Ressortaufteilung in der GroKo: Die Chefin verzichtet
Verliererin des Ministerpostendeals ist eindeutig die CDU. Ihr bleiben Verteidigung, Wirtschaft, Bildung – und das Kanzleramt.
Aber er muss seine Erfolge herausstellen, darauf kommt es an. Also redet er im Foyer der Berliner CDU-Zentrale, als ginge es um sein politisches Überleben – und das tut es ja auch. „Der Koalitions-vertrag trage „in einem großen Maße auch sozialdemokratische Handschrift“. Der SPD-Chef zählt auf, was die SPD in diesen Koalitionsverhandlungen alles erreicht hat. Sozialer Wohnungsbau, Abschaffung des Solidaritätszuschlags, Einstieg in den sozialen Arbeitsmarkt – und natürlich die Europapolitik.
Schulz hat kleine, müde Augen und einen über 24-stündigen Verhandlungsmarathon hinter sich. Dynamisch sieht das Trio, das dem Land „neue Dynamik“ verspricht, nicht aus. Aber das wäre auch zu viel verlangt.
Seit mehr als vier Monaten versucht Merkel, eine Regierung zu bilden. Nun, endlich, scheint sie diesem Ziel nahe zu sein. Am Mittwoch einigten sich die Verhandler von CDU, CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag. Nach einer aufreibenden Nachtsitzung, schmerzhaften Kompromissen und einem harten Streit um die Ministerien war klar: Sie wollen es miteinander probieren. Nun müssen nur noch die SPD-Mitglieder in einer Basisbefragung ihr Okay geben. Deshalb erwähnt Schulz auch noch Bafög und Mindestausbildungsvergütung. Diese Themen sind den Jusos wichtig, die gegen die Große Koalition kämpfen. Seehofer verliert kurz den Kampf gegen sein unterdrücktes Lächeln.
Merkel vermeidet es wie immer, allzu euphorisch zu klingen. Die Anstrengungen bei den Verhandlungen der vergangenen Wochen hätten sich gelohnt, sagt sie – und stärkt Schulz den Rücken. Nun gelte es, um Zustimmung für den Koalitionsvertrag zu werben. Man sei um Balance bemüht gewesen, gerecht zu verteilen und solide zu wirtschaften.
Schachern um das Handschrift-Zepter
Merkel betont: Gerade in sozialen Bereichen solle Menschen mehr Sicherheit gegeben werden. Diese Koalition, so die Botschaft, kümmert sich besonders ums Soziale, um das, was der SPD wichtig ist. Seehofer kann sich kurz darauf eine kleine Spitze nicht verkneifen. Wessen Handschrift die Ergebnisse trügen, „lieber Martin, das spare ich mir für den politischen Aschermittwoch auf“.
Vor dem Auftritt der drei ChefInnen haben die mehr als 90 Unterhändler der drei Parteien dem Vertrag zugestimmt. 177 Seiten, ganz vorn eine Präambel, die eine „neue Dynamik für Deutschland“ verspricht. Das Papier enthält viele Wohltaten für die Mittelschicht, ein Baukindergeld, eine stabilere Rente, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
Bei den dicken Brocken, die bis zum Ende offen waren, stehen klassische Kompromisse. Die Koalition macht sachgrundlose Befristungen zur Ausnahme, schafft sie aber nicht komplett ab, wie es die SPD wollte. Und sie setzt eine Kommission für die umstrittene Angleichung der Arzthonorare für Kassen- und Privatpatienten ein. Das sind keine glänzenden Erfolge für die SPD-Spitze, auch wenn Schulz es anders darstellt. Bei diesen Themen, so haben sie es auf dem Parteitag im Januar versprochen, wollten sie eigentlich nachliefern.
Auf den letzten Metern verhakten sich die Verhandlerteams. Sie gerieten aneinander, als es darum ging, wer welches Ministerium für sich beanspruchen darf. Die SPD beanspruchte wichtige Häuser für sich – und konnte ihre koalitionsskeptische Basis als Erpressungspotential nutzen. Horst Seehofer wiederum, hieß es in SPD-Kreisen, habe erst das Arbeits- und Sozialministerium für sich beansprucht – musste sich aber dann mit einem aufgemotzten Innenressort zufriedengeben.
Spannende letzte Seiten
Die Ressortverteilung ist auf der letzten Seite des Koalitionsvertrages geregelt. Die SPD darf sechs Ministerien besetzen, darunter sind drei sehr wichtige. Schulz und seine VerhandlerInnen haben wieder das Kernressort Arbeit und Soziales erkämpft, aber auch das Außen- und Finanzministerium. Unbestritten, ein Sieg: „Ich bin froh, dass die SPD zentrale Ressorts markiert hat“, sagt SPD-Verhandler Hubertus Heil in der Wintersonne. Zuletzt hatte die SPD diese drei Ministerien 2005, nur schaffte sie damals bei der Wahl 34,2 Prozent, nicht 20,5.
Mit den Ressorts Außen und Finanzen, sagen SPDler stolz, sei ein Aufbruch in der Europapolitik möglich. Damit ist der Weg für Schulz ins Kabinett bereitet. Er möchte Außenminister unter Merkel werden. Das gibt er am Abend im Willy-Brandt-Haus bekannt. Gleichzeitig kündigt er an, an der Parteispitze Platz für Andrea Nahles zu machen. Partei müsse jünger und weiblicher werden, begründet er. Mit Nahles gebe es auch ein Signal für einen Generationenwechsel.
