Rolle der Union in der Haushaltskrise: Eine Stimmung wie auf Klassenfahrt
Die Union wettert gegen die Bundesregierung. Um das Dogma der Schuldenbremse hochzuhalten, ignoriert sie eigene Widersprüche.
Mehr als zwei Wochen ist es her, dass das Verfassungsgericht der Bundesregierung den Raum ihres politischen Kompromisses genommen hat. Die CDU hatte das Urteil in Karlsruhe erstritten, weil sie es als rechtswidrig erachtete, dass Scholz nicht verwendete Corona-Kredite in den Klimafonds verschoben hatte. Das Loch, das sich für die Bundesregierung durch den Erfolg der Union vor Gericht aufgetan hat, ist nicht nur ein finanzielles. Die Ampel hat es seitdem nicht geschafft, zu zeigen, was nun der Rahmen ihrer Arbeit sein soll.
In der Unions-Fraktion herrsche derzeit ein „Klassenfahrtsgefühl“, sagt ein Mitglied des CDU-Parteivorstands der taz. Die aufgeheizte Stimmung bei den Konservativen speist sich daraus, dass es bereits die zweite Klatsche aus Karlsruhe für die Bundesregierung innerhalb eines halben Jahres ist. Im Juli erst hatten die Richter*innen eine Abstimmung zum Gebäudeenergiegesetz wegen nicht eingehaltener Beratungsfristen gestoppt.
Politiker in der Union wundern sich über diese handwerklichen Fehler. Gleichzeitig fürchten sie deshalb, als klagewütige Pedanten an der Seitenlinie dargestellt zu werden. Den aktuellen Finanzstreit nehmen Vertreter*innen aus CDU und CSU dabei durchaus persönlich. Die Proklamation eines ausgeglichenen Haushalts ist für das Selbstverständnis der Union wichtiger als Debatten über Einwanderung, den Wehrdienst oder das Gendern. Umso interessanter ist es, dass die CDU nach der Bestätigung ihrer Klage der Ratlosigkeit der Regierung gegenüber selbst einigermaßen ratlos dasteht.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wo es hingeht mit der Klassenfahrt, ist unklar
Konkrete Vorschläge zur Bewältigung der Haushaltskrise sind derzeit aus der Partei kaum zu hören – trotz der buchhalterischen Konsequenzen, die auch CDU-Ministerpräsidenten in ihren Ländern nach dem Urteil aus Karlsruhe prüfen müssen. Die Fragezeichen in den eigenen Reihen versuchte Merz am Dienstag im Bundestag mit Häme und persönlichen Angriffen gegen Vertreter*innen der Bundesregierung wegzubügeln. Damit sorgte er nur für ein merkliches Zusammenrücken auf der Regierungsbank und erntete auch Ablehnung von der FDP, die er in der Schuldenfrage auf die eigene Seite ziehen müsste.
Dass nicht ganz klar ist, wohin die Klassenfahrt der Unionsfraktion gehen soll, machte ihr Reiseleiter nur allzu deutlich. Merz bekannte sich im Bundestag zu den Neunzigerjahren als Zeit der politischen Größe und warf Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen vor, nichts von seinem Fach zu verstehen. Der Rundumschlag des CDU-Vorsitzenden kannte keine Parteigrenzen: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und SPD-Kanzler Scholz ging er genauso hart an wie Kai Wegner, den Regierenden CDU-Bürgermeister von Berlin, der es gewagt hatte, die Schuldenbremse in Frage zu stellen. „Die Entscheidungen werden hier im Bundestag getroffen und nicht im Rathaus in Berlin“, rief Merz.
Wegner entgegnete darauf im Stern, er bleibe bei seiner „klaren Haltung“, denn „die Reform der Schuldenbremse für Zukunftsinvestitionen ist dringend erforderlich“. Damit widersetzte er sich dem Machtwort des CDU-Chefs, der dafür sogar vom Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU flankiert wurde. Im Deutschlandfunk sagte Markus Söder am Mittwoch, es werde im Bundestag keine Zweidrittelmehrheit zur Reform der Schuldenbremse geben.
Die kleine Fehde zwischen den Parteivorsitzenden und Wegner ist zumindest eine inhaltliche Kontroverse, die sich die Union in der aktuellen Haushaltsfrage erlaubt. Merz sagte am Donnerstag bei RTL, er wolle in den kommenden Tagen mit Wegner sprechen. Der Haushalt in der Hauptstadt sei in einer besonders schwierigen Situation. „Wir sind die Letzten, die nicht bereit sind zu helfen, aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen“, so der CDU-Chef. Doch für alle, die damit auf Spielraum hofften, stellte er klar: Dies müsse mit Schuldenbegrenzung gehen.
