Ridley Scotts „Gladiator II“: Das alte Rom bekommt ein Upgrade
Ridley Scott hat einen zweiten Film aus dem Stoff seines Monumentalfilm-Hits gedreht. „Gladiator II“ rückt den Machtkampf im antiken Rom ins Zentrum.
Lucius Aurelius Verus hat nur kurz Zeit, pittoresk zwischen Kürbissen zu knien, dann ruft schon eine nahende römische Flotte nach seiner Aufmerksamkeit. Fast wichtiger noch: Lucius Aurelius Verus (Paul Mescal) weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass er der nämliche ist, sondern heißt einstweilen Hanno.
Er lebt mit seiner Frau, der Bogenschützin Arishat (Yuval Gonen), in einer unbenannten Stadt in der römischen Provinz Numidia, die in etwa den Nordosten des heutigen Algeriens umfasste.
Die Verteidiger können die Stadt nicht lange gegen die römische Armee unter dem General Marcus Acacius (Pedro Pascal) halten. Hannos Frau wird im Zuge der Eroberung von römischen Bogenschützen getötet, er selbst mit großen Teilen der Stadtbevölkerung versklavt.
Die Sklaven werden nach Rom verschifft und müssen im antiken Badeort Antium (heute: Anzio) gegen eine Horde Zähne fletschender Affen um ihr Leben kämpfen. Als Hanno wider alle Erwartungen einen der Affen töten kann, zieht er die Aufmerksamkeit von Macrinus (Denzel Washington) auf sich, der eine Gladiatorenschule unterhält.
„Gladiator II“. Regie: Ridley Scott. Mit Paul Mescal, Pedro Pascal u. a. Vereinigtes Königreich/USA 2024, 148 Min.
Filmstart diese Woche in Europa
Gut 24 Jahre nachdem Ridley Scotts „Gladiator“ im Mai 2000 in die Kinos kam und gut 23 Jahre nachdem die ersten Pläne für einen zweiten Film aus dem Stoff entstanden waren, ist dieser zweite Film nun fertig und „Gladiator II“ startet diese Woche in europäischen Kinos.
Allen, denen weniger an marschierenden römischen Armeen und Russell Crowes Hundeblick liegt als an einem Intrigenspiel kombiniert mit einem Füllhorn von Spektakel und angedeuteten Verbindungslinien in die Gegenwart, sei schon hier mitgeteilt: „Gladiator II“ ist der bessere Film der beiden.
Als Marcus Acacius im Triumphzug nach Rom zurückkehrt, erwarten ihn die beiden Kaiser, die im Jahr 211 in Rom herrschten: Caracalla und Geta. Doch statt Dank und Ruhe erwartet den siegreichen General eine Klinge am Hals und die Aussicht, sogleich an die nächsten Kriegsschauplätze entsandt zu werden.
Schon bald sinnen Marcus Acacius und mehr noch seine Frau, Lucilla (Connie Nielsen), Tochter des Kaisers Marcus Aurelius, der den Protagonisten im ersten Teil des Films adoptiert hat, auf Umsturz. Aber zunächst soll der Sieg mehrere Wochen lang mit Spektakeln im Kolosseum gefeiert werden.
Gladiatoren als Werkzeuge
Für Macrinus wiederum sind seine Gladiatoren und insbesondere Hanno, der im Laufe der Kämpfe im Kolosseum zum Liebling des Publikums aufsteigt, Werkzeuge, um Zugang zur Machtelite Roms zu erhalten. Bei einem der Kämpfe Hannos macht die Bildarbeit von „Gladiator II“ deutlich, dass sich, vermittelt über das Gemetzel unten auf dem Sand, ein Machtspiel zwischen den beiden Kaisern, den Umstürzler_innen um Marcus Aurelius und Lucilla und Macrinus abspielt, die alle in unterschiedlichen Beziehungen zu Hannos Kampf stehen.
Empfohlener externer Inhalt
„Gladiator II“ ist – anders als scheinbar ursprünglich geplant – weniger Pre- oder Sequel als Remake des ersten Films. Allerdings mit einigen entscheidenden Kniffen des Drehbuchs. So ist die Rolle des Protagonisten des ersten Films, Maximus Decimus Meridius (Russell Crowe), zu Beginn auf Hanno und Marcus Acacius aufgespalten. Erst als Hanno herausfindet, dass er der Sohn von Maximus und Lucilla ist, verbinden sich diese Facetten wieder in einer Person.
Die Rolle des Besitzers einer Gladiatorenschule, die im ersten Film mit einem moralischen Wandel gezeichnet wurde, ist nun zu der eines Machtpolitikers gewendet. War Proximo im ersten Film rein an finanziellem Gewinn durch die Gladiatoren interessiert, sind sie für Macrinus als Schwarzer in einer weißen Machtelite eine Möglichkeit, Zugang und Einfluss zu gewinnen.
Während der erste Film den eher plumpen Zwiestreit zwischen Maximus und dem Kaiser Commodus als Ringen zwischen Gut und Böse zeigte, wird die Handlung von „Gladiator II“ von einem multipolaren Intrigenspiel getragen.
Moralischer Verfall
Die größte Schwäche sind nicht die historischen Kleinigkeiten und Freiheiten, die sich der Film nimmt und die man sich bei Bedarf auf Youtube von diversen Historiker_innen erläutern lassen kann, sondern ein Repräsentationsproblem. Scott zeigt den moralischen Verfall des römischen Reiches unter Caracalla und Geta auch durch eine Effemination ihres Umfelds.
Dem ersten Kampf Hannos vor den Kaisern geht der Auftritt eines singenden Kastraten voraus. Während des Kampfes werden die Kaiser umlagert von halbnackten Jünglingen gezeigt. Später, bei den Kämpfen im Kolosseum, erscheint der unterwürfige Zeremonienmeister erneut als sehr weiblich konnotierter Mann.
Scott stellt in seinem politischen Ringen um die Macht in Rom also ein blutrünstiges Kaiserpaar, das von Männern umgeben ist, die nach klassischen Rollenerwartungen wenig männlich wirken, den echten, soldatischen Männern wie Marcus Acacius und Lucius Aurelius Verus/Hanno gegenüber.
Trotz dieses erheblichen Mankos versucht „Gladiator II“ immerhin – anders als der erste Film –, den Machtkampf in Rom halbwegs komplex darzustellen, und in dem Ringen um Realität oder Fiktion des „römischen Traums“ vom gesellschaftlichen Aufstieg klingen unüberhörbar Parallelen zu den USA der Gegenwart an.
All dies macht aus „Gladiator II“ aber keinen Politthriller, das Remake des ersten Films ist vielmehr in Schauspiel, Drehbuch und den Spielen im Kolosseum ein Upgrade des Spektakelkinos. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung