Rezept für Haschgebäck: Völlig losgelöst
Einfach Weed in den Brownieteig bröseln und fertig? Von wegen. Der perfekte Space Cookie braucht Zeit – und Kenntnisse in Mathematik und Chemie.
Das Wichtigste ist ja die Butter. „Die richtig zu machen, also das Gras in die Butter einkochen, ist der anspruchsvollste Teil“, sagt O. und legt einen Block Fett auf den Küchentisch. Bio-Süßrahmbutter, 250 Gramm. Daneben die Tüte mit dem Gras, 3 Gramm. Eine Mischung der Sorten Indica und Sativa, die laut Verkaufskontakt ein bisschen „albern“ machen soll. Und die wir heute essbar machen wollen – edible.
Empfohlener externer Inhalt
„Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ Das hat uns die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag versprochen. Weitere Schritte Richtung Legalisierung wurden bisher noch nicht eingeleitet. Doch wenn man in Deutschland erst mal legal sein Gras kaufen kann, dürfte auch der nächste Schritt diskutiert werden: essbare Hanfzubereitungen, sogenannte edibles, etwa in Form von Haschgebäck.
Da diese einen Rausch verursachen können, der erst Stunden nach dem Verzehr eintritt (und dann vielleicht zu stark, weil man aus Ungeduld zu viel gegessen hat), wurden sie zum Beispiel in Kanada 2018 nicht vom ersten Schritt der Legalisierung erfasst. Erst nach einer Probezeit durften sie ein Jahr später offiziell verkauft werden.
Ähnlich könnte es hierzulande ablaufen. Oder wie eine Sprecherin des Drogenbeauftragten der Bundesregierung es ausdrückt: „Diese Frage wird im Rahmen der Erstellung des Gesetzentwurfs zu klären sein.“
Vor allem braucht es Fett
So lange können wir nicht warten. Es ist ein Samstagabend in Charlottenburg, Berlin, und wir – drei junge Menschen und O., der Bäcker – wollen die perfekten Space Brownies backen. „Warum macht man eigentlich meistens Kekse oder Brownies? Warum nicht zum Beispiel … Cannabisbrot?“, will ich wissen. „Es gibt ja alles Mögliche, auch Cannabisöle oder eben Cannabisgummibärchen“, sagt O. „Vor allem brauchst du eben Fett, das zieht das THC ein.“
Denn THC, Tetrahydrocannabinol, der psychoaktive Wirkstoff von Hanf, ist stark lipophil, lässt sich also gut in Ölen oder Fetten lösen. Zum Backen empfohlen werden Butter oder Kokosöl. Dass wir ausgerechnet Brownies backen, liegt vermutlich an deren superhohem Butteranteil. Oder einfach daran, dass wir uns dem US-amerikanischen Einfluss wie so oft nicht entziehen können.
Im hinduistischen Raum, habe ich gelesen, bereitet man schon seit 1000 v. Chr. eine Paste aus Blüten und Blättern der weiblichen Hanfpflanze zu. Diese konsumiert man meistens in Form eines Milchgetränks mit Gewürzen, dem Bhang Thandai.
In Europa wurden edibles in den späten 1950ern ein Hit, nachdem Alice B. Toklas, die Lebensgefährtin der Schriftstellerin Gertrude Stein, im „The Alice B. Toklas Cookbook“ ein Rezept für Hasch-Karamell unterbrachte, mit der Notiz „Which anyone could whip up on a rainy day“ – etwas, dass jede:r an einem verregneten Tag zusammenpanschen kann. Draußen fängt es tatsächlich an zu regnen. Mal schauen, ob wir den Rest auch hinbekommen. Es ist jedenfalls nicht so, dass man einfach das Weed in den Brownieteig bröselt.
Decarboxy… was?
Bevor wir starten, müssen zwei entscheidende Dinge geklärt werden, und die haben mit Mathematik und Chemie zu tun. Zuerst muss das THC aktiviert werden, und hier kommt die Chemie ins Spiel: Rohes Gras beinhaltet nämlich eine Vorform des THC, sogenanntes THCA. „Das muss jetzt erst mal decarboxyliert werden“, sagt O., und das macht man am besten im Ofen.
Dafür verteilen wir das gemahlene Gras auf einem mit Backpapier ausgelegtem Blech. Raucht man einen Joint – bei Temperaturen von bis zu 800 Grad Celsius – wird das Cannabis übrigens ebenfalls decarboxyliert, aber wenige Sekunden später verdampft es dann auch. Damit das im Ofen nicht passiert, dürfen wir nicht zu hoch drehen. Wir finden komplizierte Grafiken dazu im Internet und den Hinweis, der „sweet spot“ liege zwischen 110 und 120 Grad Celsius. Also Ofen auf 120 Grad und 25 bis 30 Minuten warten.
Währenddessen klären wir die Mathematik. Wie viel Gras wollen wir mahlen? Wie viel Wirkung erzielen? Das erste Problem: Der THC-Gehalt in unserem Gras ist natürlich unklar. Das sei eben die große Unsicherheit, die man eingehe, solange dieses hierzulande nicht legalisiert sei, meint O. „Als ich in Kanada war, wusste man immer genau, wie viel in welchem edible drin ist.“ Wir müssen schätzen.
Man geht davon aus, dass ein Gramm Gras zwischen 150 und 200 mg THC beinhaltet. Eine ausführliche Internet-Tabelle klärt uns auf: Es wird empfohlen, für einen guten Trip (je nachdem, wie regelmäßig man konsumiert) zwischen 5 und 15 mg zu sich zu nehmen. Sagen wir, wir teilen den Brownie nachher in 30 Stückchen und nehmen zwei Gramm für die Butter und die ganze Butter für den Brownie, dann macht das pro Stück später … etwa 10 mg. Alle nicken. Klingt gut.
Das THC ist aktiviert, jetzt muss es nur noch in die Butter. Auf Englisch nennt man den Schritt „infusion“. Hier soll die Butter von den Cannabinoiden (dem high machenden THC und dem entspannenden Cannabidiol, auch als CBD bekannt) letztendlich durchdrungen werden. Dafür schmilzt man diese in einem Wasserbad, fügt das zermahlene Weed hinzu und lässt es lange, sehr lange einwirken.
Wichtiges Gadget: ein Steakthermometer
Auch hier ist Genauigkeit gefragt. Die Temperatur der Butter sollte hoch genug sein, dass sie komplett schmilzt, aber immer unter 93 Grad Celsius liegen. „Niemals höher, sonst wird das THC zerstört“, sagt O. und holt ein Steakthermometer aus der Tasche. Damit prüfen wir immer mal wieder die Temperatur, doch bei genug Wasser und auf mittlerer Stufe wird die kritische Marke nicht überschritten. „Na, und das jetzt mindestens zwei bis sechs Stunden“, sagt O.
Nach drei Stunden haben wir genug. Wir sieben die Grasreste mit einem Küchentuch aus und erhalten die Cannabutter – die Essenz unserer Space Brownies. Es folgt das Backen: Schokolade in der Cannabutter schmelzen, Zucker, Mehl und Eier hinzufügen, dazu als besondere Zutaten Walnüsse und ganze Schokostücke. Noch mal eine halbe Stunde in den Ofen. Die 170 Grad Backtemperatur bedeuten höchstens 100 Grad für kurze Zeit im Inneren des Gebäcks, also eine geringe Gefahr für THC-Verlust.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Es ist mittlerweile dunkel draußen und riecht wahrscheinlich stark süßlich in der ganzen Wohnung. Wir haben mehrere Runden Scharade hinter uns und H.s komplette Blues-Playlist durch. Es wird Zeit zu testen, ob sich das Warten gelohnt hat.
Mit Hanf angereicherte Kuchen nennt man auch Space Cakes, weil sie dich – bei richtiger Dosierung – ins All katapultieren. Alice B. Toklas bezeichnete das Haschkaramell aus ihrem Kochbuch als „food of paradise“. Es braucht eben eine Stunde oder zwei, bis das Paradiesische eintritt. Wichtig ist es, trotzdem erst auf den Effekt zu warten und nicht aus Ungeduld gleich ein zweites Stück zu viel zu essen. Denn wenn das High eintritt, dann hält es. Und zwar mehrere Stunden.
Wir haben einen Fehler gemacht, denke ich mir, schon halb im All. Die Brownies sind unglaublich lecker und wir haben kein zweites Blech ohne Gras gebacken.
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