohen bei Wind oder Starkregen umzufallen und Erde, Geröll und andere Bäume mit ins Tal zu reißen.
An diesem trüben Morgen wird der Verkehrslärm aus dem Rheintal vom Nebel verschluckt. Doch in 100 Meter Tiefe verlaufen hier wichtige Bahn- und Straßenverbindungen. Das Team von Landesforsten Rheinland-Pfalz versucht, mit Unterstützung von ExpertInnen der Universität Freiburg und einer Spezialfirma in einem Pilotprojekt diesen Wald zu sichern. Es scheint paradox. Um ihn zu erhalten, müssen zunächst in großem Stil Bäume gefällt werden.
150.000 Hektar in kritischem Zustand
Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden die „Niederwälder“ an den Hängen der Flusstäler in dieser Gegend genutzt und dadurch gleichzeitig gepflegt. Regelmäßig wurde Holz entnommen, bis zum Baumstumpf, „auf den Stock“ geschlagen“. So wuchsen keine Baumriesen, der Wald blieb Niederwald.
Axel Henke, Leiter Forstamt Boppard
Die meisten großen Bäume jedoch, die inzwischen gewachsen sind, weil sich die aufwendige forstliche Nutzung für die Waldbesitzer nicht mehr lohnte, sind infolge von Trockenheit und Erwärmung abgestorben und werden jetzt zur Gefahr. Die Wurzelbasis ist klein, die große Biomasse bringt den Baum aus dem Gleichgewicht. Die schweren Kronen neigen sich oft talwärts. Die Bäume gelten nicht mehr als „verkehrssicher“.
150.000 Hektar solcher Niederwälder in kritischem Zustand haben die Experten von Uni und Landesforsten identifiziert. Hier, am Hang über Rheinkilometer 560 und 561, wird in einem Pilotprojekt erprobt, wie ein solcher Wald saniert, gesichert und neu aufgeforstet werden kann.
Arbeit an Hängen gefährlich
Zwei Bergungsteams arbeiten an diesem Tag, eins unten im Hang und ein zweites oben an der Abrisskante, 100 Meter über dem Tal. Von oben sind die Arbeiten unten nicht einsehbar, eine der vielen spärlich bewaldeten Felskuppen versperrt die Sicht. Im Tal, an den auslaufenden Hängen, stehen die größten Baumleichen. Manche fallen bereits, wenn man an ihnen mit Seilwinden rüttelt, berichtet der Projektleiter.
Die Arbeit an diesen Hängen mit bis zu 90 Prozent Gefälle ist schwer und gefährlich. Während der Arbeiten ist der Bahnverkehr im Tal zwischen Oberwesel und Boppard eingestellt. Die Männer mit ihren Motorsägen sind zu ihrer Sicherheit angeseilt. Auch die Bäume werden mit Seilen fixiert, bevor die Sägen zum Einsatz kommen. Sie sollen kontrolliert fallen, möglichst quer zum Hang.
Ihre Baumstümpfe bleiben stehen, wo immer möglich. Auch die Wurzeln der abgestorbenen Bäume tragen noch zur Sicherung der Böden bei. Quer zum Hang werden Stämme und Äste abgelegt, die Baumstümpfe sichern sie gegen das Abrutschen. Im Idealfall entstehen so natürliche Terrassen, an denen sich Biomasse sammeln und zu Humus werden kann.
Mit den Baumfällarbeiten musste bis zum Ende der Vegetationsperiode gewartet werden, nicht nur wegen brütender Vögel. „Die Arbeiten wären noch viel gefährlicher, wenn die Bäume ihr Laub nicht verloren hätten, mit Blattwerk geraten sie noch viel leichter ins Rutschen“, sagt Forstamtsleiter Henke.
Wasserrinnen müssen frei bleiben
Zur Vorbereitung der Aktion wurde jeder einzelne Baum in diesem Abschnitt kartiert und markiert. Die mit grünen Strichen müssen fallen, weil sie tot oder talwärts geneigt sind. Gerade gewachsene und gesunde Bäume erhalten einen weißen Kringel; sie bleiben stehen, gleichsam als Sicherheitsanker. „Manchmal entdecken wir im Gelände Reste von Trockenmauern, mit denen unsere Vorfahren die Hänge terrassiert und so gesichert haben“, berichtet Henke und fügt hinzu. „Unsere Vorfahren wussten, was sie da machten. Es ist schade, dass dieses Wissen so schnell verloren gehen konnte.“
Die Wasserrinnen müssen frei bleiben, damit das Regenwasser ablaufen kann. Ein Teil der gefällten Bäume kann deshalb nicht vor Ort bleiben. Diese überzähligen Baumstämme werden aufwendig mit einer Seilbahn auf einem Schlitten in die Höhe gezogen. Das auf solche Forstarbeiten spezialisierte Unternehmen Marco Susenberg hat eine Seilbahn eingerichtet. Ein fixierter Seilkran bildet die Bergstation auf der Höhe. Ein zweiter Kranwagen mit Seilwinde übernimmt das geborgene Material und legt es auf dem Holzplatz ab.
Gleich daneben, in einer Baumschule, mit einem Bretterzaun vor Wildverbiss gesichert, wächst die Hoffnung für die Zukunft: Setzlinge von Flaum- und Zerreichen, die gegen Hitze und Trockenheit resistenter sind als Buchen und Linden. Nach Abschluss der Baumfällarbeiten sollen auf dem Kamm 200 kleine Bäume gepflanzt werden, auch mediterrane Steineichen. Wenn sie angewachsen sind, sollen ihre Samen im Tal Wurzeln ziehen und zu Bäumen heranwachsen, die der Trockenheit trotzen.
Auf fünf Hektar sammeln die ExpertInnen hier Erfahrungen, die bei der Sicherung großer, von der Trockenheit bedrohter Waldflächen nützen können. Das Problem: „Weder die kommunalen noch die privaten Waldbesitzer werden den erheblichen Aufwand dafür finanzieren können“, fürchtet Forstamtsleiter Enke. „Es werden öffentliche Förderprogramme nötig sein, um diese Waldflächen dauerhaft zu sichern“, sagt er der taz und fügt bedauernd hinzu: „Wir müssen uns wohl leider von den Wäldern mit ihren 30 Meter hohen Buchen verabschieden. Das ist deprimierend.“
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