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Rüstungspolitik in GroßbritannienKeir Starmer rüstet auf gegen Putin und Farage

Die Labour-Regierung will die globale Sicherheit durch massive Militärinvestitionen erhöhen. Zugleich sei es eine „Verteidigungsdividende“ für das eigene Land.

„Die Frontlinie ist hier“: Keir Starmer mit den Werftarbeitern von Govan bei Glasgow, Montag Foto: Andy Buchanan/ Pool via reuters

London/Berlin taz | Zwölf neue atomar betriebene Angriffs-U-Boote. 15 Milliarden Pfund (18 Mrd. Euro) für das britische Atomwaffenarsenal. Luftgestützte Atomraketen zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges. Neue Waffenmanufakturen, in denen 7000 Langstreckenraketen hergestellt werden sollen. Munitionsproduktion für sechs Milliarden Pfund. Neue Drohnen. Ein neues Cyber-Abwehrkommando. Bessere Unterkünfte für Soldaten und ihre Familien. Die größten Solderhöhungen seit 20 Jahren. Über 30.000 neue Jobs im Militärsektor. Das sind nur einige Punkte im neuen Verteidigungsstrategiepapier „Strategic Defence Review“, das Großbritanniens Regierung am Montag vorstellte.

Die Bedrohung ist ernster und unmittelbarer denn je seit dem Kalten Krieg

Premierminister Keir Starmer

Das Strategiepapier ist Ergebnis einer Überprüfung, unter Leitung des britischen ehemaligen Nato-Generalsekretärs Lord Robertson, die die Labour-Regierung direkt nach ihrer Amtsübernahme am 5. Juli 2024 in Auftrag gab. Auch Experten aus den USA, Frankreich und Deutschland wurden zeitweise einbezogen. Die wichtigsten Ziele präsentierte zunächst Premierminister Starmer bei einem öffentlichen Auftritt auf einer Werft im schottischen Govan, wo aktuell zwei Fregatten im Bau sind, bevor am Nachmittag Verteidigungsminister John Healey das Papier offiziell im Parlament vorstellen sollte.

„Die Bedrohung ist ernster, unmittelbarer und unvorhersehbarer denn je seit dem Kalten Krieg“, verkündete Starmer und zählte auf: Krieg in Europa, neue nukleare Gefahren, tägliche Cyberangriffe, russische Aggression auf See und in der Luft, Wirtschaftskrisen auf Kosten der „arbeitenden Menschen“.

Großbritannien, so Starmer, müsse angesichts dessen „führen“ und wieder „kriegstüchtig“ werden. Die Streitkräfte müssten „integrierter und letaler denn je“ werden, die britische Nation müsse zusammenstehen. Das sei die effektivste Abschreckung: Frieden durch Stärke liefern.

Drei Prozent des BIP bis 2034

Die Kosten, so der Premier, seien mit der geplanten Erhöhung des britischen Verteidigungsetats auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2027 gedeckt – die Einhaltung dieser Marke gehörte ausdrücklich zu den Arbeitsaufträgen bei der Erstellung des Strategiepapiers. Es sei die Ambition seiner Regierung, dies bis 2034 auf drei Prozent zu erhöhen, bekräftigte Starmer.

Das sorgt für Kritik. Denn während das 3-Prozent-Ziel erst für 2034 gilt, und das nur unverbindlich, setzen manche europäische Länder bereits ein 3,5-Prozent-Ziel, wenn nicht 5 Prozent. Aktuell liegen die britischen Verteidigungsausgaben bei 2,3 Prozent des BIP. Mit 0,2 Prozent mehr könne man die Folgen von dreißig Jahren Unterfinanzierung nicht ausgleichen, schreibt der ehemalige Marinegeneral Tom Sharpe im Daily Telegraph. Das Strategiepapier offenbare „eine Kluft zwischen dem, was das Verteidigungsministerium für nötig hält, und den 2,5 Prozent, die das Finanzministerium für leistbar hält“.

Starmer betonte, die Planungen stellten den größten britischen Beitrag zur Nato seit Gründung des Bündnisses dar. Die geplanten neuen U-Boote entstehen außerdem als Erweiterung des Verteidigungspakts Aukus mit den USA und Australien. Großbritannien wolle „der schnellste Innovator“ der Nato werden und die Lehren aus dem Ukrainekrieg ziehen.

Wink in Richtung Reform UK

Auf die Frage, ob Derartiges im Einklang mit sozialen Zielen steht, verwies Starmer auf Vlement Attlee, der Labour-Nachkriegspremier 1945–51. Unter ihm entstand sowohl die Nato als auch der britische Wohlfahrtsstaat. Atomwaffen sicherten den Frieden, Aufrüstung diene auch dem Wirtschaftswachstum, so Starmer. Das sei eine „Verteidigungsdividende“ für das britische Volk.

In einem BBC-Interview erweiterte Starmer seine Definition von Bedrohungen. Zur Frage, was seine Regierung von einer Regierung des Rechtspopulisten Nigel Farage unterscheide – Farages Partei Reform UK führt derzeit in den Meinungsumfragen – sagte er: „Farage und seine Partei haben eine prorussische Auslandspolitik. Es gibt keinen schärfen Unterschied zwischen uns.“

Beobachter halten auch Starmers Wahl einer schottischen Werft für seine bisher wichtigste verteidigungspolitische Rede für bedeutsam. Am Donnerstag findet eine Nachwahl zum schottischen Parlament statt, bei der Reform UK seinen ersten schottischen Sitz erringen könnte. „Die Frontlinie ist hier“, sagte Starmer über die Werft in Govan. Das galt nicht nur außenpolitisch.

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1 Kommentar

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  • Diese Sozialdemokraten sind wirklich nicht mehr zu retten. Hätte mir noch gerne ein paar Hinweise auf die bereits verkündeten Kürzungen im Sozialbereich gewünscht...