SPD-Chefin zur Rassismus in der Polizei: „Seehofer regelt das nicht alleine“
Die Polizei-Rassismus-Studie wird kommen, versichert SPD-Chefin Saskia Esken. Und formuliert eine Kampfansage an den CSU-Innenminister.
taz: Frau Esken, wird das Innenministerium eine Studie über Rassismus in der Polizei beauftragen – oder nicht?
Saskia Esken: Ja, das wird es tun. Die Studie muss unabhängig und wissenschaftlich erstellt werden. Es geht darum, den Polizeialltag zu untersuchen und zu fragen, ob es Strukturen gibt, die rassistische Einstellungen begünstigen. Wir haben an dieser Einigung mitgewirkt und werden auch an dem Studiendesign mitwirken.
Minister Seehofer sagt, dass sich die Studie mit Gewalt gegen Polizei befassen soll. Das Ministerium spricht von einzelnen Beamten, die mitunter „Vorurteile gegen bestimmte gesellschaftliche Gruppen“ haben. Hat das mit der Rassismusstudie, die die SPD forderte, noch etwas zu tun?
Das lässt sich verbinden. Im Fokus soll die Frage stehen, ob der Polizeialltag dafür sorgt, dass rassistische Denkmuster verstärkt werden. Dass Herr Seehofer die Einigung über diese Studie, die er nie wollte, jetzt so darstellt, wie er sie gern sehen möchte, ist nicht überraschend. Aber er regelt das nicht alleine.
Laut Seehofer stehen mehr als 99 Prozent der PolizistInnen fest zur Verfassung. Können Wissenschaftler bei einer so klaren Vorgabe des Auftraggebers noch neutral forschen?
59 Jahre alt, seit Dezember 2019 Bundesvorsitzende der SPD in einer Doppelspitze mit Norbert Walter-Borjans. Seit 2013 Mitglied im Bundestag. Für ihre Forderung, rassistische Strukturen in der deutschen Polizei aufzuarbeiten, wurde Esken von CDU, FDP und der Gewerkschaft der Polizei harsch kritisiert.
Die große Mehrheit der Polizei steht Rechtsextremismus kritisch gegenüber, davon bin auch ich überzeugt. Das in Prozentzahlen anzugeben, halte ich aber für gewagt. Angesichts der vielen Nachrichten über rechtsextreme Chatgruppen und Netzwerke in der Polizei können wir nicht mehr von Einzelfällen reden. Es ist eine gute Entwicklung, dass Polizisten und Polizistinnen vermehrt auf solche Chatgruppen hinweisen und Ermittlungen ermöglichen.
Seehofer sagt, es gebe weder einen neuen Stand noch eine Rassismusstudie. Das Studiendesign ist also unklar.
Olaf Scholz hat gesagt, dass man sich in der Regierung auf eine solche Studie geeinigt hat. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Aber am Ende entscheidet der Innenminister.
Wenn das so wäre, hätte es keiner Absprache im Vorfeld bedurft.
Sie haben im Juni gesagt, es gebe „latenten Rassismus“ bei der Polizei. Sehen Sie das noch immer so?
Ja. Ich habe damals aber auch gesagt, dass die große Mehrheit der Polizisten und Polizistinnen solchen Tendenzen kritisch gegenübersteht. Wie groß das Problem ist, ob und wie rassistische Denkmuster im Polizeialltag entstehen oder verstärkt werden, das soll Gegenstand der Studie sein. Erst aus der Erkenntnis heraus können wir geeignete Maßnahmen ergreifen. Es darf keine rassistischen Stereotype im Umgang der Polizei mit Menschen mit Migrationshintergrund geben.
Sie glauben, dass die Seehofer-Studie „latenten Rassismus“ erfassen wird?
Wir werden über das Studiendesign gemeinsam debattieren und dafür sorgen, dass eine wissenschaftlich unabhängige Studie zu den relevanten Fragen dabei herauskommt.
Im Beirat, der die Studie begleiten soll, wird Jörg Radek, der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, sitzen.
Die GdP ist da eine wichtige Stimme. Aber der Beirat wird nicht nur aus Herrn Seehofer und Herrn Radek bestehen.
Die Regierung hat sich geeinigt: Hier die sogenannte Rassismusstudie – dafür gibt die SPD ihren Widerstand gegen den Einsatz von Staatstrojanern auf. Verfassungsschutz, BND und MAD sollen die Handys von Verdächtigen ausspähen können. Ist das für die SPD ein gutes Geschäft?
Ich war immer der Auffassung, dass der Einsatz von Staatstrojanern ein schwerer Eingriff in Grundrechte ist. Deshalb muss er sehr gut kontrolliert werden. Er ist aber auch eine Gefährdung der allgemeinen IT-Sicherheit. Denn dieser Trojaner kommt durch Sicherheitslücken auf das Handy.
Schadsoftware zu entwickeln oder einzukaufen und zu ihrer Einbringung Sicherheitslücken offenzuhalten, halte ich auch weiterhin grundsätzlich für sehr problematisch, weil es die IT-Sicherheit von uns allen infrage stellt.
Deshalb habe ich im Bundestag gegen den Staatstrojaner für die Polizei gestimmt und die Klage dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht unterstützt. Solange aber der Einsatz von Staatstrojanern rechtlich für die Polizei erlaubt ist, müssen auch die Geheimdienste diese Möglichkeit haben – parlamentarisch kontrolliert und begrenzt.
Geheimdienste spähen zur Gefahrenabwehr Handys aus – wird Ihnen da nicht mulmig?
Es geht nicht um flächendeckende Überwachung der Bevölkerung. Und die Dienste dürfen heute schon Telekommunikation überwachen, nur keine verschlüsselte. Das wird nun gezielt zur Gefahrenabwehr geändert.
Die SPD hatte dagegen lange Vorbehalte. Justizministerin Barley hat Handyüberwachung von Verdächtigen 2017 noch abgelehnt. Warum sagt die SPD jetzt doch Ja?
Auch Katarina Barley hat die Quellen-TKÜ…
… die Staatstrojaner…
… für die Polizei nicht stoppen können. Ich war damals dagegen, doch die SPD hat, außer bei den Diensten, zugestimmt. Im neuen Koalitionsvertrag ist vereinbart worden, die Gesetze an die Erfordernisse der digitalen Welt anzupassen. Die Ausweitung des Staatstrojaners auf die Dienste ist die Folge davon. Ich war damals schon nicht einverstanden, aber da war ich noch nicht Parteivorsitzende.
Also sind Sie da nicht in Haftung zu nehmen?
Ich hatte keinen Einfluss auf diesen Teil des Koalitionsvertrags.
Der Verfassungsschutz soll auch Einzelpersonen per Staatstrojaner ausspähen dürfen. Ein Argument dafür sind die von Einzeltätern begangenen Morde in Hanau und Halle. Hilft die Einzelperson-Ausspähung, um solche Morde zu verhindern?
Die Radikalisierung dieser beiden Täter war ja öffentlich erkennbar und nicht verdunkelt. Insofern sind ihre Taten kein sehr starkes Argument. Es ist vor allem wichtig, rechtsextreme Netzwerke intensiv zu beobachten. Die rechtsradikalen Chatgruppen von Polizisten nutzen verschlüsselte Kommunikation. Wenn rechte Netzwerke anfangen, Munitionslager und schwarze Listen für den Tag X anzulegen, muss der Verfassungsschutz genau hinschauen und schnell reagieren. Was dafür an rechtlichen Mitteln nötig ist, muss zur Verfügung stehen.
Die FDP hält den geplanten Einsatz der Staatstrojaner durch Geheimdienste für einen Ausverkauf von Bürgerrechten.
Vertrauliche Informationen auszuspähen und die Integrität der Kommunikation zu verletzen, ist immer ein Eingriff in Bürgerrechte. Der muss, wenn er nötig ist, gut begründet sein. Der Einsatzzweck muss klar sein, auch der Weg, wie die Trojaner auf die Geräte kommen. Wir werden das im parlamentarischen Verfahren hart debattieren. Zudem muss die parlamentarische Kontrolle effektiver werden. Auch das ist im Koalitionsvertrag vereinbart.
Die G10-Kommission des Bundestags, die alle Geheimdiensteingriffe in Kommunikation prüft, soll personell verstärkt werden. Ist das mehr als bloße Kosmetik?
Das ist keine Kosmetik. Eine ausreichende personelle Ausstattung ist Voraussetzung für effektive Kontrolle und diese ist unbedingt erforderlich. Ob das ausreicht, werden wir debattieren.
Vielleicht eine Rassismusstudie – dafür Staatstrojaner für die Geheimdienste. Hat sich die SPD von der Union über den Tisch ziehen lassen?
Nein. Auch Zielrichtung und Ausgestaltung der Studie sind Gegenstand der Vereinbarung von Merkel, Seehofer und Scholz. Ich lege großen Wert darauf, dass die Studie rassistische und antisemitische Denkmuster in den Reihen der Polizei beleuchten wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands