Rezension zu Nazi-Satire „Jojo Rabbit“: Mit Adolf am Küchentisch
In Taika Waititis neuer Komödie schlägt sich ein Zehnjähriger mit einem ganz speziellen imaginären Freund herum: Hitler. Ist das nun lustig?
Die Debatte darüber, ob man über Hitler lachen darf, ist im deutschen Kulturbetrieb ein festes Ritual geworden. Das ist nicht abwertend gemeint, denn das Ritual war die längste Zeit gar kein so doofer Bestandteil der nötigen Vergangenheitsbewältigung. Die These, dass Faschismus und Holocaust nicht zum Lachen sind, stößt immer wieder auf die Gegenthese, dass man sich in einer freien Gesellschaft schließlich über alles lustig machen dürfen soll. In der Debatte wird dann von Fall zu Fall entschieden.
Die längste Zeit galt dabei die Prämisse: Wenn der Humor der Aufklärung dient, ist’s gut, wenn er nur albern ist, rümpft man die Nase. Und wenn er die Falschen verspottet, verurteilt man ihn. Wie gesagt: Das ist kein schlechtes Verfahren. Aber wie oft bei Ritualen droht es zu versteifen und damit an Überzeugungskraft zu verlieren.
In Taika Waititis „Jojo Rabbit“ ist Hitler (vom Regisseur selbst gespielt) von Anfang an eine ziemlich lächerliche Gestalt: Da steht er in seiner braunen Uniform im Kinderzimmer des zehnjährigen Johannes „Jojo“ Betzler (Roman Griffin Davis) und versucht, Motivation zu versprühen. Dem Jungen ist ein bisschen bange vor seiner ersten Hitlerjugend-Freizeit. Adolf will ihn aufbauen: Er sei doch der beste, loyalste kleine Nazi, den er kenne. Und dann üben sie gemeinsam den Hitlergruß, aber so richtig. So ganz, ganz richtig.
Bis schließlich Jojo beim Auf-die-Straße-Rennen förmlich abhebt vor lauter Armausstrecken und -hochhalten. Aus dem Off singen dazu die Beatles „Komm gib mir deine Hand“. Zwischen die Szenen, in denen Jojo armhebend durch die Gassen seiner deutschen Kleinstadt tanzt, sind Archivaufnahmen von Menschenmassen geschnitten, die Hitler die Hand geben wollen.
Unpassendes wird kurzgeschlossen
Als Zuschauer fühlt man sich da mit der Entscheidung, ob man das lustig finden soll, schon sehr allein gelassen. Man erkennt, dass hier Unpassendes kurzgeschlossen wird – ein bewährtes komödiantisches Verfahren seit mindestens der Antike –, aber man ist sich unsicher, ob es auch zündet.
Der Neuseeländer Waititi kennt sich mit Humor aus. Nicht nur, dass er mit „Thor: Tag der Entscheidung“ die bislang beste Superhelden-Komödie gedreht hat; die Indie-Filme, die er davor verantwortete – „Wo die wilden Menschen jagen“ und „5 Zimmer Küche Sarg“ –, sind geprägt von einem sehr feinen, melancholisch getönten Sinn für die inhärente Komik dessen, wie Menschen über sich selber denken.
Sei es der kleine Ausreißer, der in der neuseeländischen Wildnis von einem Leben als Gangsta-Rapper träumt, oder der 200-jährige Vampir, der sich kokett als „Wiegenräuber“ bezeichnet, wenn er seiner inzwischen 70-jährigen Jugendliebe hinterhersteigt – eingebildete Stärken verwandeln sich in Waititis Humor oft in sympathische menschliche Schwächen.
Als Satire auf Tagträume und unsichtbare Freunde funktioniert „Jojo Rabbit“ bestens. Der kleine Jojo, der sich von seinem Adolf noch durch die Hitlerjugend-Freizeit coachen lassen muss, findet in einem Verschlag der Wohnung, in der er mit seiner Mutter (Scarlett Johansson) lebt, eines Tages ein junges Mädchen (Thomasin McKenzie).
Ein bisschen wie bei Lubitsch
Elsa ist Jüdin, das begreift er schnell; sehr viel länger braucht er, um all die kruden Vorstellungen, die ihm seine Nazi-Umgebung über Juden und ihre Kultur einflüstert, zu überwinden und mit seinen wahren Gefühlen für die 15-Jährige in Einklang zu bringen. Erst recht, als seine Mutter eines Tages nicht nach Hause kommt und stattdessen Hauptmann Deertz (Stephen Merchant) aufkreuzt und die Wohnung durchsucht. Als dann auch noch Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell) kommt, fühlt man sich als Zuschauer tatsächlich ein bisschen wie in Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ – „Schulz!!!!“ –, weil man nicht weiß, wer hier die richtigen und wer die schauspielernden Nazis sind.
"Jojo Rabbit". Regie: Taika Waititi. Mit Roman Griffin Davis, Scarlett Johansson u. a., USA 2019, 108 Min.
So setzt einen der Film immer wieder zwischen die Stühle – kein sehr komfortabler Platz. Soll man mitfühlen mit Jojo, der enttäuscht darüber ist, dass er mit den anderen Hitlerjugend-Jungs nicht mithalten kann? Soll man über Rebel Wilson lachen, die als Nazi-Braut Unsinn von sich gibt? Oder etwa Mitleid haben mit dem zusehends kläglicher werdenden Adolf, dem es nicht passt, dass ihm Jojo entgleitet?
Wobei der Witz ist, dass sich die ganzen Ambivalenzen gar nicht so schlecht anfühlen, man aber – vielleicht vor allem als Deutscher – doch denkt, sie müssten einen mehr bedrücken. Weil doch nur das Lachen, das im Halse stecken bleibt, pädagogisch wertvolles Lachen ist, oder? Aber wenn das Komische gleichzeitig schrecklich-komisch sein muss, wie könnte man dann eine Kindergeschichte damit erzählen?
Ob „Jojo Rabbit“ als Nazi-Satire funktioniert, sei dahingestellt. Als Geschichte eines Jungen, der aus erlernten Vorurteilen herausfindet, erweist sich der Film mit seiner ausgestellten Leichtigkeit als mitreißend und wunderbar großherzig: Das Kind im Zentrum nämlich, Jojo und seine Gewissensnot, wird immer ernst genommen.
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