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SPD nominiert Scholz als KanzlerkandidatGemeinsam ist das neue Zauberwort

In der SPD herrscht erstmal Frieden. Olaf Scholz wird die Nummer eins. Wie man SPD, Sozialstaat und Militär finanzieren will, bleibt noch wolkig.

Klare Rangordnung in der K-Frage: Boris Pistorius hinter Olaf Scholz Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Parteichefin Saskia Esken redet kurz, ihr Co-Chef Lars Klingbeil etwas länger, dann gehört die Bühne am Montag im Willy-Brandt-Haus Olaf Scholz. Nach dem Zoff um die Kanzlerkandidatur lautet das neue Zauberwort, das von allen SozialdemokratInnen in alle Mikrofone gesprochen wird: „gemeinsam“.

Der Kanzler wurde vom SPD-Vorstand entsprechend ohne Gegenstimme nominiert. Klingbeil lobte dies als überzeugendes Votum für Scholz und kündigte an: „Die SPD schaltete auf Wahlkampf um.“ Das ist richtig: Die rund 45-minütige Pressekonferenz wirkte wie die erste Wahlkampfveranstaltung.

Die zähe Debatte, ob Verteidigungsminister Boris Pistorius nicht der bessere Kandidat gewesen wäre, hat Scholz’ Image nicht gerade aufpoliert. Und sie hat Zweifel an der Fähigkeit der SPD-Spitze geweckt, Krisen managen zu können. Das soll jetzt alles möglichst schnell vergessen und vergeben sein. Bloß nicht noch eine Personaldebatte – das scheint derzeit Esken und Klingbeil, die die Debatte zu lange laufen ließen, zu schützen. Esken hatte beim Juso-Bundeskongress Fehler eingeräumt.

Der politische Gegner heißt Friedrich Merz

Scholz lobte seinen Ex-Konkurrenten Pistorius als „Freund“ und kompetenten Minister. Eine besonders herausgehobene Rolle aber soll Pistorius im Wahlkampf nicht spielen. Er sei wie alle MinisterInnen Teil des Teams, so der Kanzler. Nun gehe man gemeinsam vor – und das heißt gegen Friedrich Merz.

Scholz sieht sich nicht in Konkurrenz zu Robert Habeck, sondern nur zu Merz. Trotz deprimierender Umfragen hofft die SPD am Ende auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Scholz und Merz. Und darauf, dass sich der derzeitige Ampel-Kanzler-Malus von Scholz wundersam in einen Bonus verwandeln wird.

Merz verfügt in der Tat über keine Regierungserfahrung. Die Wählerschaft will, so Scholz, jemand im Kanzleramt, der „die Nerven behält“. Das kann sein – diese Rechnung wird aber nur aufgehen, wenn Merz unbeherrscht oder erratisch auftritt. Von den Fehlern des Gegners abhängig zu sein, ist nur bedingt günstig.

39 Prozent für Scholz als Kanzler

Ein Silberstreif am düsteren Horizont ist für die SPD eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen. Für Olaf Scholz würden sich derzeit 39 Prozent als Kanzler entscheiden, für Friedrich Merz 44 Prozent. Aber der Trend spricht leicht für Scholz, (zwei Prozent mehr als im Oktober) und gegen Merz (minus vier).

Scholz Wahlkampfspin wird am Montag klar: Er verspricht, dass Deutschland weiter massiv die Ukraine unterstützen wird, mehr Geld für Militär ausgeben wird, aber ohne Einschnitte bei Rente, Pflege oder Investitionen. Dort glauben die Sozialdemokraten nicht zu Unrecht, den schwachen Punkt bei Merz ausgemacht zu haben. Der verspricht Steuersenkungen, eine unveränderte Schuldenbremse und mehr Geld fürs Militär, ohne zu erklären, wie das finanziert werden soll.

Die Finanzierung klingt bei der SPD allerdings auch noch wolkig. Scholz rechnet vor, dass 2028 das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen ausläuft. Wenn man dann zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben will, „sind das 30 Milliarden pro Jahr aus dem Haushalt“, so der Kanzler. Woher soll das Geld kommen?

Superreiche sollen mehr zahlen

Scholz will „Änderungen bei der Schuldenbremse“. Er empfiehlt, sich bei Investitionen die Eigenkapitalerhöhung der Bahn zum Vorbild zu nehmen – investieren, ohne den Haushalt zu belasten. Auch Superreiche sollen mehr Steuern bezahlen.

Aber die Scholz-SPD scheint im Wahlkampf weder vehement auf eine Reichensteuer noch mit allzu lauten Bekenntnissen gegen die Schuldenbremse zu setzen. Das Wort Bürgergeld fällt gar nicht. Offenbar hält man das für ein verlorenes Projekt. Scholz bekennt sich zum Mindestlohn, der „eine Frage von Anstand, Moral und Respekt“ sei und in der Vergangenheit keine Arbeitsplätze gekostet habe. Scholz hatte im Frühjahr eine Steigerung auf 14 und dann 15 Euro gefordert. Das wiederholt er am Montag nicht.

