Russischer linker Professor festgenommen: Vorwurf des „Terrorismus“
Russlands Finanzaufsichtsbehörde hat Boris Kagarlitzki auf die Terrorliste gesetzt. Dem linken Politik-Professor drohen sieben Jahre Haft.
Russlands bekanntester Linker, der Soziologe Boris Kagarlitzki, soll dem Terrorismus Vorschub leisten. Dies meinen zumindest die russischen Strafverfolgungsbehörden, die den Marxisten am 25. Juli in Moskau verhaftet und anschließend nach Syktywkar, die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Komi, gebracht hatten. Dort wurde für den 64-Jährigen eine zweimonatige Untersuchungshaft angeordnet. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu sieben Jahre Haft.
Diese Woche hat Russlands Finanzaufsichtsbehörde Rosfinmonitoring Kagarlitzki nun in ihre Terrorliste aufgenommen. Dort stehen Personen, gegen die ein Verfahren wegen Extremismus oder Terrorismus läuft. Zum Verhängnis geworden war dem Politik-Professor ein Post vom 8. Oktober 2022 auf seinem Telegram-Kanal. Dort bezeichnete er den Anschlag auf die Krim-Brücke als vom militärischen Gesichtspunkt aus betrachtet „mehr oder weniger verständlich“.
Kagarlitzki verurteilt Russlands Krieg gegen die Ukraine genauso wie Wladimir Putins repressive Macht. In seinem letzten Interview vor der Verhaftung beklagte er die „repressiven Gesetze, die nur verabschiedet wurden, um Willkür und Manipulationen zu ermöglichen“.
Für viele Weggefährten Kagarlitzkis kam die Wende vom Unterstützer der Krim-Annexion zum Kritiker der „Spezialoperation“ unerwartet. Geradezu euphorisch hatte Kagarlitzki 2014 und 2015 die Separatisten in den Gebieten Donezk und Luhansk unterstützt. Dieser „erfolgreiche Aufstand von Hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen“ könne nicht mit einer Einmischung Russlands erklärt werden, hatte er 2014 noch öffentlich geschrieben. Und 2015 hatte er gegenüber der russischen Agentur Regnum gar bedauert, dass „Noworossija“ nicht auch Mariupol eingenommen hat.
Die Herrschenden fürchten ihn
Wenige Jahre später entwickelte sich der Marxist zu einem Gegner von Präsident Putin und dessen Ukraine-Politik. 2020 unterstützte er die Protestbewegung in Belarus, ein Jahr später setzte er sich für die Freilassung von Alexei Nawalny ein.
Nach dem 24. Februar 2022 veröffentlichte Kagarlitzki, Chefredakteur des Blogs „Rabkor“, dort ein „Manifest von Sozialisten gegen den Krieg“ und forderte „Frieden für die Völker und Krieg den Palästen!“ Im Mai 2022 wurde Kagarlitzki für seine Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom russischen Justizministerium zum ausländischen Agenten erklärt.
Dass man Kagarlitzki sofort nach seiner Verhaftung ins ferne Syktywkar brachte, zeigt auch, wie sehr ihn die Herrschenden fürchten. Das dürfte daran liegen, dass er Zugang zu einem Milieu hat, das den anderen Kritikern des Krieges aus dem liberalen Spektrum verschlossen ist. Linke, Gewerkschaftsaktivisten und Arbeiter, die von der Kommunistischen Partei enttäuscht sind, gehören genauso dazu wie Gegner der Maidan-Bewegung.
Auf Kagarlitzki angesprochen, antwortete Wladimir Putin Journalisten, er höre diesen Namen zum ersten Mal. Er wird ihn sicherlich nicht zum letzten Mal gehört haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren