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SPD nach Wahl in Schleswig-HolsteinKein Vorsitz nach Desaster

SPDlerin Serpil Midyatlı ist eine Verliererin der Wahl in Schleswig-Holstein. Die Parteichefin wird nicht zur Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Spürt nach dem schlechten Wahlergebnis kräftig Gegenwind: Serpil Midyatlı Foto: Axel Heimken/dpa

Kiel taz | Nur kurz traten SPD-Landesparteichefin Serpil Midyatlı und Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller am Tag nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein vor die Presse. 16 Prozent der abgegebenen Stimmen waren auf die So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen entfallen, damit wird die künftige Fraktion aus zwölf statt wie bisher 21 Abgeordneten bestehen. Deren Vorsitzende heißt erst einmal nicht Midyatlı: Die eigentlich für Dienstag geplante Wahl ist aufgeschoben.

Noch am Montag hatte Losse-Müller verkündet, er werde Midyatlı für den Posten vorschlagen. Vor einer Krisensitzung der Parteispitze gaben Midyatlı und Losse-Müller ihr Statement ab: Die Enttäuschung sei groß, aber der Kandidat sei der richtige gewesen, ebenso die Themen. Schuld am schlechten Abschneiden seien die „knappe Zeit“, die Corona-Lockdowns und die Presse, die sich in den letzten Wochen auf die Umfragen und die Frage Schwarz-Grün oder Schwarz-Gelb konzentriert hätte.

So schmallippig sich die Parteichefin gab, so redefreudig waren andere, die auf den Beginn der Sitzung warteten. Darunter zwei ehemalige Landesvorsitzende: „Man kann nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen“, sagte Claus Möller, der den Landesverband bis 2007 führte. Sein Nachfolger Ralf Stegner, der das Amt an Midyatlı übergeben hatte, sagte: „Ein,Weiter so' geht definitiv nicht.“

Als Folge beschloss die geschrumpfte Fraktion, den Vorsitz zunächst offen zu lassen. Kai Vogel, ein Abgeordneter, der nicht wieder in den Landtag einziehen kann, sagte der Nachrichtenagentur dpa: „Ich würde es für geeignet erachten, dass diejenigen, die die Funktion jetzt innehaben, mal in sich gehen, ob sie eventuell auch einen Teil der Wahlniederlage mit zu verantworten haben.“

Midyatlı gewinnt nicht einmal Direktmandat

Gemeint ist Midyatlı. Die 46-jährige Kielerin sitzt seit 2009 im Landtag, ist seit 2017 Mitglied im SPD-Bundesvorstand und seit 2019 Landesvorsitzende. Als Oppositionsführerin war die zweifache Mutter die Stimme der Landtagsfraktion. Entsprechend groß waren die Erwartungen, dass die Unternehmerin – sie übernahm als 18-Jährige die Leitung eines Restaurants – als Spitzenkandidatin antreten würde.

Stattdessen präsentierte Midyatlı im vergangenen Sommer überraschend Losse-Müller. Der ehemalige Staatssekretär war früher bei den Grünen und nur in politischen Insiderkreisen bekannt. Diesen Nachteil konnte er bis zum Schluss nicht aufholen.

Wann die Fraktion ihren Vorsitz wählt, steht noch nicht fest. Die Frage eines Journalisten, ob Midyatlı, die nicht einmal in ihrem Wahlkreis ein Direktmandat gewinnen konnte, noch die richtige Landesvorsitzende sei, überhörte die Politikerin ostentativ. Esther Geißlinger

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3 Kommentare

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  • Von außen betrachtet rätselhaft. Warum gewann Serpil Midyatlı ihren Wahlkreis im absoluten Kerngebiet der SPD nicht direkt? Ganz zu schweigen von den anderen SPD-Kandidaten.



    Das mit dem ungemein populären CDU-Ministerpräsidenten und unbekannten SPD-Spitzenkandidaten ist zwar ein wichtiger Punkt, doch erklärt das die massive Wahlniederlage? Ist die SPD wirklich nah dran an den Problemen der Wähler und zieht daraus die richtigen Konsequenzen im Wahlkampf?

    Ein Beispiel: im aktuellen Wahlkampf in NRW fordert die SPD 1000 neue Stellen beim Arbeits- und Gesundheitsschutz, was auf ein massives Problem bei der Kontrolle von Minijobs, Leiharbeit, dem Bau, Krankenhäusern, Pflege, der Gastronomie, Schlachtbetrieben hindeutet. Hier arbeiten viele potentielle Stammwähler.



    Doch beim Wahlkampf in NRW spielt das Thema keine große Rolle. Statt ins Detail zu gehen, zieht inhaltlose PR im SPD-Wahlkampf in NRW die altbekannten großen Linien.



    Das funktioniert vielleicht bei einer Bundestagswahl, aber nicht im Bundesland, wo jeder genau weiß, wo der Schuh drückt.



    Als Inhaberin eines gastronomischen Betriebes hätte Serpil Midyatl aus dem Nähkästchen plaudern können und Arbeitsschutz (Arbeitszeiten, illegale Beschäftigung) thematisieren können. Zumal die SPD in SH im Jahr 2020 eine Große Anfrage zu dem Thema gestellt hatte.



    Aus einer Stellungnahme des DGB-Nord (2020) dazu.



    "Das wesentliche Ergebnis ist aber die Erkenntnis, dass die Gewerbeaufsicht im Land seit Jahren chronisch unterfinanziert ist und damit ihren Pflichtaufgaben nur unzureichend nachkommen kann. ....Für Schleswig-Holstein heißt das im Ergebnis, dass ein Betrieb statistisch zurzeit nur einmal in mehr als 40 Jahren mit einer – eigeninitiierten - Regelkontrolle rechnen müsste!"

    www.landtag.ltsh.d...druck-19-03827.pdf

    • @Lindenberg:

      Die Russlandnähe der letzten 10 Jahre und insbesondere die Rolle von Gerhard Schröder und der Fall Schwesig drücken die SPD derzeit in der Stimmung massiv in den Keller.

      Hinzu kommt noch, dass die Sachpolitik im Bund derzeit mehr von FDP und Grünen bestimmt wird.

  • Na klar, Schuld haben immer die anderen. In diesem Fall die Presse, die kurze Zeit (???) und Corona, die Generalausrede.



    Wie wäre es mal mit etwas Selbstkritik. Und um die Sache abzurunden gleich den Vorsitz freimachen. Das wäre nur konsequent und würde wahre Größe erkennen lassen. Aber so sind sie halt, Politiker jedweder Coleur, der Klebstoff am Stuhl/Posten ist echt enorm.