Auffällig ist, dass Scholz nicht mehr als Ampel-Kanzler redet. Er holzt nicht nur gegen die FDP, sondern auch gegen die Grünen. Die seien für das unbeliebte Heizungsgesetz verantwortlich gewesen. Die neue Grünen-Chefin Franziska Brantner konterte, dass auch in der SPD viele bezweifeln, dass Scholz fähig sei, Kanzler zu werden. Der Wahlkampf hat begonnen.

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12 Kommentare

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  • Der Wahlkampf der SPD wird wohl im Wesentlichen auf zwei Punkte hinauslaufen:



    Zum einen wird man die "Taurus"-Entscheidung als "weitsichtig", "ausgewogen" und Zeichen einer "ruhigen Hand" in den Vordergrund rücken (auch wenn man inzwischen alle Verbündeten von Washington bis Tallinn vor den Kopf stößt, aber egal, Hauptsache uns gehts gut).



    Zum anderen wird die SPD ständig darauf verweisen, dass Hr. Merz (im Gegensatz zu Hr. Scholz) über keine Erfahrung darin verfügt, wie man ein Regierungsamt in den Sand setzt.



    Letztlich wird es für die SPD aber darum gehen, dass (wie es kürzlich ein einfaches Parteimitglied formulierte) der kleinere Partner in einer GroKo nicht der "ganz kleine kleine Partner" sein wird.

  • Lüge oder 'nur' Fehleinschätzung der ökonomischen und sozialen Lage ? Dabei sind die Probleme bei der Finanzierung der Renten durch eine kleiner werdende Zahl der Nachkommen schon lange Thema der Ökonomen. Wenn jetzt noch durch den Verlust der Arbeitsplätze, die eigentlich dringend benötigt werden, um den Sozialhaushalt zu finanzieren und darüber hinaus die Binnenkaufkraft verloren geht, die erforderlich wäre, um den ökologischen Umbau auch privat vollziehen zu können, sollten doch zumindest in der Politik sämtliche Warnsignale aufleuchten. Es sind ja nicht nur Scholz und die SPD, sondern im Grund alle angeblich so demokratischen Parteien die in ihren Wahlkämpfen alles tun, um die Realitäten auszublenden, denen sich insbesondere die Ärmeren der Gesellschaft ausgesetzt sehen, wenn Inflation und ständige Preissteigerungen ihren selbst bescheidensten Wohlstand einschränken. Auch wenn ich da weder von Pistorius oder Merz irgendwelche Alternativen vernehmen konnte, waren doch Scholz und Habeck die Akteure, die vor den Werkstoren bei VW oder in Papenburg versprachen, die Arbeitsplätze erhalten zu können und damit für Viele unglaubwürdig geworden sind.

  • "Aber der Trend spricht leicht für Scholz, (zwei Prozent mehr als im Oktober) und gegen Merz (minus vier)."

    Wenn Friedrich Merz im Januar wieder die Anzahl an Geflüchteten, Ausreisepflichtigen, gewalttätigen Asylbewerbern/MigrantInnen und offene Grenzen etc. skandalisiert, wird sich das Blatt wieder schnell wenden.

    Der Erfolg des Friedrich Merz ist eine rechtsextreme ausländerfeindliche, anti-Asylkampagne.

    Hätte die CDU nur Themen präsentiert, wie Rente, Wirtschaftswachstum, Hilfe für die Ukraine, Sozialen Wohnungsbau, Straßen und Autobahnbau, Kindergrundsicherung, wäre die Union nicht weit gekommen.

    Und die spannende Frage ist nun, was macht denn die SPD, wenn sich die CDU im Januar wieder mit dem Thema Migration positioniert?

    Wenn Deutschland angeblich 'offen' steht für alle, die gerne kommen wollen und Sozialleistungen benötigen? Die dann noch bleiben, wenn sie gehen müssen?

    Wie wird Scholz damit umgehen? Sagt er dann, moment, die Zahlen sinken doch?

    Ich befürchte, dass die SPD keine Gegenstimmung machen wird. Und ich glaube, die Partei muss ihre übliche Strategie Ortsvorstand verteilt Flugblätter und stellt Plakate auf, revidieren, sonst sind 14 Prozent viel ....

  • Diskussionen sind Grundlage der Demokratie.



    Ich bin etwas verwundert, dass "Debatten" und " Kompromisse", in letzter Zeit negativ konnotiert werden. Sind demokratische Elemente in Deutschland nicht mehr erwünscht?



    Parteien sollten das Zentrum der Diskussionen bilden, schließlich wollen sie dem Land und seiner Gesellschaft ein Angebot für die Zukunft machen.



    Die CDU ist ein Abnickerverein.



    Bei den Grünen wurde auch nur noch wenig diskutiert, statt dessen die Schuld bei Anderen gesucht.



    Entgegen dem Trend der Marktschreierei, der die Spaltung der Gesellschaft in den USA durchgesetzt hat, sollten wir in Deutschland und Europa einen Gegenentwurf darstellen.



    Die Entwicklung in den USA ist erschreckend.



