Sänger Xavier Naidoo: Antisemitismusvorwurf war erlaubt
Durfte Xavier Naidoo als Antisemit bezeichnet werden? Das Bundesverfassungsgericht gibt einer Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung recht.
FREIBURG taz | Der Sänger Xavier Naidoo durfte von der Wissenschaftlerin Melanie Hermann als „Antisemit“ bezeichnet werden. Das Bundesverfassungsgericht hob zwei zivilrechtliche Urteile auf, mit denen Hermann die Wiederholung der Äußerung untersagt wurde. Dies habe ihre Meinungsfreiheit verletzt. Der Karlsruher Beschluss aus dem November wurde am Mittwoch veröffentlicht.
Melanie Hermann arbeitet bei der Amadeu-Antonio-Stiftung als Expertin für Verschwörungstheorien im Projekt „No world order“. Im Juli 2017 hielt sie in Bayern einen Vortrag über Reichsbürger. Auf eine Frage aus dem Publikum, wie sie denn Xavier Naidoo einschätze, sagte Hermann: „Ich würde ihn zu den Souveränisten zählen, mit einem Bein bei den Reichsbürgern. Er ist Antisemit, das darf ich, glaub ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar.“
Tatsächlich hatte Naidoo die Stiftung schon einmal abgemahnt, weil er als „Antisemit“ bezeichnet wurde, was 2015 mit einen gerichtlichen Vergleich endete. Damals ging es um eine Liedstrophe aus Naidoos Song „Raus aus dem Reichstag“, in dem von einem „Baron Totschild“ die Rede ist, der „den Ton angibt“. Die Stiftung sah darin eine Anspielung auf das antisemitische Stereotyp der jüdischen Rothschild-Bank, die mit dunklen Machenschaften im Hintergrund die Fäden ziehe.
Vor zwei Gerichten unterlag die Referentin
Auch diesmal klagte der Mannheimer Sänger und hatte beim Landgericht Regensburg und beim Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg mit seinen Unterlassungsklagen Erfolg. Naidoos Persönlichkeitsrecht überwiege die Meinungsfreiheit der Wissenschaftlerin.
Gegen die bayerischen Urteile erhob Hermann jedoch erfolgreich Verfassungsbeschwerde. Eine mit drei Richter:innen besetzte Kammer des Bundesverfassungsgerichts erklärte ihre Eingabe für „offensichtlich begründet“. Dabei monierten die Verfassungsrichter:innen zunächst, das OLG habe die Bezeichnung „Antisemit“ zu Unrecht als „mehrdeutig“ angesehen und dann die schlimmste Bedeutung unterstellt, nämlich dass Naidoo NS-Gedankengut vertrete und möglicherweise sogar bereit sei, Juden zu vernichten.
Eine solche Deutung sei jedoch „fernliegend“, so das Verfassungsgericht. Vielmehr habe Hermann Naidoo lediglich als eine Person bezeichnet, die den Reichsbürgern nahestehe und dabei auch antisemitische Inhalte weitertrage. Damit ist schon die Beeinträchtigung von Naidoos Ruf geringer als vom OLG angenommen.
Karlruhe sieht keine Prangerwirkung
Beanstandet wurde zudem die Annahme des OLG, dass Naidoo als Künstler besonders schutzwürdig sei, weil er von der Interaktion mit seinem Publikum abhänge. Auch Kritik an den politischen Ansichten von Künstlern müsse möglich sein, so das Bundesverfassungsgericht. Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, müsse „eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert“. Dies sei keine Prangerwirkung, vielmehr habe sich Naidoo ja öffentlich gegen den Vorwurf wehren können.
Nach diesen Vorgaben wird das Landgericht Regensburg nun wohl Naidoos Unterlassungsklage ablehnen.
Leser*innenkommentare
Budzylein
Gute Entscheidung. Wieso sollte es nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sein, jemanden, der öffentlich eindeutig antisemitische Klischees ("Baron Totschild gibt den Ton an" im Lied "Raus aus dem Reichstag") verbreitet, als Antisemiten zu bezeichnen?
Im Elsässer-Ditfurth-Prozess ( s. hier: de.wikipedia.org/w...ozess#cite_note-11 ) hatte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde von Jutta Ditfurth gegen die Verurteilung zur Unterlassung der Äußerung, Jürgen Elsässer sei ein Antisemit, nicht zur Entscheidung angenommen. Auf der Website des BVerfG ist der Beschluss leider nicht zu finden, sodass unklar ist, ob das BVerfG die Verfassungsbeschwerde Ditfurths überhaupt inhaltlich geprüft oder aus formellen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen hatte.
Bleibt zu hoffen, dass die Haltung der bisherigen Rechtsprechung, die Bezeichnung als "Antisemit" nur für diejenigen zuzulassen, die ausdrücklich den Judenhass der Nazis oder gar den Holocaust positiv bewerten, sich nach der neuen Entscheidung des BVerfG endlich ändert. Denn nach der bisherigen Definition gäbe es praktisch keine deutschen Antisemiten. Selbst heutige Nazis pflegen ihren Judenhass zu kodieren und sie bejubeln den Holocaust in aller Regel nicht öffentlich, sondern leugnen oder relativieren ihn.
Lowandorder
Souverän - Das Trio Infernale - Aber.
Lesens selbst: Pressemitteilung Karlsruhe -
www.bundesverfassu...021/bvg21-108.html - Auszug -
“ Zudem muss, wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat sich mit seinen streitbaren politischen Ansichten freiwillig in den öffentlichen Raum begeben. Er beansprucht für sich entsprechend öffentliche Aufmerksamkeit. Schon deshalb liegt die Annahme, die Aussage der Beschwerdeführerin habe eine Prangerwirkung, völlig fern. Ihm mit Hinweis auf sein Bestreben nach öffentlicher Aufmerksamkeit und eine Abhängigkeit von der Zustimmung eines Teils des Publikums den vom Berufungsgericht beschriebenen besonderen Schutz zuteilwerden zu lassen, hieße Kritik an den durch ihn verbreiteten politischen Ansichten unmöglich zu machen. Zur öffentlichen Meinungsbildung muss eine daran anknüpfende Diskussion möglich sein.“
kurz - Wer wollte widersprechen!
Es bleibt die Frage erlaubt - warum es überhaupt einer derartigen Ohrfeige aus Karlsruhe bedurfte.
Bolzkopf
Schade, dass die Richter am LG und am OLG die Kosten nicht aus dem eigenen Säckel bestreiten müssen.
Lowandorder
@Bolzkopf entre nous only - but
“So schlechte Referendare hatte ich nie!“
Dachte ich nach kopfschüttelndem Lesen. Mann fragt sich in der Tat:
Schlechtes Handwerk ist ja das eine. But
What makes them tick?