piwik no script img

„Dark Souvenirs“ aus Russland: taz-Recherchen nach den Spuren russischer Desinformation in Deutschland Foto: Guillaume Herbaut/agence vu/laif

Rückblick auf unsere RecherchenWas aus taz-Recherchen wurde

Auch in diesem Jahr hat die taz zu Missständen recherchiert, zu denen bisher nicht berichtet wurde. Doch wie ging es nach den Recherchen weiter?

D ieses Jahr gab es wieder viele taz-Recherchen. Wir wollen hier einige vorstellen und berichten, was seit den Veröffentlichungen geschehen ist. Bei den Recherchen ging es um rechtsextreme Netzwerke und um russische Desinformation, um bedrohte Kommunalpolitiker und um Machtmissbrauch, um Fernsehsender für Verschwörungstheorien und um Kindesentführung.

Hinweise an die taz

Sie haben Hinweise auf einen Skandal, dem wir nachgehen sollten?

Wenden Sie sich an uns, gern auch anonym und ­verschlüsselt. Alle Kontaktmöglichkeiten finden Sie hier: taz.de/investigativ

Braun und blau in Sachsen Hand in Hand

Razzia gegen eine rechtsextremistische Vereinigung am Rande von Grimma am 5. November Foto: Tobias Junghannß/dpa

Es ist ein Fall, der die AfD in die Bredouille gebracht hat. Anfang November lässt die Bundesanwaltschaft in Sachsen acht Rechtsextreme festnehmen, sieben weitere durchsuchen. Sie stehen in Verdacht, eine rechtsextreme Terrorgruppe gegründet zu haben. Die Gruppe, die sich selbst „Sächsische Separatisten“ nannte, soll sich mit paramilitärischen Übungen und Schießtrainings auf einen gewaltsamen Umsturz vorbereitet haben. Bei den Festnahmen fanden Polizisten eine zweistellige Anzahl an Waffen.

Schnell ist klar: Sechs der Männer waren bei der AfD aktiv oder bei der Parteijugend, der „Jungen Alternative“ (JA). Zwei von ihnen saßen für die AfD im Stadtrat von Grimma und waren beim sächsischen AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner angestellt: Kurt Hättasch und Kevin Richter.

Die taz war nach den Festnahmen in Grimma, sprach dort mit Personen, die mit den Beschuldigten zu tun hatten, und legte offen, dass die Festgenommenen in der Stadt bereits einen festen Szenetreff aufbauten: das „Rote Haus“, unmittelbar am Bahnhof. Die acht Festgenommenen sind bis heute in Haft. Der mutmaßliche Rädelsführer Jörg S. ist in Polen, wo er zuletzt wohnte. Über seine Auslieferung soll am 16. Dezember verhandelt werden.

Mit Hättasch und Richter waren zwei Beschuldigte bereits im Sommer bei einer exklusiven Recherche der taz aufgefallen. Beide waren am 22. Juni auf einer Sonnenwendfeier im ostsächsischen Strahwalde, bei der Lieder der Hitlerjugend gesungen wurden und ein SS-Standartenführer geehrt wurde. Neonazis, Völkische und AfD-Politiker feierten damals Seite an Seite.

Das Auffliegen der „Sächsischen Separatisten“ befeuerte erneut die AfD-Verbotsdebatte. Der frühere Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) sagte der taz, der Fall zeige einmal mehr, dass „zügig“ ein Verbot der AfD geprüft werden müsse. Eine gute Woche nach den Razzien brachten Wanderwitz und 112 weitere Abgeordnete im Bundestag einen AfD-Verbotsantrag ein. Eine Debatte darüber soll im Januar folgen. Ob es noch in dieser Legislatur zu einer Abstimmung kommt, ist ungewiss.

In Grimma wiederum zeigten sich viele überrascht über die Terrorverdächtigen. Anzeichen wollte fast niemand gesehen haben, die kommissarische Oberbürgermeisterin Ute ­Kabitzsch gab sich „zutiefst erschüttert“.