    Das ist ein Abwenden von der Demokratie.



    Derartige Trends sind auch in Deutschland erkennbar. Die "afd" ist die gefährlichste Entwicklung gegen unsere Demokratie.



    Dem muss begegnet werden.



    Doch dazu brauchen wir keinen " starken Mann", wir sind selber stark genug.



    Wer Demokratie will, sollte versuchen, sie mit demokratischen Mitteln zu verteidigen.



    Deskreditierung demokratischer Prozesse und Diffamierung demokratischer Ämter und Personen, laufen der Verteidigung der Demokratie zuwider.

    • @Philippo1000:

      Sie meinen wahrscheinlich mit Demokratie das, was man heute so bei uns Demokratie nennt? Dann sollten Sie aber auch sehen, dass die Praxis dieser repräsentativen Demokratie von ihren theoretischen Ansprüchen abweicht und eine Reihe systemischer Fehler enthält. Die repräsentativen Demokratie entspricht eher einer elitären Wahloligarchie oder elektoralen Autokratie und hat mit der egalitären Demokratie nur wenig gemein.

  • Scholz hätte eine Chance, wenn die SPD soziale Themen aggressiv und konkret mit Lösungen thematisieren würde.



    Z. B. wurden in Hamburg-Harburg Hunderte Microappartments hochgezogen, die möbliert für 30 Euro pro Quadratmeter vermietet werden. Hunderte weitere gibt es im ganzen Stadtgebiet. Möglich macht diesen Missbrauch eine Ausnahme im bundesweiten Mietrecht. Dazu kommt ein massiver Anstieg bei Mieten, der Mietspiegel wirkungslos.

    Baumnisterin Geyitz ist beim Bau von neuen Sozialwohnungen komplett gescheitert. Ehrliichkeit hier? Die SPD schweigt dazu, geht lieber den Weg des geringsten Widerstandes und hat zur Verteidigung des Bürgergeldes gar nichts zu sagen. Innerlich hat die SPD diese Wählerklientel mit der geplanten Koalition mit der CDU schon abgeschrieben.



    Typische strategische Scholzpolitik, die nicht nah an den Menschen ist.



    Stattdessen Märchenland, vor allem in Bezug auf den riesigen Bedarf bei der Finanzierung der Bundeswehr, die zu einem fianziellen Monster zu werden droht, da ein Viertel des Bundeshaushaltes dafür in einigen Jahren fällig werden könnte, ohne dass die ausufernde Bürokratie der Bundeswehr mit Tausenden überflüssigen Stellen reformiert wird.

  • Hysterie ist das Zauberwort, dass die mediale Berichterstattung der Stunde charakterisiert. Deutschland ein einziges Krisenland. Laut Unterzeile trifft die Krise jetzt auch die alte Tante, die seit empfundenen 20 Jahren (mit-)regiert:



    'Wie man die SPD … finanzieren will, bleibt noch wolkig.'

  • Nun, es bedarf schon einiger Verve mit dem, mit Abstand, unbeliebtesten Politiker, noch hinter Weidel und Chrupalla UND FAESER, als Spitzenreiter anzutreten.



    Mit einem Kandidaten, der bereits nach 2 ( in Worten: ZWEI) Jahren eine größere Wechselstimmung erzeugte, als 2 Unionskanzler in jeweils 16 Jahren.



    Wer da nicht an Scholz zweifelt glaubt auch fest daran, dass eine Auster den 100 Meter Sprint zu gewinnen vermag.

  • Nichts, als das übliche Wahlkampfgeseier.



    Ich für meinen Teil hatte in den letzen Jahren mehr als genug Gelegenheit, mich von den wahrhaft überragenden Leistungen eines Olaf Scholz zu überzeugen.

    Und die SPD kann es einfach nicht.



    Das mussten wir unter Schröder schmerzhaft lernen und kaum dass die Narben verblasst waren, hat ein Scholz sie wieder aufgerissen.

    Und natürlich: Schuld sind immer die anderen.



    Die Koaliktionspartner die nicht mitziehen, die Bundesländer die Entscheidungen im Bundesrat kippen, die Verwaltung die nicht nachkommt.



    Alle sind schuld - nur der Olaf nicht.

  • Wir werden sehen, ob es sich mit dem Rücken zur Wand für die SPD besser wahlkämpfen lässt - dass 19 Punkte Rückstand zur Union disziplinierend wirken können, steht außer Frage.



    Jedoch ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich das Wunder von Berlin von 2021 wiederholen wird. Obwohl den SPD-Wahlkampfstrategen eigentlich nur an der Frage gelegen sein müsste, wie man es schafft, den CDU-Kanzlerkandidaten so weit aus der Reserve zu locken, dass dem noch kapitale Fehler passieren - und DAS dürfte nicht sonderlich schwer sein.

    • @Abdurchdiemitte:

      Datt Merzi wird auch schon ganz leise...



      Bloß keinen Kalauer mehr wagen 😉

  • Gott sei Dank



    Damit bleibt uns eine neue SPD Beteiligung in der nächsten Regierung erspart.