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SIPRI-Friedensforscher zu Atommwaffen„Atomwaffen garantieren keine Sicherheit“

Das Friedensforschungsinstitut SIPRI warnt vor einem neuen atomaren Rüstungswettlauf. Alle Atomwaffenstaaten modernisierten derzeit ihre Arsenale.

Seit Jahrzehnten wird gegen Atombomben protestiert – jetzt werden sie wieder mehr Foto: David Moir/reuters

Stockholm dpa | Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri warnt angesichts der höchst angespannten Weltlage vor einem erneuten Rüstungswettlauf der Atommächte. Wie aus dem neuen Jahresbericht des unabhängigen Instituts hervorgeht, werden die weltweiten Atomwaffenarsenale immer weiter ausgebaut und modernisiert.

Fast alle Atomwaffenstaaten hätten sich 2024 weiterhin in intensiven Modernisierungsprogrammen befunden, bestehende Waffen nachgerüstet und ihnen neuere Versionen hinzugefügt, schreiben die Friedensforscher. Ein gefährliches neues nukleares Wettrüsten zeichne sich ab – und das in einer Zeit, in der es äußerst schlecht um die Verträge zur Rüstungskontrolle stehe.

Den weltweiten Gesamtbestand an Atomsprengköpfen schätzt Sipri auf 12.241. Davon befinden sich rund 9.614 für den potenziellen Einsatz in militärischen Lagerbeständen – das sind etwa 29 mehr als im Vorjahr. Schätzungsweise 3.912 der Sprengköpfe wurden demnach auf Raketen oder auf aktiven Stützpunkten platziert, darunter waren wiederum rund 2.100, die in hoher Einsatzbereitschaft gehalten wurden. All diese Werte bilden den Stand im Januar 2025 ab.

Neun Staaten der Erde gelten als Atommächte. Dazu zählen in erster Linie die USA und Russland, die historisch bedingt durch den Kalten Krieg auch heute noch zusammen über fast 90 Prozent aller Atomwaffen verfügen. Hinzu kommen Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel, das öffentlich nach wie vor nicht einräumt, im Besitz nuklearer Waffen zu sein. Deutschland besitzt keine Atomwaffen.

Eskalation zwischen Israel und dem Iran

Erneute Atomdebatten in Europa, Nahost und Ostasien deuten Sipri zufolge darauf hin, dass potenziell weitere Staaten ihre eigenen Kernwaffen entwickeln könnten. Die Atombemühungen des Irans sehen die Friedensforscher dabei zunehmend vom eskalierenden Konflikt mit Israel beeinflusst: Während dabei in innenpolitischen Debatten die potenziellen Vorteile einer nuklearen Abschreckung thematisiert würden, signalisiere die iranische Führung bei Gesprächen mit den USA über eine Wiederbelebung des Atomabkommens mit dem Westen Bereitschaft für atomare Zurückhaltung, heißt es im Bericht.

Israel hatte vor wenigen Tagen mit Großangriffen auf iranische Städte und Atomanlagen begonnen und dies unter anderem damit begründet, dass der Iran „nach dem Bau einer Atombombe in nächster Zeit“ strebe. Teheran hat das stets dementiert.

Seit Jahrzehnten ist die weltweite Zahl der Atomwaffen kontinuierlich gesunken – zu Spitzenzeiten des Kalten Krieges lag sie mehr als fünfmal so hoch wie heute. Dieser Rückgang ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Russland und die USA ausrangierte Sprengköpfe nach und nach demontieren.

Bei der Zahl der einsatzfähigen Atomwaffen beobachtet Sipri dagegen schon seit längerem einen Anstieg. Während sich das Tempo der Demontage verlangsame, beschleunige sich zeitgleich die Bereitstellung neuer Waffen. Mit anderen Worten: Es sieht danach aus, dass bald mehr neue Atomwaffen bereitgestellt als alte ausrangiert werden. Der Gesamtbestand könnte damit in den nächsten Jahren erstmals wieder steigen.

