RoG-Chef zum Fall Meşale Tolu: „Eine tragische Empfehlung“

Der Chef von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, hat einen Rat für Journalisten mit türkischem Migrationshintergrund: in Deutschland bleiben.

Menschen, Plakate mit Gesichtern von Journalisten und die türkische Flagge

Demonstration von Amnesty und RoG vor der türkischen Botschaft Anfang Mai 2017 in Berlin Foto: dpa

taz: Herr Mihr, nach Deniz Yücel sitzt mit Meşale Tolu nun schon die zweite deutsche Journalistin in türkischer Haft. Ist das eine neue Qualität oder türkischer Alltag?

Christian Mihr: Es ist eine neue Qualität. In der Vergangenheit, auch vor dem gescheiterten Putsch, gab es zwar ebenfalls Inhaftierungen von deutschen Journalisten. Die waren aber immer sehr kurzfristig: Eine Nacht in der Zelle und dann wurden die Journalisten des Landes verwiesen. Dass jemand über einen Zeitraum von mehreren Wochen inhaftiert ist, stellt schon eine neue Qualität der Repression gegen Journalistinnen und Journalisten dar.

Ist Ihnen die Reaktion der Bundesregierung auf die Festnahme von Meşale Tolu deutlich genug?

Ja und Nein. Es ist gut, dass die Bundesregierung wie schon im Fall Deniz Yücel in aller Öffentlichkeit Druck macht und nicht nur hinter den Kulissen. Es wäre aber ein stärkeres Statement und würde auch in der Türkei Eindruck machen, wenn sich die Bundesregierung nicht nur um die einzelnen deutschen Fälle kümmert sondern ganz deutlich auch die Namen aller anderen inhaftierten Journalisten nennt.

Bringt öffentlicher Druck denn in jedem Fall etwas oder kann er auch kontraproduktiv sein?

ist seit 2012 Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Zuvor arbeitete er als Journalist bei verschiedenen Print- und Onlinemedien.

Er kann natürlich auch kontraproduktiv sein. Im Fall von Deniz Yücel scheint er im Moment zumindest nicht wirklich zu helfen. Wir haben in der Vergangenheit aber auch schon die Erfahrung gemacht, dass öffentlicher Druck am Ende zu Veränderungen führt, also zu zur Freilassung oder zur Verbesserung der Haftbedingungen. Der Fall Can Dündar war da nur der prominenteste Fall.

Würden Sie deutschen Journalisten denn im Moment noch dazu raten, aus der Türkei zu berichten?

Das kann man nicht generell beantworten. Deutschen Journalisten, die einen türkischen Migrationshintergrund haben, würde ich wahrscheinlich eher zur Zurückhaltung und Vorsicht raten. Das ist eine tragische Empfehlung, aber im Moment ist es wohl ratsamer, wenn deutsche Journalisten ohne türkischen Migrationshintergrund die Berichterstattung aus der Türkei machen. Bei ihnen halten sich die Behörden mit Repressionen noch eher zurück.

Und dieser Rat gilt auch für Journalisten, die zwar einen türkischen Migrationshintergrund, aber keinen türkischen Pass haben?

Ja, der Fall von Meşale Tolu zeigt ja gerade, dass die Gefahr auch in solchen Fällen besteht. Vor kurzem hätten wir das noch nicht gesagt. Aber jetzt sehen wir in der Türkei die nächste Eskalationsstufe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.