Es ist leichter, einfach draufzuhauen
Wer sich in der Union umhört, bekommt zur Antwort, dass die Bundesregierung nun am Zug ist, die Haushaltskrise zu lösen. Dass sich kaum jemand mit größer gedachten Vorschlägen aus der Deckung wagt, hat neben der schwierigen Abwägung der Prioritäten im Haushaltsplan auch damit zu tun, dass es leichter ist, einfach draufzuhauen.
Merz hat es geschafft, CDU und CSU nach dem herben Verlust der Bundestagswahlen auch mit seinen angriffslustigen Reden zusammenzuschweißen. Trotz des ein oder anderen verbalen Griffs ins Klo liegt die Union bei Umfragen mit Werten zwischen etwa 27 und 30 Prozent seit mehr als einem Jahr stabil auf dem ersten Platz und damit deutlich vor den Regierungsparteien. Doch innerhalb der Partei heißt es immer wieder, dass man eigentlich auch mehr von der Krise der Regierung profitieren müsste.
Denn im Prinzip muss die Koalition von Scholz, Habeck und Finanzminister Christian Lindner unter den nun gänzlich veränderten Vorzeichen noch einmal neue Koalitionsverhandlungen führen. Dabei stehen alle drei Politiker mit einem halben Fuß auf ihren jeweiligen roten Linien: Bürgergeld, klimagerechte Industriepolitik, Schuldenbremse. Es ist unklar, ob die Ampel diesen Streit übersteht.
Und hier kommt eigentlich die zentrale Frage ins Spiel: Wie würde sie sich die Union unter den aktuellen Maßgaben in Regierungsverantwortung verhalten? Der Blick in die Länder in Unionsverantwortung gibt nur bedingt Aufschluss. Eine Äußerung Reiner Haseloffs, des CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, wurde zuletzt als Reformwunsch der Schuldenbremse umgedeutet.
Vielleicht bleibt nur der Sparkurs
Doch Haseloff sagte der taz: „Die Schuldenbremse, so wie sie ist, muss bleiben.“ Und schiebt hinterher: „Es muss aber auch verfassungskonforme Möglichkeiten geben, Zukunftsinvestitionen in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik zu tätigen. Die Möglichkeiten sind beispielsweise auch innerhalb der Schuldenbremse gegeben, etwa durch das Erklären einer Notlage.“
Dabei stößt selbst das Erklären einer Haushaltsnotlage, um mehr Kredite aufnehmen zu können, bei seinen Parteikolleg*innen auf Bundesebene auf Kritik. „Ich würde es mit äußerster Skepsis betrachten, wenn man für 2024 noch eine Notlage feststellen wollte“, sagte etwa der Fraktionsgeschäftsführer der Union Thorsten Frei. Er ist der Auffassung, dass „sehr viel dafür sprechen würde“, gegen einen 2024er-Haushalt zu klagen, wenn dafür eine Notlage festgestellt würde.
Eine weitere Schlappe in Karlsruhe wäre für die Ampel nur schwer zu rechtfertigen. Doch wenn eine Reform der Schuldenbremse wegen der fehlenden Zweidrittelmehrheit nicht erreichbar ist, die Notlage nur durch argumentative Überdehnung der Folgen des Ukraine-Kriegs zu begründen wäre, bliebe nur der Sparkurs.
Zu dem fordern Unions-Politiker*innen die Bundesregierung auf. „Mehr Schulden zu machen, nur um parteipolitische Ampel-Spielwiesen zu finanzieren, ist nicht die Lösung“, erklärte Jens Spahn, stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender, gegenüber der taz. Vielmehr müsse die Regierung jetzt erklären, wo und wie sie nun sparen wolle. Ähnlich sieht es Thorsten Frei. „Die Bundesregierung arbeitet ihren Koalitionsvertrag eins zu eins ab, obwohl dieser Vertrag noch aus Tagen vor der vom Bundeskanzler verkündeten Zeitenwende stammt“, sagte er. Wie seine Fraktionskollegen fordert er eine Prioritätensetzung in der Regierung.
Der Rechenweg wirft Fragen auf
Die Ausgaben für Bürgergeld und Kindergrundsicherung werden in der Union als ein möglicher Sparposten gesehen. Dabei hatten CDU und CSU die Novelle des Bürgergelds selbst mitgetragen, die laufende Erhöhungen in den Bezügen mehr an die Inflationsrate bindet. Bei der Kindergrundsicherung hat es die Union auf die zusätzlichen Verwaltungsstellen abgesehen, die für die vorgesehene Beratung geschaffen werden müssten. Etwa 5.500 neue Mitarbeiter*innen müssten neu angestellt werden, erklärte die Arbeitsagentur gegenüber der taz.
