SPD nach Hessen-Wahl: Es wird keinen Bernie Sanders geben
Peer Steinbrück will einen Politiker wie Bernie Sanders an der Spitze seiner Partei. Nur: Die verkrusteten Parteistrukturen lassen das nicht zu.
Die untergehende SPD wieder schwimmfähig machen. Zu den vielen Stimmen, die wissen, was nun zu tun ist, mischen sich jene, denen die Rettung selbst nicht gelungen ist. Dazu gehören Ex-Parteichef Sigmar Gabriel und neuerdings auch Peer Steinbrück.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung schlägt der erfolglose Kanzlerkandidat von 2013 (25,7 Prozent) eine plausible Lösung für das Schlamassel der Deutschen Sozialdemokratie vor. Die SPD braucht laut Steinbrück an der Spitze eine „Person wie Bernie Sanders, nur 30 Jahre jünger“.
Sanders ist parteiloser US-Senator, bezeichnet sich selbst als Sozialist und hätte in den Vorwahlen für die US-Präsidentschaftswahl 2016 fast die Nominierung der Demokraten gewonnen. Mit klar linker Politik trieb Sanders seine Vorwahlgegnerin, die zentristische Ex-Außenministerin Hillary Clinton lange vor sich her, bis sie schließlich halbherzig einige seine Forderungen, wie die nach einem deutlich höheren nationalen Mindestlohn, übernehmen musste.
Doch wer in der SPD könnte die Rolle eines Bernie Sanders bekleiden? Der US-Politiker aus Vermont ist 77 Jahre alt – eine 30 Jahre jüngere Version des Linksaußen müsste also um die 47 Jahre alt sein. Das trifft zum Beispiel auf Justizministerin Katarina Barley (49) zu. Oder auf die mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (44). In der Männerriege sind die bekannteren SPDler entweder zu jung wie der Juso Vorsitzende Kevin Kühnert (29) oder zu alt, wie Heiko Maas (52). Nähe zum Sozialismus zeigen alle nicht.
Unüberwindbare Hierarchien
Doch die Idee eines jugendlichen deutschen Bernie Sanders scheitert nicht ursächlich an der Altersstruktur prominenter Sozialdemokraten, sondern an der Partei selbst und ihren Strukturen.
Sanders sitzt zwar seit 27 Jahren im US-Kongress, war aber dort stets Außenseiter und nicht formell Mitglied der Demokraten, auch wenn er sich in Senat und Repräsentantenhaus jeweils der demokratischen Fraktion anschloss. Sanders steht bei den meisten Themen substanziell links des Parteimainstreams.
Er will Großbanken aufspalten und Kapitalerträge der reichsten US-Amerikaner stärker besteuern. Er will Genossenschaften als Unternehmensform fördern und stärker gegen Steuerflucht vorgehen. Und was viel wichtiger ist: Er greift die eigene Partei an, die sich seiner Meinung in vielen Themen nicht klar genug positioniert.
Schon daran würde jeder SPD-Politiker ab einer gewissen Hierarchiestufe scheitern. Denn aus Angst vor mangelnder Geschlossenheit jubelt auch die zweite Reihe regelmäßig dem jeweiligen Parteivorstand zu. Innerpolitische Aufstiegsmöglichkeiten ergeben sich meist nur durch Anhängerschaft und nicht durch Gegnerschaft zu den jeweiligen Parteioberen.
Das zeigte sich zum Beispiel bei der „Übergabe“ des Parteivorsitzes von Martin Schulz an Andrea Nahles im vergangenen Jahr. Die halbherzige Opposition gegen die im kleinen Kreis getroffene Nachfolge kam hauptsächlich von eher unbekannten Politikern. Ein taz-Kollege schrieb kürzlich treffend: „Die SPD sozialisiert ihre Führung dazu, Fehler zu beklatschen.“
Mut zur Gegnerschaft
Ein SPD-Sanders müsste sich explizit gegen die Führung der eigenen Partei und gegen den inhaltlichen Mainstream positionieren. Wer das in der SPD macht, wird allerdings innerparteilich marginalisiert. Einen schlagkräftigen linken Flügel gibt es seit dem Abgang Oscar Lafontaines vor fast 20 Jahren nicht mehr. Wahrnehmbar ist derzeit nur der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert.
Denn wer in der SPD etwas werden will, muss sich innerhalb des Parteiapparats bewegen können. Das liegt nicht zuletzt auch am politischen System in Deutschland. In den USA gilt ein ausgeprägtes Personenwahlrecht. Heißt: Es werden einzelne Politiker gewählt und nicht Parteien. Das erleichtert Außenseitern wie Sanders sich individuell zu profilieren.
In Deutschland werden Mandate stärker über Parteilisten vergeben. Wer sich für ein Direktmandat – zum Beispiel im Bundestag – bewirbt, benötigt in den meisten Fällen ebenfalls die Rückendeckung seiner Partei. Das macht es Außenseitern schwer, sich als innerparteiliche Gegenstimme zu etablieren.
Bei der SPD ist dieses Phänomen besonders stark ausgeprägt. Während nach Angela Merkels Rückzugsankündigung gleich drei Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz (Kramp-Karrenbauer, Merz, Spahn) mit individuellen Profilen ihre Kandidatur bekannt gaben, stellte sich gegen Nahles nur die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange zur Wahl, die bis dahin nur in Schleswig-Holstein bekannt war.
Es mangelt in der SPD also an profilierten inhaltlichen Abweichlern. Wie könnte sich das ändern? Ein erster Schritt wäre die Urwahl des Parteivorsitzenden. Die hat bei der britischen Labourpartei zum Beispiel zur Wahl des linken Außenseiters Jeremy Corbyn geführt. Eine Urwahl – auch für andere Parteiämter – könnte mögliche linke SPDler dazu ermutigen, sich stärker gegen die Parteiführung zu stellen.
Zweitens sollte sich die SPD von der Idee verabschieden, mit einer Stimme sprechen zu wollen, denn das ist im Zweifel eher die Stimme der moderaten Langweiler. Wie Bernie Sanders sollten die wenigen profilierten Linkspolitiker in der SPD zu jeder Initiative der Großen Koalition oder der Parteispitze einen durchdachten Gegenentwurf vorlegen.
Das Beispiel Sanders zeigt, dass innerparteiliche Opposition und ein konsequenter Linkskurs auch bei den Wählern gut ankommen. Selbst Peer Steinbrück scheint das zu erkennen.
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