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Repression propalästinensischer ProtesteBerlin demontiert den Rechtsstaat

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

In Berlin werden zwei Mädchentreffs geschlossen, weil deren Leiterin sich propalästinensisch positioniert. Das ist einer Demokratie unwürdig.

Nicht nur gegen die Teil­neh­me­r*in­nen des Palästina-Kongresses wird in Berlin repressiv vorgegangen Foto: Fabian Sommer/dpa

E s war einmal ein demokratisches und weltoffenes Berlin. Und dann kam Schwarz-Rot. Seit dem 7. Oktober arbeitet die CDU mit eifriger Unterstützung der SPD daran, den Rechtsstaat auszuhöhlen und ihnen unliebsame Meinungen mit allen Mitteln zu unterdrücken.

Erst entzieht der CDU-Kultursenator einem migrantischen Kulturzentrum die Förderung, weil in ihm umstrittene, aber keineswegs verbotene propalästinensische Gruppen aktiv sind. Dann erlässt die CDU-Bildungssenatorin ein Kufiya-Verbot an Schulen und schafft damit ein Klima der Angst.

Einen Palästina-Kongress findet der Regierende CDU-Bürgermeister „unerträglich“, woraufhin die Veranstaltung kurz nach dessen Beginn mit fadenscheinigen Argumenten verboten wird. Die Teil­neh­me­r*in­nen eines propalästinensischen Camps vor dem Bundestag werden von der Polizei schikaniert.

Und nun beendet ein CDU-Stadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg die Verträge mit zwei Mädchenzentren, weil deren Leiterin privat für Palästina demonstriert und privat vielleicht strafrechtlich Relevantes in diesem Zusammenhang gepostet haben soll.

Rechtswidrige Mittel

Es ist völlig egal, was man von den Meinungen der einzelnen Betroffenen halten mag, aber ein solches Vorgehen gegen politische Ak­ti­vis­t*in­nen, die sich im juristischen Sinne nichts zu schulden haben kommen lassen, ist eines Rechtsstaates unwürdig. Der besitzt nämlich ausreichend Instrumente, um gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen vorzugehen. Dafür braucht er nicht selbst auf verfassungswidrige Mittel zurückzugreifen. Und ohne rechtliche Grundlage die Meinungsfreiheit zu beschneiden, ist rechtswidrig.

Ganz gleich, wie „unerträglich“ man so manche Meinung in der aufgeheizten Nahost-Debatte auch findet – solange sie nicht strafbar ist, muss man sie ertragen. Auch und vor allem das ist Demokratie. Und der Diskurs darüber sollte nicht beschnitten, sondern vielmehr gefördert werden, will man die Spaltung der Gesellschaft nicht noch vorantreiben.

Wer Meinungen, die nicht der „Staatsräson“ entsprechen, unterdrückt, handelt gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und ihre Basis – das Grundgesetz. Die Teilnahme am Palästina-Kongress war nicht verboten. Ob die Äußerungen der Leiterin des Mädchenzentrums auf Instagram strafbar waren oder nicht, das zu überprüfen ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft – und nicht eines Bezirksstadtrats.

Und wenn sie es waren, kann und sollte diese Leiterin ihrer Position enthoben werden. Deshalb gleich zwei Jugendeinrichtungen zu schließen und die Mädchen dafür zu bestrafen – das ist wirklich unerträglich.

Die Rückkehr der Berufsverbote

Es erinnert zudem unangenehm an den Geist der 1970er Jahre, als die Bundesregierung mit dem „Radikalenerlass“ Berufsverbote für Linke erließ. Dass dies nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar war, ist spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den 1990er Jahren klar.

Damals wie heute würde man sich wünschen, dass der deutsche Staat mit mindestens dem gleichen Eifer gegen Rechtsradikale vorgeht. Doch statt Haftbefehle gegen bewaffnete Neonazis zu vollstrecken, werden Mädchenzentren geschlossen, weil deren Leiterin sich propalästinensisch positioniert.

Wenn Rechtsradikale unbehelligt und immer lauter das Zusammenleben der Menschen in dieser Gesellschaft bedrohen und gleichzeitig linke Positionen durch den Staat massiv unterdrückt werden, ist der Schaden für unsere Demokratie umso größer.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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15 Kommentare

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  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    Der Rechtsstaat wird nicht dadurch demontiert, weil Menschen zweifelhafte Kündigungen erhalten. Sie können in einem Rechtsstaat dagegen vorgehen. Das zeichnet ihn als Rechtsstaat aus.