Dies gelte „ganz gleich, wer die Kindergrundsicherung administriert“, denn: „Es braucht immer entsprechende Anlaufstellen, zusätzliches, qualifiziertes Personal, eine angepasste IT-Architektur und zusätzliche Strukturen.“ Die Stellschrauben in der Sozialgesetzgebung sind gering, sie werden kaum ausreichen, um das Haushaltsloch für das kommende Jahr zu stopfen. Lindner taxiert die noch benötigte Summe mit 17 Milliarden Euro, die SPD rechnet mit mehr.
Mathias Middelberg, der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende für Finanzen, brachte am Freitag im Bundestag den Sparvorschlag ein, eine Million Menschen aus Bürgergeldbezügen in Arbeit zu bringen. So könne die Staatskasse mit 30 Milliarden Euro entlastet werden. Doch eine Lösung für die akute Haushaltskrise ist das nicht, zumal der Rechenweg Fragen aufwirft. Middelberg nimmt als Grundlage, dass knapp 10 Prozent des etwa 446 Milliarden Euro schweren Bundeshaushalts für das Bürgergeld ausgegeben werden.
Doch von den knapp 44 Milliarden Euro, die nach Angaben des Finanzministeriums für den Posten tatsächlich im Haushalt vorgesehen sind, fließen nur etwa 75 Prozent als Bürgergeld und Miet- und Heizkostenzuschuss an die Empfänger*innen. Knapp 10 Milliarden Euro sind für Verwaltungskosten und Arbeitseingliederung vorgesehen. Geld, das sich nicht einfach streichen ließe.
Haseloff vertraut dem Bundeskanzler
Wesentlich mehr könnte man bei den geplanten Investitionen einsparen, und da gibt es selbst bei der Union fundamental unterschiedliche Ideen. Etwa bei den Subventionen für den geplanten Standort des Chip-Herstellers Intel in Magdeburg. „Zehn Milliarden Euro Steuergeld für ein Projekt eines einzigen Unternehmens, das im letzten Jahr über elf Milliarden Euro Gewinn verzeichnet hat, überschreitet die Schwelle der Vernunft“, sagte der Vorsitzende der Jungen Union (JU), Johannes Winkel, im Gespräch mit der taz. „Darüber hinaus ist Intel kein deutsches Unternehmen. Ich bin sehr gespannt, ob im Krisenfall in Taiwan wirklich Deutschland oder doch die USA vorrangig von den Chips aus Magdeburg profitieren würden.“
Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident Sachsen-Anhalts
Ein Vorstoß, der Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten nicht freuen dürfte. „Der Bundeskanzler und Bundesminister Habeck haben gesagt, die Projekte in Magdeburg und Dresden kommen. Wir vertrauen den Worten des Bundeskanzlers“, sagte Reiner Haseloff der taz. Mit dem Vorhaben in Dresden bezog sich der Ministerpräsident auf die geplante Ansiedlung des taiwanesischen Chip-Herstellers TSMC, die öffentliche Hand bezuschusst den Standort mit fünf Milliarden Euro.
Auch Sachsens CDU-Ministerpräsident zählt dabei auf Olaf Scholz: „Ich gehe fest davon aus, dass die Ansiedlung wie geplant gelingt und das Wort des Bundeskanzlers gilt“, sagte Michael Kretschmer dem Tagesspiegel. „Was wir jetzt brauchen, ist eine ehrliche Bestandsaufnahme und das Setzen politischer Prioritäten“, fordert Jens Spahn von der Bundesregierung gegenüber der taz. Und JU-Chef Winkel sagt: „So lange die Ampel ihre Arbeitsmarkt-, Energie- und Migrationspolitik nicht ändert, gibt es keine Grundlage für ein Gespräch über eine Reform der Schuldenbremse.“
Ein Hintertürchen für die Reform? Auch bei Spahn klingt es so. Er sagt, erst wenn die Ampel „zu einem Umdenken“ bereit sei, könne Klarheit darüber entstehen, was wirklich nötig sei, um die Herausforderungen meistern. „Diese Klarheit ist die Grundlage jeder weiteren Diskussion. Darüber herrscht Einigkeit in der Union.“
Bei den Sparvorschlägen herrscht in der Union dagegen Uneinigkeit. Solide Staatsfinanzen lassen für das Selbstbild ja auch einen gewissen Interpretationsspielraum zu, bei dem man sich nicht immer sofort auf alles festlegen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich