SPD-Mann Lars Klingbeil: Kalte Chuzpe
Nach der Wahl-Niederlage der SPD will Lars Klingbeil das Ruder in die Hand nehmen. Mit ihm und Pistorius nimmt die Stärke der rechten Parteikräfte zu.
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E s gehört zu den politischen Ritualen, dass auf Niederlagen Rücktritte zu folgen haben. Selten hat sich eine Partei nach einer verlorenen Wahl so geräuscharm und geschmeidig aus der Affäre gezogen wie die SPD-Führung nach dem 23. Februar. Die Parteispitze, Lars Klingbeil und Saskia Esken, bleibt einfach sitzen, so als wäre nichts passiert. Dabei hatte sie bei der Kandidatenkür die Debatte laufen lassen und, ohne die Alternative Boris Pistorius zu wollen, bei der Demontage von Olaf Scholz zugeschaut.
Dieser Mangel an Führungsstärke führt nun erstaunlicherweise zu einem Karrieresprung für Klingbeil, der zum Doppelchef von Partei und Fraktion befördert wird. Der Generationswechsel in der SPD, den Klingbeil einfordert, meint wohl vor allem sich selbst. Die kalte Chuzpe dieses Manövers erinnert an Frank-Walter Steinmeier 2009, der sich, nachdem er die Wahl spektakulär verloren hatte, einfach zum neuen Fraktionschef ausrief. Die SPD-Linke schaute damals staunend und überrumpelt zu.
Die SPD-Rechten waren schon immer besser in internen Machtspielen. Klingbeil ist zudem ein guter Netzwerker. Die neue Machtarchitektur der SPD ist somit absehbar: Klingbeil und Pistorius bilden das Entscheidungszentrum, Esken darf, irgendwie links und ohne Einfluss, bleiben, solange sie nicht stört. Die Post-Ampel-Sozialdemokratie ähnelt damit einer niedersächsischen Regionalpartei. So viel Osnabrück und Soltau war nie. Und Generalsekretär Mathias Miersch kommt aus Hannover.
In Strömungsbegriffen gedacht, kippt die Bundes-SPD deutlich nach rechts. Klingbeil ist Sohn eines Soldaten, Pistorius als Verteidigungsminister ein Freund von Aufrüstung und klarer Ansprache. Dafür muss Rolf Mützenich – der kluge, umsichtige, gedämpft linke und militärskeptische Fraktionschef – gehen. Die SPD macht sich damit hübsch für die anstehende Koalition mit der Union. Aus den hinteren Reihen und von Jusos hört man noch vereinzelte Rufe, sich nicht zu schnell und zu billig mit der Union zu einigen. Sie werden verhallen.
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