Rot-grün-roter Senat in Berlin: Die Anfänger*innentruppe
Franziska Giffeys Senat ist personell ein klarer Neuanfang – und mit sieben Frauen weiblicher als je zuvor.
Respektabel ist, dass sich SPD, Grüne und Linke meist nicht dazu haben hinreißen lassen, verdiente Parteimitglieder zu versorgen. Bei der SPD waren mit der neuen Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse und Wirtschaftssenator Stephan Schwarz die Hälfte der Senator*innen bisher nicht mal in der Partei; zudem wechseln sie die Seiten, von der Praxis in die Politik. Die Grünen haben Gesundheitssenatorin Ulrike Gote aus Kassel geholt; die Linke mit Katja Kipping (Soziales) und Lena Kreck (Justiz) zwei Frauen, die bisher im Landesverband keine relevante Rolle spielten. Das zeigt: Rot-Grün-Rot legt Wert auf die politischen Inhalte.
Schließlich sind die Herausforderungen groß, die auf diesen Senat zukommen: Keiner weiß, welche Folgen Corona noch haben wird. Die Wohnungsnot bleibt zudem drängendste Aufgabe, und Armut ist ein massives Problem in der Stadt, die nach Franziska Giffeys Meinung zudem zu dreckig ist. Über allem steht die Frage: Was soll aus dieser Stadt werden, die vor 20 Jahren vom damaligen Regierenden als „arm, aber sexy“ beschrieben wurde?
Wenn die Antwort „lebenswertere“ Stadt heißt, liegt die Hauptaufgabe bei Supersenatorin Bettina Jarasch (Grüne): Sie ist für die Verkehrswende zuständig und den Klimaschutz. Mit Ersterem kann man bei den Wähler*innen punkten, aber sich auch in Scharmützeln mit der in Berlin besonders aktiven Verkehrsaktivist*innenszene verheddern – so wie ihre Vorgängerin.
Raed Saleh, SPD
Dazu kommt: Auch die SPD will bei dem Thema mitreden, etwa beim versprochenen Ausbau des U-Bahn-Netzes. Dafür sorgen soll in der SPD-geführten Wirtschaftsverwaltung der Staatssekretär für Energie und Betriebe, Tino Schopf. Giffey hat ihn am Montag bei der Vorstellung der SPD-Senator*innen und Co. gar als „Mister BVG“ präsentiert. Eine Gemengelage, die durchaus Konfliktpotenzial hat.
Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen SPD und den mietenpolitischen Initiativen, die den Enteignen-Volksentscheid zum Erfolg geführt haben. Zuständig dafür ist vor allem Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel, in der Vergangenheit nicht als besonderer Freund der direkten Demokratie aufgefallen.
Doch Giffey hat einen Schritt auf die Bewegung zugemacht und Geisel mit Ülker Radziwill eine zusätzliche Staatssekretärin für Mieterschutz zur Seite gestellt. Das unterstreicht den auch von Geisel am Montag formulierten Anspruch, durch ein „Unterhaken bei den Initiativen“ gemeinsam die Spekulation mit Wohnraum zu verhindern.
Bundespolitischer Glamour
Dieser Senat ist mit sieben Frauen und vier Männern der wohl weiblichste überhaupt. Und auch wenn die meisten in dieser Position neu beginnen, sind nicht alle Anfänger: Viele haben langjährige Erfahrung im Berliner Politikbetrieb, waren schon mal Staatssekretärin (etwa Innensenatorin Iris Spranger) oder bringen sogar bundespolitischen Glamour in die Runde: Katja Kipping war Bundeschefin der Linken, Giffey zuvor Bundesfamilienministerin.
Bemerkenswerterweise ist die Regierungschefin mit 43 Jahren die Zweitjüngste in der Runde. Dass Giffey ungeachtet dessen den Chefinnenanspruch erhebt, machte sie am Montag deutlich: Sie wolle, sagte Giffey, für alle Themen Verantwortung übernehmen.
Dass Giffey ungeachtet dessen den Chefinnenanspruch erhebt, machte sie am Montag bei der Vorstellung des SPD-Teams deutlich: Sie wolle für alle Themen Verantwortung übernehmen, sagt sie gleich zu Beginn; die Senatskanzlei habe die Aufgabe, alle im Blick zu haben. Berlins Co-Landeschef Raed Saleh wurde noch etwas deutlicher: „Wir haben den Führungsanspruch, wollen aber mit den Koalitionspartnern gestalten. Dazu sind wir bereit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus