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Rhetorik im WahlkampfZuspitzen statt Wegducken

Die CDU macht mit Verbotsszenarien bei Arbeitern Stimmung gegen die Grünen. So wird das im Wahlkampf nun weitergehen. Außer man probiert es mal anders.

Kampf-Rhetorik bis September: Wer will das Grillen verbieten? Foto: Eibner/imago

D eutschland ist ein starkes Land“, lautet der erste Satz im CDU-Wahlprogramm. Im zweiten Absatz bekommt das starke Land ein „Modernisierungsjahrzehnt“ verordnet, allerdings eines mit „eingeschränkten finanziellen Spielräumen“. Deshalb braucht es einen „Neustart im Verhältnis zwischen Staat und Bürger“, und das heißt im Klartext, im sechsten Absatz: „den Unternehmen mehr Freiraum lassen“, also weniger Steuern und Regeln. Denn „unser Ziel ist, so schnell wie möglich wieder zurück zu einer Normalität zu gelangen, die uns Liebgewonnenes und Vertrautes zurückgibt“. Vor allem die vertraute Kampfrhetorik gegen die Besserverdienenden und Studierten, die, so steht es am Ende der Präambel, mit „Ideologie, Verboten, sozialistischer Umverteilung, Ängsten, Bevormundung, vorgefertigten Lebensentwürfen“ regieren wollen.

So wird das nun weitergehen, noch drei Monate lang. Deutsche Arbeiter: Die Bildungsbürger von den Grünen wollen euch das Grillen auf dem Plattenbaubalkon, den Flug nach Mallorca und das Dieselvergnügen vermiesen. („Ich fahre noch manchmal selbst Auto“, sagte Armin Laschet, als er den Dieselpreis nicht wusste, und fügte kokett hinzu: „Solange ich noch darf.“) In naiven Anwandlungen frage ich mich manchmal, wie die sich eigentlich fühlen, wenn sie so sehr darauf setzen, von den Doofen gewählt zu werden. Man darf gespannt sein auf die Steigerungen in der Schlussphase, wenn jetzt schon mit den ganz großen Keulen hantiert wird, als da sind: Antisemitismus, Biografiefälschung, unsolides Finanzgebaren.

Es ist eine elende Übung, Politikern in der Zeitung gute Ratschläge zu geben. Aber da ich mir wünsche, dass Annalena Baerbock die nächste Kanzlerin wird, frage ich mich, wie man das christdemokratische Heimatversprechen noch toppen kann. Nicht wegducken, denke ich, nicht widerlegen, sondern zuspitzen.

Darauf setzen, dass Greta Thunberg und Fridays for Future selbst beim konservativen Mittelständler im Bergischen Land (sorry!) einen Bewusstseinswandel angestoßen haben. Darauf, dass die ersten Wochen der Pandemie gezeigt haben, dass Bürger in der Lage sind, ihr Verhalten zu ändern, wenn sie überzeugt werden.

Darauf, dass es auch bei Heimatsenderhörern zumindest eine Ahnung gibt, dass Hitzesommer, Bienensterben, industrielle Landwirtschaft, Globalisierung, Ungleichheit und Migration miteinander verwoben sind. Darauf, dass 80 Prozent der Bürger für eine deutsche Vorreiterrolle beim Klimaschutz eintreten, immerhin noch zwei Drittel für eine ökologische Landwirtschaft und 90 Prozent für den Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Dass man das „Ende der Illusionen“ denen, deren Reallöhne seit zwanzig Jahren stagnieren, nicht erst mit soziologischen Taschenbüchern verklickern muss. Auch nicht, dass die Zukunft teuer werden wird. Und dass sie schon begonnen hat.

„Wenn wir nicht fundamental umsteuern, wird das verbleibende Budget, um eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius nicht zu übersteigen, bereits vor 2030 aufgebraucht sein.“ So steht es in einem Gutachten der nationalen Akademie Leopoldina, das Angela Merkel vor zwei Wochen überreicht wurde.

Auf 45 Seiten ein großartiger strategischer Aufriss für den Übergang in ein neues Energiezeitalter gemäß den Zielen des Pariser Abkommens. In nüchternen Worten berührt dieses Kursbuch in die postfossile Welt so ziemlich alle Dimensionen des Lebens in unserer Zivilisation: von einer internationalen globalen Rohstoffdiplomatie und einer Kreditrevolution von Zentralbanken über die Umwälzung des Mobilitätssystems, des Städtebaus, der Lehrpläne an Schulen. „Um Emissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren“, heißt es knapp in nur zwei Sätzen, „muss diese insgesamt nachhaltiger werden. Für Kon­su­men­t*in­nen steht der Wandel von Ernährungssystemen hin zu klimafreundlichen bezahlbaren Alternativen im Fokus.“ Die wichtigste Aufgabe von Politikern sei es, „den Menschen klarzumachen, dass wir nur mit einem geänderten Energiesystem eine Zukunft haben. Das wird etwas kosten, also gewöhnen wir uns besser daran.“

Pioniere des Wandels

Das ist eine Rhetorik, die sich übertragen lässt auf andere Dimensionen unserer multiplen Krise. Etwa so: Wenn wir nicht wollen, dass unsere Gesellschaft zerfällt in hochbezahlte Spezialisten und unterbezahlte Dienstleister ohne gewerkschaftliche Vertretung, dann müssen wir das Arbeitsrecht ändern. Wenn wir nicht wollen, dass die Spaltung zwischen Stadt und Land und innerhalb der Städte zunimmt, dann brauchen wir demnächst ein neues Bodenrecht. Und so weiter.

Zusammengefasst: Wenn wir dieses Jahrhundert bestehen wollen, dann müssen wir auch unser Grundgesetz an einigen Stellen weiterentwickeln. Und falls ihr es noch nicht wisst: Glaubt niemandem, der euch Sicherheit und Stabilität zu einem geringeren Preis verkaufen will. Für eine Weile haben wir noch die Chance, die Entwicklung umzudrehen. Und das ist ein großartiges Projekt, aber es funktioniert nur, wenn alle mitmachen, als Pioniere des Wandels.

Der Staatsrechtler Christoph Möllers schreibt in seinem Buch „Freiheitsgrade“, das System der repräsentativen Demokratie funktioniere nur mit Politikern, die über die Freiheit verfügen, „der Gemeinschaft, die sie repräsentieren, entgegenzutreten, um ihr zu widersprechen, sie zu belehren, sie ‚normativ zu fordern‘. […] Die Verachtung gegenüber Politik ist vielleicht auch durch einen Mangel an solchem politischen Freiheitsbewusstsein verursacht, aus der Servilität gegenüber dem vermeintlichen Volkswillen.“ Václav Havel nannte solche Freiheit: „In der Wahrheit leben.“ Wer über sie verfügt, der strahlt das aus.

Im Übrigen muss Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner natürlich dafür sorgen, dass die Maskenkriminalität und die Beschaffungspraktiken und Beteiligungen nicht in Vergessenheit geraten bis zum September.

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6 Kommentare

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  • "Auf 45 Seiten ein großartiger strategischer Aufriss für den Übergang in ein neues Energiezeitalter gemäß den Zielen des Pariser Abkommens. In nüchternen Worten berührt dieses Kursbuch in die postfossile Welt so ziemlich alle Dimensionen des Lebens in unserer Zivilisation"

    Das hat wohl ein Jünger geschrieben.

    Peinliche Sache.

  • Wenn Du Dir die Aufgaben so anschaust - Klima, Ernährung, Trinkwasser, Arbeit 4.0 etcpp. - und die wissenschaftsnegierenden Sprüche von UNION, FDP und SPD ... wunderst Du Dich da wirklich über Politikverdrossenheit, Verschwörungstheorien und den Hang, intellektuell noch bescheidener aufzutreten? Kohl war Pfälzer und kannte sicher den pfälzischen Spruch "lieber dumm gebabbelt als gar nix gesagt". Die Union hat verstanden ...

  • "... so schnell wie möglich wieder zurück zu einer Normalität zu gelangen".

    Ja. Auch ich will wieder mein Landsgut und meine Leibeigene wieder zurück. Zurück zur wohligen Normalität. Zurück ins zwölfte Jahrhundert.

    Sacht ma: ist der Armin wirklich so dumm, oder tut er nur so?

    • @tomás zerolo:

      12. Jahrhundert war klimaneutral und die böse Landwirtschaft war 100% Bio und preindustriell - Hungersnöte inklusive.

      Aber mal ernsthaft.Wenn ich die Bilder betrachte, wie diese schöne neue postfossile Welt aussehen soll, dann habe ich immer die Bilder vor Augen aus den Reportagen über China in den 80er Jahren. Für die jüngere Generation hier, die sich an diese Reportagen nicht erinnert, weil sie da noch nicht auf der Welt war:

      Man sah auf den Straßen zehntausende von Chinesen, alle in weißem Hemd und schwarzer Hose, wie sie auf einem Fahrrad zum Staatsbetrieb zur Arbeit fuhren. Dort bekam jeder drei Mal am Tag dieselbe Mahlzeit : Reis mit etwas Gemüse. Abends gings dann mit dem Fahrrad zurück nach Hause in die wintzige Einheitswohnung im Megabunker, wo man auf dem Einheitsfernseher ein Programm guckte und dann ab ins Bett und morgen wieder aufstehen und das war's. Keine flugreisen, keine auslandsreisen (nur für ganz spezielle Leute mit Parteibuch), keine Autos, überhaupt kein Konsum im Grunde und nichts was Energie verbraucht. Ich wette so manchen Klimaschützer wird da ganz wohlig im Bauch bei der Vorstellung, zumindest solange man nicht selbst so leben muss. Aber die Gefahr besteht ja erstmal nicht, man selbst ist ja privilegiert.

  • Möglicherweise scheitern die linken Parteien ja daran, dass alle Welt denkt, sie wäre Teil der Mittelschicht -- obwohl das rein rechnerisch ja gar nicht geht. www.progressives-z...der-mittelschicht/

    Die neoliberale Rhetorik der vergangenen Jahrzehnte hat den Menschen offenbar erfolgreich vermittelt, es sei persönliches Versagen, zur Unterschicht zu gehören. Zur Oberschicht will sich aber auch keine*r rechnen; auch das scheint schambesetzt zu sein. Vielleicht braucht es da einfach eine neue "Frohe Botschaft":

    Es ist keine Schande, zur Unterschicht zu gehören. Ebensowenig ist es eine Schande, zur Oberschicht zu gehören. Die Schande unserer Gesellschaft liegt darin, dass zwischen Unter- und Oberschicht so ein großer finanzieller Unterschied liegt.

    Es ist absolut keine Schande, wenn du zur Oberschicht gehörst. Im Gegenteil: Das gibt dir die Möglichkeit, viel zur Gemeinschaft beizutragen. So Leute wie dich brauchen wir!

    Ebensowenig ist es eine Schande, wenn du zur Unterschicht gehörst. Für Leute wie dich sind wir da!

    Deine Aufstiegschancen sind gering, solange die soziale Ungleichheit so groß ist, wie sie ist. Und wenn du ihn schaffst, musst du viel Liebgewonnenes aufgeben. Wenn du mit uns aber für eine gerechtere Welt kämpfst, werden zukünftige Aufsteiger*innen in diesem Prozess weniger aufgeben müssen.

    Wie wäre es damit?

  • Tja, die Union würde ich ohnehin nicht wählen. Ich kann nämlich genau so gut lesen, wie Matthias Greffrath. Meine Wünsche allerdings unterscheiden sich deutlich von denen des taz-Journalisten. Sie sind irgendwie sehr viel weniger bescheiden, finde ich.

    Ich wünsche mir nämlich (wenn überhaupt), eine*n Kanzler*in, der/die/das nicht nur schön reden (bzw. für Geld schöne Programme verfassen lassen) kann, sondern auch wirklich plausibel erklären, wie ganz genau sie ihr wohlklingendes Wahlprogramm umsetzen will unter den aktuellen Bedingungen (Machtverhältnisse, reaktionäres und neoliberales Erbe, sinkender Moral- und Bildungsstandard der Massen, zunehmende Panik angesichts schrumpfender Pfründe etc.).

    Am liebsten hätte ich natürlich eine*n Kanzler*in, der/die/das schon einmal ansatzweise bewiesen hat, dass sie nicht nur die Hosen an hat, sondern auch einen Arsch drinnen. Und zwar nicht, weil sie „die Polizei“, „die Armee“ und/oder „die Wirtschaft“ hinter sich weiß (oder sonst einen Knüppel-Besitzer), sondern weil sie ihrem Volk vertraut und von ihm mehrheitlich respektiert wird. So sehr, dass es, wenn nötig, auf ihre Bitte hin wirksam generalstreikt. Weil sie es ihrerseits respektiert (und nicht zusätzlich dümmer macht, als es ohnehin ist. Und sei es auch nur durch das Bashing der taz).

    Unterhalb dieser Schwelle möchte ich am liebsten gar niemanden wählen. Unterhalb dessen könnte ich schließlich auch selbst kandidieren. Das wäre mir überhaupt überaus angenehm. Weil ich mich dann nämlich nicht mehr gar so sehr bevormunden lassen müsste von einer Person, die ich nie persönlich getroffen und mit der ich noch nie auch nur zwei Pferde geklaut habe. Gar nicht davon zu parlieren, dass ich noch keine zwei Kinder erzogen habe mit ihr und schon deswegen nicht weiß, was herauskommt, wenn ich mich ihrem Urteil (und sei es partiell) unterwerfe. Kann so etwas zu meiner Zufriedenheit ausgehen? (Die Kindererziehung, meine ich. Unterwerfung wird niemals mein Steckenpferd.)