Zwei Wochen nach der Festnahme versammelten sich rund 130 Bür­ge­r:in­nen zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz und forderten ein konsequentes Vorgehen gegen Rechtsextremismus in der Region. In der anschließenden Stadtratssitzung, der ersten seit der Festnahme von Hättasch und Richter, stand das Thema eigentlich nicht auf der Tagesordnung. Der Druck von De­mons­tran­t:in­nen und Medien führte schließlich doch zu einem Statement der Stadtratsmitglieder.

Die Stadtratsposten von Kurt Hättasch und Kevin Richter sind Mitte Dezember nachbesetzt worden. Der im Aufbau befindliche Treffort, das „Rote Haus“, dessen Eigentümer Hättasch und Richter sind, ist inzwischen verrammelt. Finanzier des Hauses war der frühere Berliner CDU-Senator Peter Kurth, der zuletzt schon die Nähe zur AfD suchte: Er gab ein Darlehen von 100.000 Euro.

Die AfD wiederum reagierte mit Parteiausschlussverfahren gegen die drei festgenommenen Parteimitglieder. Die Junge Alternative selbst hatte nach den Festnahmen erklärt, sie wolle erst einmal die Ermittlungen abwarten. Die AfD-Bundesspitze strebt derzeit an, die JA aufzulösen und neu zu struktrieren. Mit den „Sächsischen Separatisten“ habe das nichts zu tun, heißt es aus der Partei. Dieser Prozess sei schon Monate zuvor in Gang gesetzt worden.

Prison Break in Sachsen-Anhalt

Die JVA in Burg Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance

Es klingt wie der Stoff für einen Film: Unter den Gefangenen der Justizvollzugsanstalt in Burg, Sachsen-Anhalt, kursiert ein detaillierter Lageplan des Gefängnisses. Alle Räume und Etagen sind darauf verzeichnet, Einstiege, Personalschleusen, Brennstofflager, Schlüssel- und Saferaum, sogar die Orte, an denen Waffen und Munition zu finden sind.

Der Plan soll Spezialeinsatzkommandos im Notfall helfen. Auf keinen Fall sollten Gefangene ihn kennen. Doch dass dies offenbar der Fall war, brachten taz-Recherchen im November 2024 ans Licht. Sie offenbarten ein sicherheitsrelevantes Datenleck in einem Hochsicherheitsgefängnis.

Gefängnisrecherchen sind aufwendig, die Geschichten schwer überprüfbar. Um mit Gefangenen in Kontakt zu treten braucht es Geduld, Umwege, Briefe. Der Zugang zu Gefängnissen und ihren Insassen ist stark beschränkt.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Nachdem die taz von dem Lageplan erfahren hatte, reiste ein Reporter zu einem Treffen in einer Spelunke irgendwo in Deutschland, im Gepäck eine analoge Kamera, um das Beweismaterial zu fotografieren. Immer, wenn der Kellner vorbeikam, musste das Dokument zusammengefaltet werden. In schummrigem Licht entstanden Fotos. Woher der Plan kam und wie er unter Gefangenen kursieren konnte, ließ sich für die taz nicht eindeutig nachvollziehen.

Die taz konfrontierte das sachsen-anhaltinische Justizministerium mit den Recherchen. Anschließend überschlugen sich die Ereignisse. Noch bevor das Ministerium auf die taz-Fragen antwortete, wurde die Leiterin der JVA Burg vorläufig freigestellt. In der darauffolgenden Nacht durchsuchte eine Einheit des Ministeriums die JVA.

In der folgenden Woche beriet der Rechtsausschuss im Magdeburger Landtag über die Ergebnisse der taz-Recherche, Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) musste gegenüber der Opposition Stellung nehmen. Die Presse blieb ausgeschlossen, da es um Sicherheitsvorkehrungen und Persönlichkeitsrechte ging.

Die Staatsanwaltschaft Stendal ermittelt mittlerweile gegen Unbekannt wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und besonderer Geheimhaltungspflicht. Es gilt herauszufinden, wo die Informationen abgeflossen sind und wer darauf Zugriff hatte. Zudem laufen ein Verfahren gegen die ehemalige Anstaltsleiterin und eine Untersuchung im Justizministerium. Nach Informationen der taz sind bereits Insassen der JVA befragt worden.

Am 8. Januar, beim nächsten Rechtsausschuss, sollen weitere Details bekannt werden.

Entführung im Kriegsgebiet

Wiedersehen nach langem Kampf: Valeriia und ihre Tochter Foto: privat

Valeriia O. ist eine Frau, die es gewohnt ist, die Kontrolle zu haben. Die Ukrainerin leitet seit Jahren eine Hilfsorganisation, die ukrainische Frontstädte mit Shampoo, Brot und Plätzen für Kinderbetreuung versorgt. Sie arbeitet mit internationalen Organisationen, ihr Englisch ist fließend.

Doch als das russische Militär im Februar 2022 O.s ­Heimat, die Ukraine, überfällt, verliert sie von einem Tag auf den anderen die Kontrolle. Ihr Ex-Mann entführt das gemeinsame Kind, erst innerhalb der Ukraine, dann nach Russland, später nach Deutschland. Zweieinhalb Jahre wird Valeriia O. ihr Kind suchen. Sie wird sich dabei in große Gefahr begeben, sie wird Hilfe bekommen von ­Menschen, von denen sie es nicht gedacht hätte, und sie wird am Ende doch fast scheitern – an der deutschen Rechtsprechung.

Die taz hat Valeriia O. einige Monate während ihrer Suche begleitet. Eine Reporterin ist dabei, als Valeriia O. ihr Kind zugesprochen bekommt und es zum ersten Mal wieder unbeschwert in den Arm nehmen kann, nach zweieinhalb Jahren. Unter dem Titel „Nicht ohne ihre Tochter“ berichten wir im Juni diese Geschichte.

Wenige Tage nach der Gerichtsentscheidung reist Valeriia O. mit ihrer Tochter zurück in die Ukraine – entgegen der Absprache mit dem Ex-Mann vor dem deutschen Gericht. Sie lebt dort bis heute, in der Zentralukraine. Der Krieg, sagt O. heute, fühle sich weit weg an.

Valeriia O. hat viel zu tun gerade. Sie leitet weiterhin die NGO, parallel bereitet sie sich auf den Abschluss ihrer Doktorarbeit vor. Sie habe keine Zeit, zurückzublicken, sagt sie. Sie verspüre keine Wut mehr auf die deutschen Behörden, die ihr ihr Kind so lange vorenthalten hätten. Sie sei nur noch dankbar, sagt Valeriia O., für all die Menschen, die sie in den letzten Jahren unterstützt haben.

Ihrer Tochter gehe es gut. Sie besuche die dritte Klasse, habe dort viele neue Freunde gefunden. Ukrainisch spreche sie mittlerweile wieder fließend. Der Vater hatte nach der Entführung mit dem Kind nur noch Russisch gesprochen.

Über Deutschland sprechen die beiden kaum noch – nur manchmal, da sei Deutschland plötzlich sehr präsent. Dann telefoniere die Tochter mit ihren ukrainischen Freundinnen und spiele Schule. Sie bringt ihren Freundinnen so Deutsch bei.

Missbrauch bei SOS-Kinderdorf

Zwei Häuser des ersten deutschen SOS-Kinderdorfs in Diessen am Ammersee, aufgenommen 1956 Foto: sz photo/picture alliance

Es ging um drakonische Strafen, um Gewalt, um Demütigungen. Im Mai hatte die taz von Missbrauchsvorwürfen bei SOS-Kinderdorf berichtet. Heutige Erwachsene hatten geschildert, wie sie als Kinder in Dörfern der Organisation ­Missbrauch erlebt haben.

