Rücktritt von Annette Kurschus: Der Glaube fehlt

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche wollte die Missbrauchs-Aufarbeitung selbst angehen. Jetzt fällt sie über dieses Thema.

Annette Kurschus sitzt in einer Kirchenbank

Annette Kurschus ist als EKD-Chefin zurückgetreten Foto: Harald Oppitz/KNA

Es ist ein Kreuz: Gerade einmal zwei Jahre war Annette Kurschus Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Jetzt ist sie mit sofortiger Wirkung zurückgetreten – nicht nur von diesem Amt, sondern auch als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. Auslöser für diesen Schritt ist der Vorwurf, einen Verdachtsfall sexualisierter Gewalt vertuscht zu haben.

Es ist äußerst müßig, darüber zu spekulieren, was Kurschus wann wusste, ob ihr diese Causa überhaupt zur Kenntnis gelangt ist und, falls ja, sie infolgedessen eine Unterlassungssünde begangen hätte.

Die Frage ist vielmehr, ob sie in dieser Situation hätte anders entscheiden können. Die Antwort lautet: Wohl kaum. Zum einen ist sie bereits jetzt massiv in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt – für die höchste Repräsentantin der EKD eine schwere Bürde, die ihre Handlungsspielräume massiv einschränkt.

Zum anderen hat sie die Aufarbeitung von „Missbrauch“ zur Che­f*in­nen­sa­che erklärt. Wer einen solch hohen moralischen Anspruch formuliert, muss sich auch daran messen lassen – eine Erkenntnis, die vielen Politiker*innen, so überhaupt jemals vorhanden, schon längst abhanden gekommen ist.

Dessen ungeachtet entbehrt Kurschus’ Abgang, der einem kleinen Erdbeben gleichkommt, nicht einer gewissen Tragik. Schließlich war ihre Wahl bei vielen Lu­the­ra­ne­r*in­nen auch mit Hoffnungen auf Reformen in der EKD verbunden, die als gewichtige und ernst zu nehmende Stimme in diesen von Krisen und Kriegen gezeichneten Zeiten vernehmbar sein sollte.

Es geht an die Grundfesten der Kirche

Welche Auswirkungen die jüngsten Ereignisse haben, ist nicht abzusehen. Tatsache ist jedoch, dass der EKD (wie auch der katholischen Kirche) immer mehr Mitglieder davonlaufen. Es gibt offensichtlich zu viele Baustellen – das Thema „Missbrauch“ ist nur eine davon, wenn auch eine hoch sensible.

Es geht an die Grundfesten der Institution Kirche – schon seit Langem. Bei der Aufarbeitung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt habe es Erfolge gegeben, heißt es in der Rücktrittserklärung von Kurschus. Welche Erfolge genau das sein sollen, erschließt sich nicht so recht.

Von außen betrachtet drängt sich vielmehr der Eindruck auf, die Kirche habe nach wie vor ein strukturelles Problem. Der 2020 gegründete Beirat von Missbrauchsbetroffenen war ein Flop. Ob eine entsprechende Expert*innenstudie, die bis Januar 2024 vorliegen soll, zu einem Motor für Aufklärung und Aufarbeitung wird – unklar. Dasselbe gilt für den/die Nach­fol­ge­r*in von Kurschus. Man will es sich wünschen – allein der Glaube fehlt.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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