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Rot-grüner Koalitionsvertrag in HamburgAmbitionslose Biomarktpartei

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Bei der vergangenen Bürgerschaftswahl in Hamburg haben die Grünen 24 Prozent geholt. Doch an der Landespolitik ändert das wenig.

Nicht so viel Grund, stolz zu sein: Vorstellung des Koalitionsvertrags, SPD und Grüne in Hamburg Foto: Christian Charisius/dpa

E ine Abmachung auf Augenhöhe sieht anders aus als der Hamburger Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen. Zwar konnten die Grünen mit ihrem Wahlergebnis von 24,2 Prozent selbstbewusst in die Verhandlungen starten. Trotzdem haben sie sich an der konservativen Hamburger SPD die Zähne ausgebissen. Die hatte klargemacht, wo der Hammer hängt, und gedroht, zur CDU zu gehen, wenn die Grünen zu frech werden würden.

So bekommt Hamburg nun keinen unabhängigen Polizeibeauftragten, Schwarzfahren wird nicht entkriminalisiert, und der Verkauf von Cannabis bleibt ebenfalls eine Straftat. Auch ein Winternotprogramm für alle, in dem etwa obdachlose Osteuropäer*innen nicht abgewiesen werden, bleibt eine unerfüllte Forderung der Grünen.

Immerhin bekommen sie nun die Verkehrsbehörde zugeschlagen. „Hamburg wird Fahrradstadt“ steht großspurig im Koalitionsvertrag. Das wird allerdings auch Zeit, schließlich regiert die Partei seit 2015 mit – was man der Stadt aber nicht ansieht. Wer anhand des Straßennetzes erraten müsste, wer in den letzten Jahren in Hamburg regiert hat, würde auf die CDU tippen. Auch sonst haben die Grünen in der vergangenen Legislatur keine echten Akzente gesetzt.

Dass sich das nicht ändern wird, spricht zwischen den Zeilen aus dem neuen Vertrag heraus, in dem sich die Koalitionär*innen für Erfolge der Vergangenheit loben und ein „Weiter so“ proklamieren. So soll auch das Ankerzentrum, das beschönigend „Ankunftszentrum“ heißt, seinen „erfolgreichen Betrieb“ fortsetzen. Dass die Biomarktpartei sich nicht besonders für Sozialpolitik interessiert, hatte sie im Wahlkampf deutlich gemacht. Da war viel von Wirtschaft, Digitalisierung und Innovation die Rede, wenig von Geringverdiener*innen, Geflüchteten, Alleinerziehenden.

Darf man enttäuscht sein vor der grünen Ambitionslosigkeit? Nein. Mehr war von den Hamburger Grünen, der Partei für die umweltbewussten Gutverdiener*innen, nicht zu erwarten. Vorwerfen sollte man es ihnen trotzdem.

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Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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10 Kommentare

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  • VErkehrlich steht im Vertrag z.B. kein autofreies Gebiet drin (nur der Burchardplatz). Fahrradstraßen und geschützte Radfahrstreifen werden teils lediglich geprüft, teils dann gebaut "wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist oder dies zu erwarten ist" - bei einer echten Fahrradstraße wäre das ja zwingend zu erwarten, weil dort niemand anderes fährt, heitß wohl, es ist nur an Anlieger-frei-Fahrradstraßen gedacht?



    Wenn "die Radschnellwege im Fokus der radverkehrlichen Entwicklung stehen", bedeutet, das, dass sonst wenig passiert, und auch mit jenen soll bloß begonnen werden.

  • Jetzt wird noch so viel Geld wie möglich herausgehauen, aber spätestens in einem Jahr muss von Schuldenmachen auf Inflationsvermeidung und Haushaltssanierung umgeschaltet werden. Längerfristige Ausgabenprojekte wie für größere Bauvorhaben (z.B. U-Bahn) wären da völlig fehl am Platz.

  • Ihr Lieben, ich schätze die Journalist*innen der taz. Hier muss ich gerade deswegen mal darauf hinweisen, dass wir im Koalitionsvertrag viel zum Thema Gesundheit als Grüne hineinverhandelt haben und mit Mareike Engels, die sich sehr für Soziales engagiert, als Fraktionsanführerin ein Zeichen eben für genau die Sozialen Themen in unserer Stadt gesetzt haben. Und weiterhin haben wir in Altona in der letzten BV soziale Themen gesetzt. Bspw. www.gruene-altona....gaben-ausgleichen/ Ich finde dass der Artikel uns hier ein wenig zu einseitig darstellt, als es den vielen Mitgliedern, die auch bei den Grünen linke Positionen vertreten, gerecht wird. Bspw. haben wir auf Bundesebene für einen Corona Zuschlag zu Hartz IV gefordert! Mir sind soziale Themen sehr wichtig und ich kann nicht finden, dass unseren Fraktionen diese auch nur ansatzweise egal sind, so wie es in Eurem Artikel rüber kommt!