Ehemalige Mit­ar­bei­te­r:in­nen und Fachleute stützten die Vorwürfe. Die Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf Sabina Schutter nahm die Vorwürfe ernst. Zur Zeit der taz-Recherche war eine umfassende Untersuchung zur Aufarbeitung bereits im Gange.

Am 2. Oktober 2024 stellte die ­Unabhängige Kommission zur Anerkennung und Aufarbeitung erlittenen Unrechts beim SOS-Kinderdorf e. V. ihren Abschlussbericht vor. Zweieinhalb Jahre lang war die Ex­per­t:in­nen­grup­pe insgesamt 226 Meldungen nachgegangen. Darunter waren Fälle von pädagogischem Fehlverhalten, Vernachlässigung, Machtmissbrauch sowie sexuellen Übergriffen bei Kindern und Jugendlichen in ­SOS-Kinderdörfern in ganz Deutschland seit den 1970er Jahren.

Der Kommissionsbericht bestätigt, dass intern in zahlreichen Kinderdörfern über Jahrzehnte Vorfälle vertuscht und Kinder nicht gehört wurden. Das pädagogische Konzept der Kinderdörfer mit ihren abgeschotteten Hausmüttern und einer falsch verstandenen Autonomie hätten dies begünstigt. Viele Betroffene leiden bis heute unter den Folgen.

SOS-Kinderdorf-Chefin Schutter hat sich bei den ehemaligen Schutzbefohlenen entschuldigt. Immerhin 33 Fälle hat die Kommission an die Münchener Generalstaatsanwaltschaft weitergeleitet – Fälle, die noch nicht verjährt sind oder so gravierend, dass sie eine strafrechtliche Verfolgung nahelegen.

Missbrauch intern zu melden und sich Gehör zu verschaffen, teils viele Jahre später, ist eine Herausforderung für Betroffene; es besteht die Gefahr einer Retraumatisierung. Und selbst dann gibt es keinen Automatismus, dass solche Fälle auch juristisch verfolgt werden, wie die Fälle von Valentin Wrobl und Nici Müller aus dem taz-Bericht zeigen. In beiden Fällen kam es trotz Anzeigen nicht zu einem Gerichtsprozess.

Für die beiden Betroffenen war das eine enorme emotionale Belastung. Es dürfe niemanden wundern, sagte der Anwalt von Müller und Wrobl der taz, dass angesichts solcher Entscheidungen der Gerichte viele Betroffene auf eine Anzeigeerstattung verzichten. „Misshandlung und Missbrauch von Kindern bleibt für die Tä­te­r:in­nen einer der risikoärmsten Deliktsbereiche.“

Nach dem taz-Bericht meldeten sich mehrere ehemalige SOS-Kinderdorf-Mitarbeitende bei der taz und berichteten von Intransparenz, Überforderung und hierarchischer Willkür bei der Organisation. Vorständin Schutter hat zugesagt, die Empfehlungen der Unabhängigen Kommission aufzunehmen und umzusetzen.

Hybride Kriegsführung aus dem Kreml

Liebesgrüße aus Moskau Foto: Guillaume Herbaut/agence vu/laif

Der Innenausschuss des Bundestags reagierte prompt: Im September hatten die taz und die Süddeutsche Zeitung ­enthüllt, wie systematisch eine der größten Propagandafabriken Russlands, die Social Design Agency (SDA), Desinformationskampagnen in Europa und Deutschland durchführt. Eine Woche später ließen die Ampel-Fraktionen die Bundesregierung im Ausschuss über „russische Einflussnahme­operationen“ auf deutschem Boden berichten.

Die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter, bestätigte hinter verschlossenen Türen, dass die SDA im Auftrag der russischen Regierung auch hierzulande „psychologische Kriegsführung und Desinformation“ betreibe. Sie kündigte eine neue Projektgruppe an, die Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation (ZEAM).

Zuvor hatte die taz über Interna aus der SDA berichtet. Mit Hilfe dutzender interner Dokumente konnten wir zeigen, wie das russische Unternehmen deutsche Medien scannte, wie ihre Mit­ar­bei­te­r:in­nen versucht haben, Onlinedebatten mit prorussischen Narrativen zu fluten.

Persönlichkeiten aus Europa und Deutschland wurden von der SDA systematisch beobachtet, darunter Sahra Wagenknecht (BSW), Lars Klingbeil (SPD) und der Entertainer Dieter Bohlen. Die SDA verfolgte deren Onlineaktivitäten, sammelte pro- und antirussische Zitate, um diese zu instrumentalisieren. Mit Fakeaccounts intervenierten SDA-Leute in den sozialen Medien. So sollten Ängste geschürt, antiwestliche Stimmungen erzeugt werden – unter anderem, um bei der Europawahl im Juni rechte und rechtsextreme Parteien zu stärken, darunter explizit auch die AfD.

Seitdem waren die SDA und die russische Desinformation wiederholt Thema im Bundestag. Bundesaußen­ministerin Annalena Baerbock (Grüne) zitierte in einer Rede aus dem ­Arbeitsauftrag der SDA und warnte, dass Wladimir Putin eine ­„hybride Kriegsführung“ betreibe, die „mit jedem Tag gefährlicher wird“. Auch der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann warnte im Parlament, die „Enthüllungen“ der SDA-Kampagnen seien wohl „nur die Spitze des Eisbergs“.

Im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl warnten zuletzt auch der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz vor russischer Desinformation. Zur Gegenwehr hat der Verfassungsschutz eine Taskforce für die Bundestagswahl eingerichtet. Im Bundesinnenministerium tagt außerdem die AG Hybrid, in der mehrere Ministerien und Behörden versuchen, „hybride Bedrohungen“ zu verhindern. Und seit Herbst gibt es die neue Taskforce, die ZEAM, die Desinformation aufspüren und mit anderen Staaten kooperieren soll.

Betroffene der SDA-Kampagnen wie die frühere Linken-Chefin Janine Wissler, die von der SDA beobachtet wurde, beklagen dagegen, bis heute nicht von den Sicherheitsbehörden informiert worden zu sein. Sie wisse davon nur aus der taz. Aus der Erfahrung mit den Behörden nach früheren rechtsextremen Bedrohungen habe sie hier aber auch „keine größeren Erwartungen mehr“, sagte Wissler der taz.

Statistiken und rechtsextreme Einstellungen

Katja Kühn hängt ein Plakat mit dem Schriftzug „Bleibt Stabil“ am Seiteneingang des Bahnhofs in Markleeberg auf Foto: Leon Joshua Dreischulte

Wird die AfD häufiger von armen Menschen gewählt? Von Männern? Im ländlichen Raum? Lässt sich also anhand einzelner Strukturdaten voraussagen, wo die rechte Partei Erfolg haben wird?

Um diese Fragen zu klären, hat die taz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mit Wissenschaftlern des Institut für Rechtsextremismusforschung der Universität Tübingen (IRex). Wir Jour­na­lis­t*in­nen mussten dabei schnell feststellen: Ganz so einfach ist das alles nicht.

Monatelang brüteten die Forscher über regionalen Bevölkerungsstatistiken und erklärten uns das ein oder andere Mal, dass eine eindeutige kausale Erklärung, wie wir sie uns als Vorlage für eine Reportage vorstellten, nicht seriös zu machen sei. Die Forscher überprüften die These der Modernisierungsverlierer, die zur AfD neigten, der sozialen Ungleichheit, der Individualisierung, der politischen Entfremdung und weiterer möglicher Erklärungen. Und sie stellten Daten für Messungen zusammen: etwa zum Steueraufkommen, der Entfernung zum nächsten Arzt oder der Bushaltestelle.

In Baden-Württemberg zeigte sich dabei deutlich eine regionale Ausdifferenzierung der politischen Gegenspieler AfD und Grüne. Letztere erzielten bei vergangenen Wahlen vor allem in Universitätsstädten hohe Ergebnisse, während die AfD umgekehrt im ländlichen Raum stärker war – laut Forschern kein einfacher Stadt-Land-Gegensatz, sondern einer zwischen Kosmopolitismus (urbanisierten, internationalisierten und akademisierten Gebieten) und Kommunitarismus (eher ländlich, traditionell). In allen untersuchten Bundesländern war zudem erkennbar: In wachsenden Gemeinden hat die AfD weniger Erfolg, in schrumpfenden Gemeinden eher viel.

Die taz hörte sich daraufhin vor Ort um. Ein Weg führte uns im Sommer ins brandenburgische Michendorf, wo die Bevölkerung überdurchschnittlich stark wächst, während die AfD bis dato unterdurchschnittliche Wahlergebnisse einfuhr. Der Ort liegt im Speckgürtel von Berlin und zieht viele Reiche und Pendler an, hat gleichzeitig aber chronisch leere Kassen, wegen ausbleibender Gewerbesteuer. Was Michendorf ausmacht: eine engagierte Bürgermeisterin, die offen gegen rechts Stellung bezieht und ein reges Vereinsleben.

Geringer als im Landesdurchschnitt war die Zustimmung zur AfD bislang auch in Wahlhausen, das in Thüringen an der hessischen Grenze liegt. Das Dorf ähnelt in wichtigen Daten der thüringischen Gemeinde Oberstadt: Beide liegen ländlich, haben rund 300 Einwohnende, eine vergleichbare Altersstruktur, Arbeitslosigkeit und Anteil von Männern und Frauen. Doch in Oberstadt wählte in der Vergangenheit fast jedeR Zweite AfD. Wahlhausen hingegen liegt als evangelische Enklave im Eichsfeld, einer traditionell katholischen CDU-Hochburg, mit kurzem Weg in den hessischen Nachbarort und einer aktiven Zivilgesellschaft. In Oberstadt hingegen sind laut den Daten der Tübinger Forscher die Steuereinnahmen geringer und wichtige Wege länger: zum nächsten Arzt und zur nächsten Bahnstation.

Ähnlich auf dem Papier sind sich auch die sächsischen Gemeinden Markkleeberg und Taucha. Beide grenzen an die Universitätsstadt Leipzig, sind ähnlich groß und besiedelt. Doch in Markkleeberg schnitt die AfD bis dato schlecht ab, in Taucha deutlich besser. Markkleeberg ist eine der einkommenstärksten Gemeinden Sachsens, doch anscheinend geht es auch ums Gefühl und das soziale Umfeld: Laut Befragungen haben Menschen in Taucha mehr Angst davor, Opfer einer Straftat zu werden als in Markkleeberg. Und: Taucha hat eine aktive rechtsextremen Szene.

Tatsächlich bewahrheiteteten sich die untersuchten Trends bei den Landtagswahlen. In Sachsen wurde am 1. September die AfD in Taucha mit 23 Prozent stärkste Kraft, wobei die AfD landesweit bei 30,6 Prozent lag. Deutlich schlechter lief es für die rechtsextreme Partei wieder in Markkleeberg, wo sie auf 17,5 Prozent der Stimmen kam.

Auch in Brandenburg und Thüringen blieb es bei dem Trend, den die Tübinger Forscher in den Monaten zuvor in ihren Daten ausmachten: In Thüringen kam die AfD bei der Landtagswahl am 1. September auf 19,9 Prozent und fuhr landesweit das viertschlechteste Ergebnis ein. In Oberstadt erreichte die AfD hingegen 52,7 Prozent und lag damit deutlich über den landesweiten 32,8 Prozent.

Im Brandenburgischen Michendorf indes kam die AfD bei der Wahl am 22. September auf 21,1 Prozent und lag somit rund 8 Prozentpunkte unter dem Landesdurchschnitt.

Auf1 – Fernsehen für Verschwörungsgläubige und Putinfans

Der Nordhausener AfD-Kandidat Joerg Prophet gibt dem Online-TV-Sender AUF1 ein Interview Foto: Marco Kneise/imago

Stefan Magnet, der Gründer des Sender Auf1 TV, träumt von einer „Medienrevolution“: Anfang des Jahres 2024 stellte der Österreicher vor einem exklusiven Kreis in München seine Ideen vor. Bei Häppchen und Weißwein behauptet er, es gebe „keine freien Medien in Deutschland“. Und er wolle das ändern – mit seinem Fernsehsender Auf 1.

Ein Reporter der taz ist damals dabei. Kurz darauf berichten wir unter dem Titel „Ein Heimatsender für die AfD“ über die Pläne des Medienunternehmers aus Linz. Sein Fernsehprogramm Auf1 TV ist klar rechtsextrem und verschwörungsideologisch ausgerichtet, im Netz folgen ihm bereits Hunderttausende. 2024 sollte das Jahr werden, in dem Stefan Magnet sein Auf1 auch in Deutschland groß macht.

Das Vehikel dafür war ein kleiner Fernsehsender namens „Schwarz Rot Gold TV“ (SRG TV) aus Baden-Württemberg. Den hatte ein Stuttgarter Arzt während der Covid-Pandemie als Internet-Medium aufgebaut, um über angebliche Corona-Lügen aufzuklären. SRG TV beantragte erfolgreich eine Sendelizenz und war seit dem 1. September 2023 bundesweit über Satellit zu empfangen. Zugleich überließ SRG TV Stefan Magnet für das Programm von Auf1 TV mehrere Stunden täglicher Sendezeit.

Zu Unrecht, entschied bald die gemeinsame Kommission der deutschen Landesmedienanstalten für Zulassung und Aufsicht (ZAK). SRG TV habe Auf 1 Sendezeit „verkauft“, es gebe damit eine Einflussnahme von Stefan Magnets Unternehmen auf das Programm von SRG TV. Das sei eine verbotene Themenplatzierung im Sinne des Medienstaatsvertrags. Die Kommission betonte, es handele es sich „um einen rein formellen Verstoß“ – eine Prüfung der Inhalte von AUF1 habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt. Gleichwohl stufte sie die unzulässige Themenplatzierung als Ordnungswidrigkeit ein und erließ Anfang März 2024 ein Bußgeld „im niedrigen sechsstelligen Bereich“. Der Geschäftsführer der SRGT GmbH räumte daraufhin den Verstoß gegen das Verbot der Themenplatzierung ein und zahlte das Bußgeld.

Magnet verlor dadurch die Möglichkeit, als regulärer TV-Sender in Deutschland sein Programm ausstrahlen zu können. Schaden tut das dem Sender nur begrenzt: Eine Analyse des Internet-Think Thanks Cemas zeigt, wie überaus erfolgreich Auf1 im Internet ist. Allein bei Telegram hat der Kanal von AUF1 knapp 230.000 Abonnenten. Es sei „durchaus außergewöhnlich“ wie Auf1 an anderen „alternativen Medien“ vorbeigezogen ist, wie überaus erfolgreich Auf1 im Internet ist, sagt ein CemaS-Sprecher. Auf1 zähle nun zu den größten „Alternativmedien“ für das verschwörungsideologische Milieu. Das Medium lockt damit nicht nur ein spezielles Publikum, sondern auch spezielle Gäste an. Im aktuellen „Interview des Monats“ steht wieder einmal Alice Weidel vor der Auf1-Kamera.

Anfeindungen gegenüber Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen

Thomas Zschornak, ehemaliger Bürgermeister von Nebelschütz Foto: Thomas Gerlach

Dass Kommunalpolitiker Anfeindungen ausgesetzt sind, darüber hat die taz oft berichtet. Selten aber waren die Angriffe so massiv wie 2022 bei Thomas Zschornak, den ehrenamtlichen Bürgermeister der sorbischen Gemeinde Nebelschütz in Sachsen. Zschornak wurde unter anderem Vetternwirtschaft, persönliche Vorteilsnahme, Amtsmissbrauch, Titelhuberei und unsolides Finanzgebaren vorgeworfen. Alle Vorwürfe wurden durch eine anonyme Webseite verbreitet, die im Dorf durch Flugblätter beworben wurde. Keiner hielt der Prüfung der Kommunalaufsicht stand. Die Webseite verschwand Sommer 2023 aus dem Netz.

