Sachverständige zu Wasserstoff-Strategie: „Eindeutig falsche Richtung“
„Grüner“ Wasserstoff gilt als Zukunftshoffnung. Er ist aber noch knapp. Wie sinnvoll ist es, fossil erzeugten Wasserstoff als Brücke zu nutzen?

Nein, meint der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung berät, in einer aktuellen Stellungnahme. „Auch übergangsweise sollte die Politik nicht auf fossil erzeugten Wasserstoff setzen“, erklärte das Gremium am Mittwoch. Es empfiehlt, „alle Anstrengungen auf den Markthochlauf von grünem Wasserstoff aus Wind und Sonne zu konzentrieren“. Es drohten „falsche Weichenstellungen“, wenn jetzt diskutiert werde, „massiv in Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen zu investieren“.
In ihrer „nationalen Wasserstoffstrategie“ hat die Bundesregierung vor einem Jahr beschlossen, dass bis 2030 in Deutschland insgesamt 5 Gigawatt Kapazitäten für ökologisch erzeugten Wasserstoff geschaffen werden sollen. Das Problem: Industrie und Verkehr fragen dringend nach grünem Wasserstoff, aber es gibt praktisch noch keine Anlagen dafür in Deutschland.
Importe sollen deshalb gefördert werden; und heimische Unternehmen werden dabei unterstützt, Infrastruktur und Forschungsanlagen für eine „Wasserstoffwirtschaft“ zu errichten. Dafür stellt die Regierung über die nächsten Jahre insgesamt 9 Milliarden Euro bereit. Sie betont, nur grünen H2 zu fördern, will und kann aber die Nutzung und den Import von anders erzeugtem H2 nicht unterbinden.
H2-Farbenlehre: bunt, aber nicht nachhaltig
Der SRU sieht diese Aktivitäten kritisch. Die Herstellung etwa von H2 mithilfe von Erdgas („grauer Wasserstoff“, bei dem pro Tonne H2 10 Tonnen Treibhausgas CO2 entstehen), die Produktion mit Abscheidung und Speicherung des anfallenden CO2 („blauer H2“) oder auch „türkiser“ Wasserstoff, bei dem fester Kohlenstoff anfällt, seien alles keine nachhaltigen Lösungen.
Diese Techniken lösten Investitionen aus, die in einer „treibhausgasfreien und umweltfreundlichen Wirtschaft keinen Platz mehr haben“, sagt Claudia Kemfert, die Vizevorsitzende des SRU und Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist. Auch die Deutsche Umwelthilfe sieht das ähnlich: Die deutsche Wasserstoffstrategie „basiert ganz wesentlich auf dem Import fossil erzeugten Wasserstoffs“, sagt Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. „Das geht eindeutig in die falsche Richtung.“
Andere Experten halten „Dogma“ für falsch
Zu mehr Flexibilität rät dagegen Felix Matthes, Energieexperte des Öko-Instituts. „Wir diskutieren gerade mit mehreren Stahlwerken, für die sich jetzt die Frage der Modernisierung der Hochöfen stellt“, sagte er auf einer Konferenz am Montag. Jetzt falle die Entscheidung, ob die neue Anlage mit Wasserstoff betrieben werde, der „grün“ erst in etwa zehn bis zwanzig Jahren ausreichend zur Verfügung stehe – oder ob eine Anlage mit der alten Technik auf Basis von Koks und Kohle modernisiert werde, „die dann wiederum zwei Dekaden in Betrieb ist, bis sie abgeschrieben ist, wenn Deutschland längst klimaneutral sein muss“. Wer darauf beharre, von Anfang an nur grünen Wasserstoff zu nutzen, der riskiere „gestrandete Investitionen“, die noch Jahrzehnte CO2 produzierten oder irgendwann für viel öffentliches Geld abgeschaltet werden müssten. „Dieses Dogma, ab Beginn nur grünen Wasserstoff zuzulassen, killt die Klimaneutralität“, warnt Matthes.
Einig sind sich SRU und andere Experten, dass grüner Wasserstoff noch lange „knapp und kostbar“ bleibt. Deshalb sei es eine „Fehlentwicklung bei der Nutzung“, wenn der „Champagner der Energiewende“ für E-Autos oder in der Heizung von Gebäuden verplant werde – das fordern Teile der CDU/CSU und der FDP, die an der (H2)-Verbrennertechnik festhalten wollen.
Dem widerspricht der SRU deutlich. Autos und Heizungen seien preiswerter und umweltfreundlicher mit Ökostrom über Elektromotoren oder Wärmepumpen zu betreiben, heißt es. „Sinnvoll ist es, den Wasserstoff in Teilen der Industrie sowie im internationalen Schiffs- und Flugverkehr einzusetzen.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Protestaktion gegen CDU-Chef Merz
Alle Tassen im Konrad-Adenauer-Haus?
Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen
Union und SPD wollen gemeinsam regieren
USA in der Ukraine
Geheime Verhandlungen mit der Opposition
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
Schuldenbremse und Sondervermögen
„Geht die Union auch heimlich kiffen?“
Wählen mit Migrationshintergrund
Studie zu Wahlverhalten und Herkunft