Russlands Luftangriffe in Syrien: Ein strammer „Raketengruß“
Putins Chefpropagandist Dmitrij Kiseljow läuft in Kriegszeiten zur Höchstform auf. Jetzt kann er es dem Westen so richtig zeigen.
Eine Luftflottille von bemerkenswerter Effektivität. So beeindruckend, dass sich Kriegsveteranen an eine Anekdote aus den letzten Tschetschenienkriegen erinnert fühlten. Darin bezifferte Pressoffizier Iwanow die Verluste der tschetschenischen Freischärler auf 500, woraufhin sich empört der Kommandeur einschaltete: „Iwanow, schonen sie den Gegner nicht! Machen sie 1000 draus!“
Auch Dmitrij Kiseljow gehört zu jener Truppe, die Siege herbeifabulieren. Diese Woche hieß der Chefpropagandist des Kreml die Zuschauer des wöchentlichen Politmagazins „Nachrichten der Woche“ mit einem „raketnij privet“ willkommen - einem Raketengruß. Seit Tagen beherrschte der „Kalibr“, Moskaus erster Marschflugkörper, Russlands Nachrichtensendungen. Er sei schneller, präziser und flöge weiter als das Tomahawk, das amerikanische Pendant, meinte der Moderator.
Am Mittwoch vergangener Woche hatte nach offiziellen Angaben die Marine von vier Kriegsschiffen im Kaspischen Meer aus mehr als zwei Dutzend Marschflugkörper auf Ziele des IS in Syrien abgeschossen. Ein Feuerwerk als Geschenk für Oberbefehlshaber Wladimir Putin, der am selben Tag seinen 63. Geburtstag beging. Lang und breit erklärte Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor laufender Kamera dem Vorgesetzten Produktion und Einsatz der Präzisionswaffe. Wie immer ergänzt von erstaunlichen Fachkenntnissen des Präsidenten, der ihm gegenüber saß.
Dank an den Militärisch Industriellen Komplex
Tage hätte es gedauert, bis der Westen für diesen erfolgreichen Einsatz Worte gefunden hätte. Diese Übung müsse den Amerikanern Schauder über den Rücken gejagt haben, meinte Kiseljow.
Um die Einmaligkeit des Ereignisses zu unterstreichen, wird am Sonntagabend noch ein „Blitzinterview“ mit dem Kremlchef eingespielt. Putin dankt dem Militärisch Industriellen Komplex (MIK) für dessen ausgezeichnete Arbeit und den Militärs für die brilliante Ausführung des Unternehmens.
Die Botschaft an die Zuschauer ist unmissverständlich: Es ist vollbracht, waffentechnisch haben wir mit den USA gleichgezogen. Dergleichen verfängt in einem Land, dessen Bürger stolz auf die Leistungen der Rüstungsindustrie sind. Sollte jemand dennoch angesichts der Wirtschaftskrise die hohen Ausgaben infrage stellen, so kam ihm der Kremlchef auch darin zuvor: Nicht nur die Grundlagenforschung mache Fortschritte, auch die zivile Produktion profitiere von den Erfindungen der Rüstungsindustrie.
Unterdessen kämpfen in Syrien russische Verbände erstmals außerhalb der Grenzen der früheren Sowjetunion. Die Erinnerungen an das blutige Abenteuer in den 1980ern in Afghanistan sind noch nicht verblichen. Moskau setzt diese unrühmliche Geschichte noch immer zu. Wladimir Putin lehnte den Einsatz russischer Bodentruppen in Syrien denn auch entschieden ab, reagierte jedoch etwas nervös, kaum war die Frage gestellt.
„Neues Afghanistan“
Dafür gibt es zurzeit noch keinen Grund. In Umfragen des unabhängigen Lewada-Zentrums unterstützten 72 Prozent der Bürger die Luftschläge gegen den IS. 47 Prozent halten es auch für richtig, Diktator Baschar al -Assad zu stärken. Einen Wermutstropfen indes stellen die 39 Prozent dar, die im Falle einer Intervention Syrien als „neues Afghanistan“ nicht ausschließen wollen. Sieben Prozent halten es gar für unvermeidlich.
Noch experimentiert Russland, wie es mit dem neuen Kriegsschauplatz im Nahen Osten umgehen soll. Selbst die Meteorologen des Fernsehens versuchen Optimismus zu verbreiten. Und darin sind sich alle einig: günstiger hätte der Zeitpunkt für einen Lufteinsatz nicht gewählt werden können. Oktoberwetter sei auch Flugwetter. Nur Sandstürme könnten gelegentlich die empfindliche Technik beeinträchtigen.
Für die meisten Russen liegt Syrien noch weit entfernt. Die antiwestliche Ideologin Veronika Kraschenikowa sieht das anders. In Syrien verteidige die russische Luftwaffe die „entfernten Grenzen“ Russlands, sagt sie in der NTW-Talkshow „Die Mehrheit“. Die Umstellung vom Kriegsschauplatz Ukraine auf den Nahen Osten fällt dem TV-Publikum schwerer als den Kriegsberichterstattern. Einige von ihnen haben den Donbas schon in Richtung Syrien verlassen. Vorübergehend könnte das bedeuten, dass im Donbas Ruhe einkehrt.
In der Ukraine durften die russischen Journalisten Moskaus Soldaten nicht als Armeeangehörige bezeichnen, offiziell liefen sie unter „Freiwillige“. In Syrien muss sich niemand mehr verstellen. Im Gegenteil. Dort verteidige Russland zum vierten Mal in der Geschichte das Abendland vor dem Untergang, ist Dmitrij Kiseljow überzeugt.
Wie gesagt, noch wird experimentiert. Dazu gehört auch der Versuch des Abgeordneten Semjon Bagdasarow, der im Nachrichtenkanal Rossija24 mal eben die „heilige Erde“ Syriens für Russland beanspruchte. In Anlehnung an die Bewegung „Krimnasch“ (die Krim ist unser) schuf er dasselbe für Syrien. „Syrien ist unser Land“, behauptet er. Ohne Antiochia gäbe es weder die Orthodoxie noch die heilige Rus.
Antiochia heißt heute Antakya und gehört zur Türkei. Vermutlich hatten die russischen Kampfjets, die vergangene Woche mehrmals den türkischen Luftraum verletzten, schon neue Karten. Dabei geht es Moskau weder um Syrien noch die Türkei. Es ist wie besessen vom Hass auf die USA.
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