Zschornak, der durch eine ökologisch ausgerichtete „enkeltaugliche“ Politik bekannt wurde, war im Frühjahr 2022 gerade dabei, nach 32 Jahren abzutreten. Der damals 58-Jährige erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Da hatten die Kampagne ihr Ziel aber schon erreicht: Zschornak erlitt einen Zusammenbruch, bekam Entzündungen, konnte sich nur noch mit Krücken aufrechthalten und litt an Depressionen. Vollkommen wiederhergestellt ist seine Gesundheit bis heute nicht. Über Zschornak hat die wochentaz im Februar berichtet.

Schon bald kam der Verdacht auf, dass Zschornaks späterer Nachfolger als Bürgermeister und der damalige Amtsleiter des zuständigen Verwaltungsverbandes in die Kampagne verwickelt gewesen sein sollen. Obwohl Zschornak und sein Anwalt solche Hinweise weiterleiteten, etwa dass als mögliche Tatmittel auch Computer im Verwaltungsverband sicherzustellen seien, hielt sich die Staatsanwaltschaft Görlitz zurück.

Nach weiteren, von den Berichten im DLF und in der taz ausgelöste Recherchen intensivierte die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit. Dass die Berichterstattung nicht nachgelassen hat, ist insbesondere dem sorbischen Publizisten Benedikt Dyrlich zu verdanken, der in der Tageszeitung Serbske Nowiny veröffentlicht.

Mit Erfolg: Im Juni teilte die Staatsanwaltschaft mit, worauf Zschornak lange gewartet hatte: Die Kriminalpolizei Görlitz habe Nachermittlungen aufgenommen „wegen Beleidigung, ubler Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens u. a.“, hauptsächlich gegen zwei Personen aus der Gemeinde Nebelschütz. Es sind Zschornaks Amtsnachfolger und der ehemalige Amtsleiter. Außerdem wurden im Verwaltungsamt Computer sichergestellt.

Das war im Juni. Wer glaubte, die Ermittlungen würden nun zügig zu Ende geführt, sieht sich getäuscht: Die Staatsanwaltschaft Görlitz hat der taz Mitte Dezember mitgeteilt, dass „die Auswertung der gesicherten Datenträger“ noch nicht abgeschlossen sei. Vor März 2025 sei nicht mit einem Abschluss zu rechnen. Dann liegt die Kampagne drei Jahre zurück.

Auch politisch bleibt die Unterstützung dürftig. Von seinen CDU-Parteifreunden erkundigen sich nur wenige. Beistand erfährt Zschornak von Petra Köpping von der SPD, der alten und vermutlich auch neuen sächsischen Sozialministerin. Sie war es, die ihn und weitere Kommunalpolitiker nach Dresden lud. Wer im August erlebt hat, wie gestandene Männer und Frauen mit den Tränen rangen, wenn sie über Zermürbung und Einschüchterung berichteten, war fassungslos – und wird es lange bleiben. Auch darüber hat die taz berichtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Was das? Die taz hat Knastrecherchen betrieben, um damit keine Missstände, sondern Ausbruchspläne zu vereiteln.



    Sehr vorbildlich, denkt sich der Knacki und bestellt sein Knast-Abo wieder ab. Aber vielleicht ging es genau darum? Kann ja sein. Will man ihn etwa loswerden, den Knacki?



    Ich halte es mit Clint Eastwood (Alcatraz) oder Jonny Cash (San Quentin), schon aus Prinzip.

  • Der Abschnitt zu den Wahlprognosen ist voller Satzbau und Wortfehler. Bitte korrigieren!