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Roman „Hundesohn“Sie scharren an ihren Körpern

Zwischen den Sprachen und anderen Männern: Ozan Zakariya Keskinkılıç’ Roman „Hundesohn“.

Der Autor Ozan Zakariya Keskinkılıç Foto: Max Zerrahn/Suhrkamp Verlag

„Dies ist eine Liebesgeschichte.“ So steht es groß auf dem Umschlag. Es ist die Geschichte von Zeko, dem Hund. Als Hund sieht, imaginiert metaphorisch, aber nicht nur metaphorisch, dieser Ich-Erzähler, eigentlich: Zakariya, sich selbst. Er ist Mitte zwanzig, er ist schwul, er ist muslimisch, er ist Deutscher, er ist Student, er ist der Sohn von Türken, er ist der Enkel von Arabern, er zählt die Tage herunter bis zum Wiedersehen mit Hassan.

Hassan, der Nachbarsjunge in Adana, in den sich Zeko bei den Sommerbesuchen verliebt hat, Hassan, der nach Orangen und Salz riecht. Adana, das ist die Großstadt im Süden der Türkei, in der Zekos Dede gelebt hat, der Großvater, Friseur, der jetzt tot ist, der aber dem Enkel im Traum erscheint. Er schüttelt sich die Erde aus den Kleidern, die Würmer aus den Haaren, setzt sich unter einen Granatapfelbaum und singt El Bent El Shalabiya.

„In neun Tagen werde ich Hassan wiedersehen.“ In acht Tagen. In sieben Tagen. So geht der Refrain dieser Liebesgeschichte, als Countdown. Sie spielt in Berlin, vor allem in Kreuzberg: „Der Uringestank am Kotti, das Plätschern am Kanal, die gebratenen Udonnudeln am Hermannplatz liegen in meinen schwarzen Haaren vergraben.“

Die ganze Welt hat Platz

Das Buch

Ozan Zakariya Keskinkılıç: „Hundesohn“. Suhrkamp, Berlin 2025. 219 Seiten, 24 Euro

In einem sehr konkreten Hier und Jetzt ist das verortet, aber dank der Erinnerungen, der Fantasien und Wörter dieses Erzählers (und also des Autors Ozan Zakariya Keskinkılıç) hat die ganze Welt in diesem Roman Platz.

Zeko lebt mit den Sprachen und zwischen den Sprachen und in der Überschneidung der Sprachen, Deutsch, Türkisch, Arabisch, er lernt Chinesisch, er lernt Hebräisch, er kann auch Französisch und Englisch, mit seiner besten Freundin, der iranischstämmigen Pari, spricht er auch schon mal Tolkien-Elbisch. Per Grindr holt er sich Männer so ziemlich aller Nationen ins Haus. Gerne wüsste Zeko, von welchem von ihnen er die Filzläuse hat.

Reich an Sprachen und ihren Registern ist dieser Roman, in Klängen, Zitaten, Worten, Sprüchen und Liedern, nicht immer sofort übersetzt, er ist von großer innerer Vielsprachigkeit. Reich an Sex ist er auch, die Männer von Grindr, in schneller Folge, die Männer von überallher, eine Vielzahl der Körper, Haut, Haare, Leberflecke, Muttermale, Muttersprachen, Top oder Bottom, das Begehren, die Schwänze, und auch die Ärsche, die Socken, für Zeko eine Art Fetisch.

Queere, Non-binäre und Transfrauen

„Menu“ ist eines der Kapitel überschrieben, da zählt Zeko auf, was seine Erfahrungen, was seine Vorlieben sind: „Ich habe schwule Männer gelutscht. Queere, Non-binäre und Transfrauen, ich habe he/him gelutscht und they/them und cis-Männer, manche waren bicurious, andere biflexible, homoflexible, heteroflexible auch, aber seltener.“

Im Regal steht der Koran. Daneben gleich Kafka. Eines der beiden Motti zum Buch ist aus Kafkas Schloss, es beginnt so: „Wie Hunde verzweifelt im Boden scharren, so scharrten sie an ihren Körpern.“ Auch der Roman, „Hundesohn“, ist ein Scharren an Körpern, nicht immer, aber manchmal schon auch verzweifelt: den Körpern der Männer, Zekos eigenem Körper, aber auch ein Scharren an den Körpern der Erinnerung und der Herkunft.

Kafka, der Landvermesser K. aus dem Schloss, die Kafka-Welten mit ihren Abgründen aus Sprache, ihrer so abstrakten wie konkreten Gewalt, aber auch Kafka selbst als Person, der die Nahrung zerfletschtert, der die Frauen zermürbt, der kein Maß hat für Nähe und für Distanz: All das spielt eine Rolle für Zeko, für seine Projektionen, seine Identifikationen, als Mensch und als Hund.

Das Buch vibriert, schwebt, schwingt

Reich an Schönheiten der Sprache ist dieser schlanke Roman. Reich an Bildern, die handfest sind und/oder lyrisch. (Keskinkılıç hat einen Band mit Gedichten veröffentlicht. Das kann – um einen der wiederkehrenden Sätze des Buchs zu zitieren – kein Zufall sein.) „Hundesohn“ ist ein Buch, das vibriert, schwebt, schwingt, wunderbar musikalisch durch Wiederholungen rhythmisiert, ein Langgedicht, wenn man so will, das seinen eigenen Gesetzen folgt und sich von aller gebundenen Form lässig befreit hat.

Keineswegs privatistisch, die Schrecken der Gegenwart, der Krieg in der Ukraine und in Gaza und der Rassismus, der überall ist, sind sehr wohl präsent. Wirklich politisch ist der Roman aber in einem anderen, präziseren Sinn: Er nimmt seinen Erzähler als irreduzibel vergesellschaftetes Ich, als Wesen aus Körper und Sprache, Denken und Empfinden, auf der Suche nach Glaube, Liebe, Lust, Hoffnung. Und verschweigt nicht: die Gewalt.

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