  • ich bin Mitglied dieser Partei und ich schäme mich mittlerweile dafür. Zwar sind alle anderen noch viel schlechter (zerstritten, rechts, machtgeil, Wirtschaft über alles...), aber die Grünen sind mit ihrer Verweigerungshaltung zur Entkriminalisierung des Vermummungsverbots, einer orientierungslosen Fahrradpolitik, ihrer überzogenen Wirtschaftsorientierung, der Unterstützung der A26 und dem Skandal um Michael Osterburg reif für die Opposition. Das Führungspersonal der Partei in Hamburg ist ein Riesenproblem - nicht links, sondern langweilig, visionslos, mutlos, kraftlos, und dafür umso machtgieriger. ich habe mich trotzdem gefreut, dass gerade frische, junge Gesichter in die Bürgerschaft gewählt wurden. Leider sind aber die wirtschaftsliberalen Kräfte um Anjes Tjarks immer noch da. Ich glaube, diese Partei ist in Hamburg nicht reformierbar – es braucht eine neue Partei.

  • Danke für den Kommentar. Ich war vor 35 Jahren Mal Mitglied bei den Grünen, ist schon traurig, was aus ihnen geworden ist. Wollte jetzt gerade sagen, dass das regional sehr unterschiedlich ist. Stimmt aber nicht mehr wirklich. Wenn man sich die Bundesspitze anschaut, dann geht es denke ich Mal nur noch um die Verpackung. Komme mir schon vor, wie in der Werbebranche, da wird alles verkauft.



    Im Endeffekt werden die Grünen an der sozialen Frage scheitern, das ist jetzt schon absehbar. Komischerweise gab es die Diskussion schon vor 30 - 40 Jahren. Damals hieß das der "Gang durch die Institutionen" bzw. um die Frage, wie Reformen ermöglicht werden können.



    Ich hatte damals schon den Verdacht, dass es den Protagonisten dieses Weges mehr um ihre eigene Karriere ging, als um wirkliche Veränderungen.

    • @Surfbosi:

      Die Grünen werden an der sozialen Frage scheitern? Das Gegenteil ist der Fall: Dass die Grünen sich in sozial-, wirtschafts-und finanzpolitischen Fragen nicht positionieren, ist seit Jahren ihr Erfolgsrezept, weil sie dafür eben auch nicht verantwortlich gemacht werden. Die Agenda 2010 ("Hartz 4") war ein Projekt einer rot-grünen Regierung, die Propaganda dagegen zielte immer nur auf die SPD, die dadurch substanziell zerstört wurde, nie auf die Grünen.

  • Als ich in den Siebzigern des letzten Jh. in HH studierte und lebte, gab es eine Koalition zwischen SPD und FDP. Vergleicht man die damalige FDP mit den dortigen Grünen heute, dann kann man zweifelsfrei feststellen, dass die damalige FDP eine soziale und liberale Partei war, die sich u.a. auch in der Bildungspolitik stark machte. Die Grünen scheinen mir der ideale Partner einer erzkonservativen Hamburger SPD zu sein. Hier wird das etablierte und satte Bürgertum bedient.

  • Genau genommen regieren die Grünen mit kurzen Unterbrechungen seit Anfang der 90er mit. Mal sehen, ob sich mit einem grünen Verkehrssenator was ändert, oder ob da nur ein verdienter Funktionär mit einem Posten versorgt wurde. Die anderen wichtigen Posten, Innen, Finanzen, Wirtschaft, Soziales interessieren die Grünen nicht oder die Parteifreunde, denen Posten zustehen können sie nicht. Oder man beschränkt sich bewusst auf Ressorts, die eher verwalten als regieren, weil man sich so vor der Verantwortung drücken kann. Damit kann man aber halt auch keinen Anspruch auf den Chefsessel stellen.

  • Ambitionslose Biomarktpartei



    und Öko-FDP.



    Es geht um Postengeschacher.

    Mehr ist da nicht zu sagen!