  • "Und nun beendet ein CDU-Stadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg die Verträge mit zwei Mädchenzentren, weil deren Leiterin privat für Palästina demonstriert und privat vielleicht strafrechtlich Relevantes in diesem Zusammenhang gepostet haben soll."



    dann ist es wohl nicht relevant weil es privat gepostet wurde... bei anderen berufsgruppen, politikern, prominenten, vereinen wird da kein unterschied gemacht, warum hier?

  • Also, so wie ich das sehe, ist die CDU mit demokratischen Mitteln an die Macht gekommen und fällt nun politische Entscheidungen in ihrem Sinne. Fördergelder vom Staat zu bekommen ist ja nun kein Grundrecht, sondern der Staat entscheidet den politischen Mehrheiten entsprechend was er fördern will. Ist ja nicht anders gewesen als Lederer Kultursenator war.

    • @LesMankov:

      Ihre Einschätzung hat mit dem oben beschriebenen Sachverhalt nichts zu tun; die Frage, ob es ein Grundrecht auf Förderung gibt oder nicht, steht hier gar nicht zur Debatte.

      Gegenstand des Artikels ist die fristlose Kündigung eines laufenden, vertraglich gesicherten Beauftragungsverhältnisses, die ohne Anhörung und lediglich auf der Grundlage von Medienberichten und Kommentaren in privaten Instagram-Profilen erfolgte.

      Im Fokus steht im Artikel die Frage der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens, das (und zumindest in diesem Punkt haben sie Recht) offensichtlich politisch motiviert ist. Allerdings müssen auch "politische Entscheidungen" in einem Rechtsstaat nicht nur verhältnismäßig sondern vor allem rechtmäßig sein.

      An diesem Grundsatz hat sich in der Vergangenheit auch Klaus Lederer orientieren müssen, den sie aus welchen Gründen auch immer in ihren Kommentar geschmuggelt haben.

  • "den erklärten Wunsch, Israel zu zerstören, oder sogar Sympathien für das Massaker der Hamas am 7. November zu zeigen, als linke Position zu bezeichnen und sich so damit gemein zu machen ist eine moralische Bankrotterklärung der Autorin."

    Weder die TAZ-Autorin noch die Leiterinnen der Mädchentreffs noch die Veranstalter des Palästinakongresses oder -camps noch das Neuköllner Kulturzentrum haben derartiges je erklärt.

    Diese Unterstellungen sind ein weiteres Beispiel für die Verrohung der Debatte, statt Argumente auszutauschen und zuzuhören.

    • @stadtlandmensch:

      Also wenn es stimmt, dass von den Geschäftsführerinnen des Mädchentreffs die Parole "from the river to the sea Palestine will be free" verbreitet wurde, dann ist das nunmal nichts anderes als der erklärte Wunsch, Israel zu zerstören.



      Die Sympathien für das Massaker der Hamas am 7. Oktober zeigen sich bei Rednern des sog. Palästinakongresses, namentlich bei Salman Abu Sitta.

      Die Autorin bleibt etwas nebulös, deutet aber im Zusammenhang der genannten Beispiele darauf hin, dass "linke Positionen durch den Staat massiv unterdrückt werden". Das finde ich äußerst unmoralisch. Antizionismus und Israelhass sind für Linke eine Sackgasse. Entweder die Linke findet zur Vernunft und bereitet den Boden für friedliche Lösungen der Koexistenz von Israel und Palästina, oder sie kann abdanken.

  • Es wird Zeit, dass das gesamte Vorgehen der Politik und Verwaltung als auch der Polizei im Zuge der "Antisemitismusbekämpfung" mal in Karlsruhe überprüft wird. Man hantiert hier mit Resolutionen (BDS- Resolution, die laut wissenschaftl. Dienst des BT als Gesetz verfassungswidrig wäre) u einer Staatsraison ohne Gesetzesgrundlage, verpflichtet sich zu einer Antisemitismusdefinition die jegliche Kritik an Israel verhindern soll... und präventiv werden Leute in der Ausübung ihrer politischen u jetzt auch noch sozialen Rechte eingeschränkt weil sie etwas inkriminierendes gesagt haben sollen (was, wird meist nicht transparent gemacht) oder auch nur sagen könnten und selbst dafür was sie nicht gesagt haben. In keinem westlichen, demokratischen Land passiert das. Hier macht man sich zum Büttel von Netanyahu, der seine Kriegsverbrechen in Gaza bemänteln will (und zuvor schon die in gravierendem Maße menschenrechtswidrige Praxis der Besatzung und Siedlung in den Palästinensergebieten). Wie konnte es so weit kommen? Zittert man so sehr vor dem Empörungsgeschrei Netanyahus oder Volker Becks, dass man immer gleich einknickt und politischen Protest, Informationsveranstaltungen (wie an der Kunstschule in Weißensee) verbietet, Gelder entzieht, Veranstalter unter Druck setzt, Mietverträge und Arbeitsverhältnisse kündigt – aber gleichzeitig zu dem brutalen an Genozid grenzenden Vorgehen der Israelischen Armee in Gaza sehr zurückhaltend bleibt. Es wird der Tag kommen, an dem sich die deutsche Politik wieder wird Asche aufs Haup streuen müssen für ihr (Nicht-)Handeln, diesmal in in Bezug auf die Palästinenser. Ich frage mich: Ist sie nicht willens oder intellektuell nicht in der Lage zwischen dem Holocaust, unserer Verantwortung dafür und dem Konflikt zw Israel u den Palästinensern zu unterscheiden, warum kann sie nicht anders als unser schlechtes Gewissen über unsere Vorfahren überall reinzumantschen und immer wenn das Stichwort fällt reflexhaft übers Stöckchen zu springen?

  • Grundrechte müssen gewahrt werden und Beschwerderecht steht ihnen ja zu. Aber den erklärten Wunsch, Israel zu zerstören, oder sogar Sympathien für das Massaker der Hamas am 7. November zu zeigen, als linke Position zu bezeichnen und sich so damit gemein zu machen ist eine moralische Bankrotterklärung der Autorin. Und ich fnde nicht dass man Hamas-Verherrlichung im Sinne der Demokratie ertragen muss. Man muss dem auf allen Ebenen entgegenwirken genauso wie rechtsextremer Hetze. Das Problem ist seit jeher, dass Verbote zwar sinnvoll sein können, aber nicht reichen, vielmehr braucht es Ausstiegsangebote, sowie Präventionsstrategien durch Bildung und soziale Integrationsperspektiven, gerate für die palästinensische Community ganz profan eine Einbürgerung und staatsbürgerliche Gleichstellung, sowie Aufarbeitung der diesbezügliche Versäumnisse der BRD in den 1980er und 1990er (die TAZ hatte darüber doch sehr gute Artikel veröffentlicht).

    • @a jugovic:

      Da schließe ich mich mal an.

      Im Falle Israels ist eben immer alles ein bisschen anders. Da ist man fix dabei, alles Mögliche auszublenden und macht sich mit Hamasfreunden gemein.

      Was die Bildung angeht, da bin ich mir nicht so sicher, schaut man zu den Universitäten der Ivy-League, dann bekommt man das kalte Grausen.

      Dass der Fisch dort vom Kopf her stinkt, zeigte die Anhörung der Prsäsidentinnen von Havard, dem MIT und der UPenn im US-Kongress.

      Alle drei bestanden darauf, dass ein Aufruf zum Völkermord an Juden nicht per se zu verurteilen wäre, sondern nur im Zusammenhang mit dem jeweiligen Kontext.

      Die propalästinensischen Studenten bedrängen und bedrohen einstweilen jüdische Studenten.

      Die Columbia hat den Lehrbetrieb auf online umgestellt. Einfach weil es nicht mehr sicher ist.

    • @a jugovic:

      "Aber den erklärten Wunsch, Israel zu zerstören, oder sogar Sympathien für das Massaker der Hamas am 7. November zu zeigen, als linke Position zu bezeichnen und sich so damit gemein zu machen ist eine moralische Bankrotterklärung der Autorin. "

      Na dann ist ja gut, dass die Autorin das in diesem Artikel nichts davon tut.....