Rüstungskontrollverträge gibt es kaum noch

„Die Ära der Verringerung der weltweiten Atomwaffenzahl, die seit dem Ende des Kalten Krieges andauerte, geht zu Ende“, stellt der Sipri-Experte Hans Kristensen fest. „Stattdessen beobachten wir einen klaren Trend hin zu wachsenden Atomwaffenarsenalen, verschärfter nuklearer Rhetorik und der Aufkündigung von Rüstungskontrollabkommen“, warnt er.

Gleich mehrere Abrüstungs- und Kontrollverträge haben in jüngerer Zeit stark gelitten. 2019 hatten die USA unter dem damaligen wie heutigen Präsidenten Donald Trump den INF-Vertrag zum Verzicht auf landgestützte atomare Kurz- und Mittelstreckenraketen gekündigt und ein Jahr später auch den Rückzug aus dem Vertrag Open Skies über internationale militärische Beobachtungsflüge angekündigt. Daraufhin hatte auch Russland den Open-Skies-Austritt verkündet.

2022 vollzog Russland nach seinem Einmarsch in die Ukraine seinen Austritt aus dem Abrüstungsvertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag). Das Land von Kremlchef Wladimir Putin setzte damals auch den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag New Start mit den USA außer Kraft. Gespräche über ein Nachfolgeabkommen liegen seitdem auf Eis. Findet sich keine Lösung, läuft der Vertrag im Februar 2026 aus.

China rüstet auf

Im Schatten Washingtons und Moskaus kristallisiert sich derweil immer stärker eine dritte führende Atommacht heraus, die sich laut Sipri mitten in der umfassenden Modernisierung und Ausweitung ihres Atomwaffenprogramms befindet: China. Die chinesischen Bestände werden von dem Institut auf etwa 600 nukleare Sprengköpfe geschätzt. Das sind mittlerweile mehr als Frankreich (290) und Großbritannien (225) zusammen.

„Chinas Atomwaffenarsenal wächst schneller als das jedes anderen Landes: seit 2023 um etwa 100 neue Sprengköpfe pro Jahr“, heißt es im Sipri-Bericht. Tendenz: weiter steigend.

Dann wären da noch Indien und Pakistan. Nach der jüngsten Konfrontation zwischen den beiden rivalisierenden Atommächten herrscht seit Mitte Mai eine Waffenruhe unter ihnen. Es habe eine Gefahr bestanden, einen konventionellen Konflikt in eine nukleare Krise zu verwandeln, erklärt Sipri-Experte Matt Korda. „Dies sollte eine eindringliche Warnung für Staaten sein, die ihre Abhängigkeit von Atomwaffen erhöhen wollen.“

Die jüngsten Feindseligkeiten zwischen Indien und Pakistan zeigten, dass Atomwaffen keine Konflikte verhinderten, sagt er. „Es ist entscheidend, sich daran zu erinnern, dass Atomwaffen keine Sicherheit garantieren.“

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9 Kommentare

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  • Die Bedrohung durch einen Atomkrieg ist eine der größten Gefahren für die Menschheit. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein unberechenbarer Staatsführer den Einsatz von Atomwaffen befiehlt, gering erscheinen mag oder sogar gering ist, bleibt das Risiko bestehen.



    Selbst kleine Wahrscheinlichkeiten summieren sich über die Zeit, sodass auf lange Sicht die Wahrscheinlichkeit für den Einsatz von Atomwaffen nahezu bei 1 liegt. Es ist daher nicht die Frage, _ob_ ein Atomkrieg stattfinden wird, sondern lediglich, _wann_ er eintritt.

    Diese unausweichliche Logik unterstreicht die Dringlichkeit, Maßnahmen zur Abrüstung und internationalen Zusammenarbeit zu verstärken, um dieses katastrophale Szenario zu verhindern.

  • "Es ist entscheidend, sich daran zu erinnern, dass Atomwaffen keine Sicherheit garantieren.“

    Stimmt aber russischen Atomwaffen garantieren, dass westliche Pazifisten bereits sind, dem russischen Expansionsstreben hinzunehmen...Immerhin etwas.

    • @Chris McZott:

      Das sind nicht unbedingt Pazifisten.



