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SPD und Grüne bei der HamburgwahlDie Reflexe funktionieren

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Während AfD, FDP und CDU Stimmen verlieren, strahlt das rot-grüne Bild. Aber es gibt auch Schatten.

SPD-Anhänger feiern: Der Sieg von SPD und Grünen ist ein Erfolg der liberalen Mitte Foto: Christian Mang

E s fühlt sich fast nostalgisch an: SPD und Grüne gewinnen eine Wahl. Die Grünen sind sogar dabei, in Hamburg CDU und FDP, beide benommen von dem Thüringen-Desaster, als Partei des liberalen Bürgertums zu verdrängen. Und wohl noch nie hat die SPD bei einer Landtagswahl gut 20 Prozentpunkte mehr bekommen, als sie bei Bundestagswahlen erhalten würde.

Zwischen Rot-Grün, zwischen Peter Tschent­scher und Katharina Fegebank, passte inhaltlich kaum ein Blatt. Beide wollen die Innenstadt irgendwann autofrei machen, mehr Polizei und keinen Mietendeckel, obwohl die Preise drastisch, wenn auch nicht so dramatisch wie in Berlin angezogen haben. Der Sieg von SPD und Grünen ist ein Erfolg der liberalen Mitte und nicht linker Politik.

Das rot-grüne Bild strahlt, aber es gibt auch Schatten. Hamburg zeigt mal wieder, dass die Grünen nur Umfragen gewinnen. Wenn die Wahl näher rückt, kehren ihnen scharenweise Sympathisanten den Rücken. Die Partei hat dagegen kein Rezept. Auch Fegebanks stromlinienförmiger Mittekurs und die Beteuerung, ganz harmlos zu sein, nutzte nichts.

Den SPD-Erfolg konnte sogar der schlimme Verdacht, das Cum-Ex- Verbrechen einer Bank lässig gehandhabt zu haben, nicht verhindern. Dabei mag Tschentschers Image eine Rolle gespielt haben. Er wirkt wie ein korrekter Angestellter, der sich nichts zuschulden kommen lässt. Dieser Malus war angesichts des Cum-Ex-Verdachts eher ein Bonus. Der Skandal perlte an Tschentscher, der damals immerhin Finanzsenator war, einfach ab.

Hanau zeigt, wie gefährlich die AfD ist

Sagt der Erfolg in Hamburg etwas über die SPD-Krise? Die urbanen Milieus sind das letzte Biotop, in dem die SPD mehrheitsfähig ist. Sieben der zehn größten Städte der Republik werden weiterhin sozialdemokratisch regiert. Allerdings: Mehr zeigt Hamburg nicht. Die dortige Sozialdemokratie ist etwas Besonderes: eine Art Staatspartei. Dieser Erfolg ist kein übertragbares Modell. Und weder Bestätigung noch Dementi des neuen, moderat linken Kurses von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

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Und die AfD? Der Nordwesten ist ziemlich gefeit gegen den Rechtspopulismus. Bei Landtagswahlen haben zwischen Hannover und Flensburg nie mehr als 7 Prozent rechts gewählt. Die AfD ist eine Partei des armen Ostens und des reichen Südwestens. Insofern ist es keine Überraschung, dass die AfD ihre erste Wahlniederlage überhaupt im Norden ereilt. Bislang hat sie fast immer von höheren Wahlbeteiligungen profitiert – in Hamburg war es umgekehrt. Auch das ist neu.

Die höhnischen AfD-Kommentare zu dem Massaker in Hanau und die Tatsache, dass ein Rechtsradikaler wie Höcke Ministerpräsidenten kürt, hat manchen wohl vor Augen geführt, wie gefährlich die AfD ist. Und dass Rechtsextremismus doch kein Spielzeug ist, um mal Mächtige zu ärgern. Nein, kein Grund zur Entwarnung. Aber dass CDU, FDP und AfD, die an dem Coup in Erfurt beteiligt waren, allesamt verloren haben, zeigt: Die demokratischen Reflexe funktionieren.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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10 Kommentare

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  • Hamburg ist kein Modell für Rot-Grün - das stimmt. Aber es zeigt wenigstens, dass die Wähler sich hauptsächlich weltoffene, liberale Parteien ins Parlament wählen. Das ist in diesen Zeiten schon ganz gut. Die SPD und die Grünen schaffen zu wenig Ausgleich in dieser reichen Stadt. Wer hier arm ist, der hat wenig zu lachen, es ist eine polarisierte Stadt, wo einige in großen Villen leben und viele sogar die Stadt verlassen müssen, weil Spekulanten die Hoheit über viele Stadtgebiete erobert haben. Und es spielte eine Rolle, dass die Grünen in Eimsbüttel und in Mitte chaotisch und schwach agiert haben. Sie können mit so viel Müll nicht glaubhaft zeigen, dass sie Hamburg wirklich regieren können, denke ich. Aber die SPD hat hier verloren, obwohl die CDU noch mehr verloren hat, die einstige Regierungspartei ist stark abgefallen und konnte nicht überzeugen. Wer sich aber die CDU-Regierungsjahre ansieht, der ist eher erstaunt, dass jemand überhaupt noch diese Partei wählt. Schade, dass SPD und Grüne nicht überzeugender, sozialer, liberaler regieren. G20 - da war Hamburg ein Hort von Verboten, angekündigt war ein Hafen-Geburtstag, auch das haben die Wähler nicht abgestraft, hätten sie vielleicht tun sollen. Immerhin sind die Linken drinnen und m.M. nach gut so, denn diese Regierung braucht fundierte Kritik von Links.

  • Reflexe? Welche? Worauf denn?



    Sicher, die SPD ist in Hamburg traditionell stark und bestens vernetzt - bis in die kleinste Behörde. Die Bürger versprechen sich davon - nicht ganz zu Unrecht - eine effiziente Umsetzung politischer Entscheidungen (siehe größter und sinnlosester Polizeieinsatz ever bei G-20).



    Wer die Grünen wählt, träumt von einer intakten Umwelt, ohne auf die Annehmlichkeiten des Kapitalismus verzichten zu müssen, der im Wesentlichen auf Wachstum und der damit verbundenen Ausbeutung von natürlichen Ressourcen basiert. Den Grünen traut der Wähler hier ein Maximum an Greenwashing zu. Anders gesagt: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“



    Stefan Reinecke hat natürlich völlig recht, wenn er feststellt, dass SPD und Grüne in Hamburg alles andere als linke Parteien sind und nicht von Leuten gewählt werden, die eine linke Politik wollen.



    Wer in Hamburg eine linke Politik will, der wählt die Linke. That's all.

    „Cum Ex“ spielte in Hamburg keine entscheidende Rolle mehr. Peter Tschentscher war zwar seinerzeit Finanzsenator, wird aber bislang nicht konkret mit den Vorgängen speziell bei der Warburg-Bank in Verbindung gebracht. Ganz anders Olaf Scholz, der Gespräche mit Bankinhaber Christian Olearius in diesem Zusammenhang zunächst bestritt, dann aber später doch noch einräumen musste.

    www.zeit.de/wirtsc...scholz-m-m-warburg

  • Die Reflexe funktionieren, hoffentlich ist da aber noch mehr. Mehr als nur Reflexe. Und hoffentlich nehmen CDU und FDP zur Kenntnis, dass sie nach links verloren haben, dass sie nicht die Mitte sind, sondern die Mitte verlieren. Wenn sie sich nicht an die doch ziemlich vernünftige Politik von Grünen und SPD anpassen wollen, dann müssen sie sich eben etwas neues ausdenken. Die alten Rezepte funktionieren nicht mehr und das gälte auch dann, wenn es die AFD nicht gäbe. Interessant finde ich ja, dass ich hier gerade zum ersten Mal wahrnehme, dass sowohl SPD als auch Grüne eine autofreie Innenstadt anstreben. Die Frage tauchte, glaube ich, noch nicht mal im Wahlomat auf. So richtig verschrecken zu können scheint man damit aber auch kaum jemanden. Für die SPD hat sich die weitgehende Plagiierung der Grünen, die kaum noch Unterscheidbarkeit, in Hamburg jedenfalls gelohnt. Und die intelligenteren Konservativen sind längst in derselben Spur, können sich nur noch nicht gegen die eigenen Leute durchsetzen. Wie Söder schon in bemerkenswerter Offenheit sagte: der Gegner sind die Grünen. Er meint damit aber natürlich nicht die Bekämpfung der Ziele der Grünen, sondern deren sanfte Übernahme. Das Phänomen, dass der Wähler im letzten Moment wieder abspringt, dürfte den Grünen noch lange erhalten bleiben, aber ein Erfolg der Inhalte ist das trotzdem. Bleibt noch die grüne Stromlinienförmigkeit. Tendenziell würde ich ja sagen: im Wahlkampf ist das schon o.k., dafür sollte man in der Praxis immer weit vorne sein, den Koalitionspartner antreiben und für den Wähler erkennbar weiter in die Zukunft zu blicken als alle anderen Parteien.

  • "Hamburg zeigt mal wieder, dass die Grünen nur Umfragen gewinnen. Wenn die Wahl näher rückt, kehren ihnen scharenweise Sympathisanten den Rücken. Die Partei hat dagegen kein Rezept."

    – Vielleicht stimmen ja auch einfach die Umfragen nicht.

  • RS
    Ria Sauter

    Gibt es wirklich etwas zu feiern?



    Die SPD wird , trotz des enormen Betruges am Steuerzahler , stärkste Kraft?



    Was sagt das über ein Land aus, wenn eine solche Partei wieder einmal die Regierung stellt.

  • Ähm, die Volksparteien haben 11% weg, verlieren tun nach diesem Artikel AfD, FDP und CDU. AfD bleibt trotz der hohen Wahlbeteiligung drin.



    SPD verliert nicht, weil das wunschgemäß Rotgrün ergibt. Das Wahlergebnis soll "weder Bestätigung noch Dementi des neuen, moderat linken Kurses von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans" sein. Tatsächlich gelang der Wahlerfolg für die SPD gerade deswegen, weil das neue SPD Führungsduo bewußt weggehalten werden konnte.



    Om, die Welt ist offen, tolerant und frei. Es gilt auch für diesen Artikel.

    • @Picard:

      "SPD verliert nicht..."

      Sie ist zwar stärkste Partei, hat aber ordentlich Prozente verloren...

  • Heute ist die AFD mit einem blauen Auge davon gekommen.



    Geben wir ihr morgen den ersten Teil vom Rest!

    facebook.com/event...95032583558/?ti=cl

    17 Uhr Hauptbahnhof Hamburg.

    So jetzt wo das wichtigste gesagt wurde:



    Die Grünen und die SPD stehen in Hamburg halt auch null für linke Politik.



    Deswegen sind sie in dem Fall erfolgreich.



    SPD und Grüne haben CDU und FDP fast alle Wähler abgegeben ohne das eigene Urklientel zu vergraulen wobei es inhaltlich eigentlich genug Grund dazu gäbe

  • "Hamburg zeigt mal wieder, dass die Grünen nur Umfragen gewinnen. Wenn die Wahl näher rückt, kehren ihnen scharenweise Sympathisanten den Rücken."

    Die Grünen haben über 12% gewonnen und die SPD 7% verloren. Das ist doch ein riesen Erfolg für die Grünen. Es war unrealistisch zu glauben, dass die Grünen ausgerechnet in Hamburg ganz vorn landen. Aber der Abbau der SPD geht auch dort voran. Beim nächsten Mal kann es der SPD schon nicht mehr reichen.

    Nebenbei. Man sollte in Hamburg nicht mehr von Rot-Grün sprechen. GroKo passt besser.

  • Zitat: >Wenn die Wahl näher rückt, kehren ihnen scharenweise Sympathisanten den Rücken. Die Partei hat dagegen kein Rezept.<

    Frage: Braucht BüGrü solch ein Rezept?

    Ich denke, das Ergebnis bestätigt das Österreich-Konzept: zwei (oder drei) starke Partner bringen ihr jeweils klares Zielprofil ein - und geben einander den entsprechenden Spielraum bei der Umsetzung.



    Dieser überholte Drang zur Alleinvertretung der >Mitte< hat keine Zukunft.