Russische Deportationen aus der Ukraine: Fakten schaffen ohne Waffen

Verschleppungen von Ukrai­ne­r*in­nen nach Russland sind seit Monaten Praxis. Der Kreml will auch so die Ukraine von der Landkarte tilgen.

Ein Soldat nimmt einer Frau vor einem Bus Gepäck ab.

Mariupol im Mai: Zi­vi­lis­t*in­nen steigen zur Evakuierung in einen Bus Foto: Alessandro Guerra/epa

Es ist wichtig, dass die USA Deportationen von Ukrai­ne­r*in­nen nach Russland gerade jetzt vor dem UN-Sicherheitsrat zum Thema gemacht haben. Nur: Was für viele wie eine neue schockierende Nachricht daherkommen mag, ist bereits seit Monaten weitverbreitete Praxis und fester Bestandteil der russischen Kriegsstrategie. Nach wie vor lautet die von oberster Stelle verordnete Vorgabe, die ­Ukraine, diesen „bedauerlichen Unfall der Geschichte“, von der Landkarte zu tilgen. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es nicht nur den Nachbarn um den Preis sinnloser Zerstörung und Zigtausender Toter militärisch in die Knie zu zwingen, sondern auch die Köpfe und Herzen der Menschen zu erobern – unter Einsatz von Zwang und Gewalt. Nach dem Motto: Fakten schaffen auch ohne Waffen.

Wie das funktioniert, ist zahlreichen Berichten und Zeu­g*in­nen­aus­sa­gen zu entnehmen, beispielsweise aus und über Mariupol. Menschen, schwer traumatisiert vom wochenlangem Überlebenskampf im Bombenhagel und nur mit einem One-Way-Ticket ausgestattet, werden einfach verschleppt. Ihre Unterbringung in sogenannten Filtrationslagern erinnert an finsterste Zeiten aus den beiden Tschetschenienkriegen. Registrierung? Von wegen. Stattdessen Gehirnwäsche, Folter, Erniedrigung, Verschwindenlassen oder Tod.

Besonders Waisenkinder – es soll Tausende Fälle geben – sind eine hochwillkommene Beute. Da fällt es noch am leichtesten, das verhasste kulturelle ukrainische Gedächtnis auszulöschen und gehorsame Rus­s*in­nen heranzuziehen.

Selbst diejenigen, die diesen Terror überleben, sind ihren neuen Machthabern hilflos ausgeliefert. Oder wie sonst sollte jemand, der oder die sich plötzlich im hintersten Winkel Russlands wiederfindet und komplett mittellos ist, diesem Freiluftknast entkommen können?

Wie viele Ukrai­ne­r*in­nen betroffen sind, weiß niemand. Doch es könnten noch weitaus mehr Menschen zu Opfern dieses Vorgehens werden, das ein klarer Bruch humanitären Völkerrechts ist. Warum? Erfolge der russischen Truppen lassen auf sich warten. Den ganzen Donbass bis zum 15. September zu besetzen scheint illusorisch. Stattdessen machen die ukrainischen Streitkräfte in den russisch besetzten Gebieten Boden gut. Um dort geplante Pseudoreferenden Moskaus ist es still geworden. Dafür sollten diejenigen Organisationen, die Kriegsverbrechen dokumentieren, umso lauter werden. Ihre Arbeit ist von unschätzbarem Wert – nicht nur, um Tä­te­r*i­­nnen zur Verantwortung zu ziehen, sondern auch, um den Opfern eine Stimme zu geben.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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