      Schon 2014 sagte Karl Schlögel in einem Interview:



      "Der Witz ist, dass wir gerade keine Russland-Versteher haben, die uns erklären könnten, was geschieht. Stattdessen gibt es sentimentalen Kitsch, apolitische Friedenssehnsüchtige, die den Kopf einziehen. Es wird Krieg geführt und man weigert sich anzuerkennen, dass ein Land ein anderes Land militärisch angegriffen hat. Diese Mischung aus Sentimentalität, Nostalgie, Feigheit und Kitsch!"

      • @e2h:

        Die Frage ist sogar, ob es sich (in einigen Fällen) nicht nur um Feiglinge oder naive Gemüter handelt, sondern um Personen, die überzeugte Anhänger des russischen Imperialismus' sind.

        Waren nicht schon "Pazifisten" der Linkspartei zu den Siegesparaden auf dem roten Platz eingeladen um sich dort die Großartigkeit des russischen Militärs präsentieren zu lassen? Beides zusammen geht eigentlich nicht.

  • "Die jüngsten Feindseligkeiten zwischen Indien und Pakistan zeigten, dass Atomwaffen keine Konflikte verhinderten, sagt er."

    Das ist ein Denkfehler. Der Konflikt ist NICHT eskaliert und inzwischen beendet, da beide wissen, dass beide Atomwaffen haben.

    Die Ukraine hat ihre ABGEGEBEN und würde überfallen von einer Atommacht (Rußland).

    Merksch was?

    • @GregTheCrack:

      Ist das kausal?



      Wenn die Ukraine die Atomwaffen noch gehabt hätte, hätten die sie sofort eingesetzt? Eher unwahrscheinlich, da es die eigene Zerstörung bedeutet hätte. Den Konfikt hätte es trotzdem gegeben. Wer weiss, wie die Waffen gesichert hätten werden können. Vielleicht hätte eine Zerstörung der Depots längst zu großen Verseuchungen geführt.



      Aber vielleicht wäre es auch eine Rückversicherung für den allerletzten Fall gewesen. Lauter Konjunktive.

      • @fly:

        Natürlich bleibt vieles hypothetisch – aber Atomwaffen wirken in erster Linie nicht durch ihren Einsatz, sondern durch Abschreckung. Hätte die Ukraine ihre Waffen behalten, hätte Russland die Invasion womöglich anders kalkuliert. Nicht weil ein Einsatz wahrscheinlich gewesen wäre, sondern weil das Risiko für Moskau unkontrollierbar geworden wäre.

        Am besten wäre es natürlich, wenn niemand Atomwaffen besitzen würde. Aber die Realität sieht leider anders aus – und in dieser Realität kann ein nuklearer Schutzschirm allein durch seine Existenz Konflikte verhindern. Ich glaube, dass die Staatengemeinschaft unter diesen Umständen früher und entschlossener reagiert hätte. Es geht nicht darum, ob die Ukraine die Waffen eingesetzt hätte – sondern darum, ob der Krieg unter anderen Bedingungen vielleicht gar nicht erst begonnen hätte.

  • Investition in A-Waffen ist geldwerte Verschwendung, da wir in wenigen Jahren hunderte Milliarden für die Reparatur der auf uns zukommenden Kliimakatastrophen benötigen. Dann werden wir das Geld nicht haben und das wird uns wirtschaftlich schwer zusetzen. Da ist die derzeitige Wirtschaftslage ein Sandspielkasten. Und das ist keine plumpe Angstmacherei, denn die Vorboten sehen wir bereits seit wenigen Jahren und die Rückversicherer stehelen sich bereits aus der Risikoübernahme raus, da sie wissen, das sie zukünftige Deckungen nicht mehr halten können.

    • @Sonnenhaus:

      gab ja mal das Megatons to Megawatt Programm. 10% des Strom wurden damals (angeblich) in den USA aus waffenfähigem Material erzeugt. Aber auch ohne diese Technologie würde ich nicht von geldwerter Verschwendung sprechen, ganz im Gegenteil. Da reicht ein Blick in die Ukraine.