Für Schulz ist es eine vergoldete Niederlage: Außenminister, das ist für einen, der leidenschaftlich Europapolitik macht, ein Traumjob. Dennoch steckt hinter dem Rückzug das Eingeständnis, dass er als Parteichef gescheitert ist – und die SPD ihn nicht mehr wollte. Wichtige Genossen hatten ihn in den vergangenen Wochen dazu gedrängt, den Parteivorsitz und das Ministeramt zu trennen.
Verliererin des Groko-Postendeals ist eindeutig die CDU. Sie ist die stärkste Kraft in dem Bündnis – und übt sich im Verzicht. Ihr bleiben zum Beispiel das Verteidigungs-, das Wirtschafts- und das Bildungsministerium. Der Grüne Konstantin von Notz lästert auf Twitter: Er würde als CDU-Mitglied ins Berliner Grundbuch gucken – „nicht dass die eigenen Verhandler auch noch die CDU-Zentrale für die vierte Kanzlerschaft Merkels versetzt haben“. FDP-Chef Christian Lindner schlug in dieselbe Bresche: Die CDU sei bereit, der SPD alles zu geben, um das Kanzleramt zu erhalten.
Dieser Tag kennt auch Verlierer, politische Karrieren enden. Sigmar Gabriel wird nicht mehr im Kabinett sein, auch nicht Nochinnenminister Thomas de Maizière, der schon Verteidigungsminister und Kanzleramtschef war. „Alle da?“ De Maizière steht mit durchgedrücktem Rücken vor dem Konrad-Adenauer-Haus, die Journalisten drängen sich um ihn. Er sei stolz und dankbar, dass er dem Land in drei wichtigen Ressorts dienen konnte. Die Journalisten rufen ihm Fragen zu. „So.“ De Maizière dreht sich um, und geht.
CSU deutlich im Vertrag
Alle sind bemüht, die künftigen Partner gut aussehen zu lassen. Die CSU stichelte in den vergangenen Wochen gerne gegen die SPD. Aber selbst Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär und oft auf Krawall gebürstet, sagt, es stelle sich nicht die Frage, wer Sieger sei. Die CSU hat ebenfalls Erfolge vorzuweisen. Sie hat ihren Hardlinerkurs in der Flüchtlingspolitik in den Vertrag gedrückt.
Außerdem bekommt Seehofer ein maßgeschneidertes Megaministerium, auch wenn es vielleicht nicht seine erste Wahl war. Er wird die Bereiche Innen, Bau und Heimat verantworten – und bekommt so die Bühne, um die Flüchtlingspolitik zu prägen. Seehofer wird für die SPD in diesem Bündnis ein ständiger Stachel sein.
Peter Altmaier
Auch Merkels Leute in der Regierung loben den Kompromiss. Peter Altmaier, ein Vertrauter Merkels, schlendert um kurz nach elf am Vormittag aus dem Adenauer-Haus. Das Sakko hat er sich über die Schulter gehängt, die Hemdsärmel hochgekrempelt – bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. „Wir haben einen Koalitionsvertrag, der für sehr, sehr viele Bürgerinnen und Bürger Positives bedeutet.“ Altmaier versprüht gute Laune, obwohl er selbst gerne Finanzminister geblieben wäre – und den Stuhl nun räumen muss. Dann verschwindet er, um kurz zu duschen.
So geht es vielen der Groko-Spitzenleute. Viele nutzten den Mittwochvormittag, um sich frisch zu machen. SPD-Vize Ralf Stegner witzelt, es gebe übrigens keine Feldbetten bei der CDU. Schließlich war der Tag durchgetaktet: Am Nachmittag beschäftigten sich die Parteigremien mit der Einigung, am frühen Abend sollten die Fraktionen zusammenkommen.
Die Basis muss noch entscheiden
Die SPD-Spitze befindet sich schon im Werbemodus – und informierte entsprechend zuerst die Mitglieder über die Einigung. Sie schickt um 10.37 Uhr eine Mitteilung über einen Messenger-Infodienst. „Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht! Endlich. Jetzt werden noch die letzten Details in den Text eingearbeitet.“ Dazu ein Selfie von Andrea Nahles, Olaf Scholz und anderen – SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat einen Mehr-Tage-Bart im Gesicht. Ihnen steht der wahre Kampf erst bevor. In den kommenden Wochen sind mehrere Regionalkonferenzen geplant, um die kritische Basis zu überzeugen.
Der Widerstand formiert sich bereits. Die SPD-Linke Hilde Mattheis twitterte mit Blick auf den ehemaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück: „Hatten wir das Ministerium nicht schon mal? War das ein Erfolg? Kann mich nicht erinnern.“ Und Juso-Chef Kevin Kühnert schrieb ebenfalls auf Twitter: #NoGroko bedeutet nicht nur die Ablehnung eines Koalitionsvertrages. #NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird.“
Im Foyer des Konrad-Adenauer-Hauses stellt ein Journalist die Frage: Die SPD habe bei den Inhalten, etwa beim Arbeitsrecht, nicht viel erreicht. Wie Schulz bei seiner Basis den Eindruck ausräumen wolle, dass es vor allem um Posten geht – auch für ihn selbst? Schulz widerspricht, natürlich. Wieder zählt er Erfolge auf, bei Betriebsrenten oder bei der Mitarbeiterqualifizierung.
Am Rande stehen Alexander Dobrindt und Julia Klöckner, zwei ambitionierte Leute in der Union. Sie lächeln, als der Journalist fragt – und nicken sich vielsagend zu. Ab jetzt wird Schulz mit dem Vorwurf leben müssen, sich noch im Abgang einen Spitzenposten gesichert zu haben. Die Große Koalition ist einen guten Schritt weitergekommen. Aber fertig ist sie noch lange nicht.
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