piwik no script img

Repressionen gegen KrimtatarenLangjährige Haftstrafen

Ein russisches Gericht spricht drei Angeklagte der Gründung einer terroristischen Vereinigung schuldig. Beobachter ziehen Parallelen zur Stalin-Zeit.

Im russischen Rostow-am-Don hat ein Gericht drei Krimtataren zu langjährige Haftstrafen verurteilt Foto: Southern District Military Court/imago

Mönchengladbach taz | Ein Gericht im russischen Rostow-am-Don hat drei Krimtataren zu insgesamt 48 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die drei wurden für schuldig befunden, 2017 in der Stadt Belogorsk auf der Krim „eine Zelle der terroristischen Organisation ‚Partei des islamischen Widerstands Hizb ut-Tahrir‘ gegründet zu haben“.

Bis zu ihrer Festnahme am 10. Juni 2019 hätten sie, so die Anklage, „Ideen der terroristischen Organisation verbreitet und gleichzeitig unter Bewohnern der Krim Werbung für eine Mitgliedschaft in dieser Gruppierung geworben“. Zudem hätten sie den Boden für eine gewaltsame Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung der Russischen Föderation vorbereiten wollen, so die Anklage.

Während der Gerichtsverhandlung protestierten 50 Krimtataren vor dem Gerichtsgebäude. Tags zuvor hatten russische Polizisten 30 weitere Krimtataren auf der Krim-Brücke zwischen den Städten Kertsch und Taman vorüber­gehend festgenommen und die ganze Nacht in Gewahrsam gehalten. In der Folge hatten sie das Gerichtsgebäude von Rostow-am-Don nicht mehr rechtzeitig erreichen können.

Enwer Omerow wurde zu 18 Jahren, Ajder Dschepparow zu 17 Jahren und Risa Omerow zu 13 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Alle drei wiesen die Vorwürfe zurück. Ihre Anwälte kündigten Berufung an. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hat die Verurteilten zu politischen Gefangenen erklärt und ihre Freilassung gefordert.

Erinnerung an 1944

In seinem Schlusswort hatte der Angeklagte Enwer Omerow erklärt, dass er und seine Mitgefangenen niemals Überlegungen zu Terroranschlägen angestellt hätten. „Laut Statistik begehen auch christliche Organisationen Terroranschläge. Trotzdem spricht niemand von einem christlichen Terrorismus. Das ist richtig so. Und genauso ist es gegenüber unserer Religion nicht akzeptabel von einem ‚islamischen Terrorismus‘ oder einer ‚kriegerischen Ideologie‘ zu sprechen. Terrorismus hat keine Religion. Der Islam verbietet derartige verbrecherische Handlungen und betrachtet sie als schwere Sünde.“ Omerow sieht die aktuellen Verfolgungen der Krimtataren in einer Tradition der Deportation der Krimtataren durch Stalin 1944.

Auch Boris Sacharow von der „Menschenrechtsgruppe Charkiw“ sieht in dem jüngsten Urteil Parallelen zum Vorgehen gegen Andersdenkende in der Sowjetunion. „Doch die aktuellen Verfolgungen der Krimtataren gehen noch über die Repressionen der Sowjetzeit hinaus“, so Sacharow gegenüber der taz. „Inzwischen ist in Putins Russland Folter in der Haft an der Tagesordnung.“ Verurteilungen zu Haftstrafen von 17 und 18 Jahren habe es auch in der Sowjetunion nach Stalin gegen Andersdenkende nicht gegeben.

Sacharow beschreibt Hizb ut-Tahrir als eine friedliche islamische Partei. „Als Jude trage ich den Schmerz des Holocaust in mir. Aber ein Staat hat nicht das Recht, Meinungen in Friedenszeiten einzuschränken oder Menschen wegen ihrer Meinung zu verfolgen“, so Sacharow.

Laut Maria Tomak von der ukrainischen „Medieninitiative für Menschenrechte“ seien derzeit 103 BewohnerInnen der Krim politische Gefangene in Russland, davon 76 Krimtataren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Auch ein angeblich befreundetes Land schmeißt seine Bürger die nur die Wahrheit sagen lebenslang hinter Gitter.Das ist nunmal ein Merkenzeichen von Diktaturen.Darm fordere ich Schluss mit jedweden Handel und irgendwelche Beziehungen zu solchen Staaten.Wir brauchen die nicht.Die sollen erst einmal unsere Werte aktzeptieren.Die sind in der UN Charta für Menschenrechte festgelegt.Solynge dies nicht passiert sollten diese Staaten auch aus der UN ausgeschlossen werden.

  • Wichtiger als eklatante Menschenrechtsverstöße beim Namen zu nennen, ist es vielen, die in Freiheit leben, dass man ein derartiges Vorgehen des russischen Staates nicht beim Namen nennt, darauf zu sprechen kommt und - falls es sich nicht vermeiden lässt – darauf hinweist, dass die Menschenrechte ja auch anderswo verletzt würden. Was soll das? Was hilft dies den Menschen, die verfolgt werden. Leider ist unser Land voll von Menschen, die der irrigen Auffassung folgen "man müsse mit Putin reden" damit er netter zu seinen Untertanen ist. Die Argumentation gleicht jener welche Republikaner derzeit bemühen. Sie warnen und drohen damit, dass man das Land nur spalten würde, wenn man die Urheber der Ereignisse zur Rechenschaft zöge. Man müsse ihre Beweggründe verstehen, bevor man ihren Rechtsbruch verurteile. Was sich durch solches Verständnis verbessern soll, ist mir ein Rätsel. Man wird Extremisten damit nicht zügeln, sondern erweitert ihren Handlungsspielraum durch derlei Rede. Sie wissen nun, wie weit sie gehen können, ohne dass ernsthafte Konsequenzen drohen. Mit Putin, der immer mehr oppositionelle Kräfte verfolgt und wegsperren lässt verhält es nicht anders. Man tut Russland und seinen Bürgern keinen Gefallen, wenn man sich mit Kritik zurückhält um Ärger mit Putin zu vermeiden. Man fördert ein repressives Regime, nicht das Wohl der Bürger des Landes.