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Repression in NicaraguaDoppelte Kriminalisierung

Das diktatorische Regime hat Journalismus in Nicaragua unmöglich gemacht. Unabhängige Medien versuchen aus dem Exil weiterzuberichten.

Vor dem Exil: Carlos Fernando Chamorro (M) in Nicaraguas Hauptstadt umringt von Polizisten Foto: Carlos Herrera/dpa/picture alliance

Am 15. Februar wurde uns, 94 nicaraguanischen Staatsbürgern, von dem Regime Daniel Ortegas und seiner Ehefrau Rosario Murillo die Staatsbürgerschaft entzogen. Es war ein illegaler, verfassungswidriger Akt, der zudem internationale Abkommen verletzt, denen Nicaragua beigetreten ist.

Auf der Liste der 94 sind 11 Journalisten, Chefredakteure im Exil von Medien wie Confidencial, 100% Noticias, Artículo 66, Nicaragua Investiga, Radio Darío, Divergentes, Café con Voz und anderen.

Sechs Tage vorher, am 9. Februar, waren 222 Personen, allesamt politische Gefangene, aus dem Gefängnis entlassen, in die USA verbracht und ausgebürgert worden – darunter 12 Medienschaffende von La Prensa, Doble Play, canal 10, 100% Noticias und einigen Lokalmedien.

Sie alle waren ohne jeden Beweis für Delikte wie „Verschwörung gegen die nationale Souveränität“, „Geldwäsche“ oder „Verbreitung von Falschnachrichten“ verurteilt worden und saßen bis zu 600 Tage im Gefängnis El Chipote ein.

Staatliche Repressalien auf allen Ebenen

Als Ergebnis der politischen Verfolgung gibt es in Nicaragua keine unabhängigen Informationsquellen mehr, die eine Nachricht bestätigen würden, denn sie alle fürchten staatliche Repressalien. Diese doppelte Kriminalisierung sowohl der Presse- als auch der Redefreiheit – um Journalisten, ihre Quellen und die Meinungsfreiheit zum Verstummen zu bringen – ist die letzte Etappe eines langen Prozesses der Zerstörung des Rechtsstaats.

Unter dem Polizeistaat, der de facto nach dem Aufstand von 2018 entstanden ist, gibt es in Nicaragua weder Versammlungs- noch Demonstrationsfreiheit. Das Regime verfolgt die katholische Kirche und verbietet religiöse Umzüge. Im Jahr 2021 wurden freie Wahlen annulliert, und seit 2022 werden zivilgesellschaftliche Akteure rigoros verfolgt und über 3.200 Nichtregierungsorganisationen wurden verboten. Trotzdem leistet der Journalismus aus dem Exil als letzte Bastion der zerstörten Freiheiten Widerstand.

Die Repressionen gegen Journalisten in den vergangenen fünf Jahren schließen Morde und körperliche Angriffe ein, Zensur des Fernsehens, physische Zerstörung von Medien, Zollblockaden gegen Zeitungen bis hin zur Beschlagnahme von Medien, der Einführung neuer repressiver Gesetze und der Inhaftierung von Journalisten.

In einer Diktatur Journalismus zu betreiben, ist ein Akt des Widerstands, um weiterhin zu informieren und die Wahrheit zu berichten. Meine eigene Redaktion von Confidencial wurde beschlagnahmt und zweimal von der Polizei überfallen, im Dezember 2018 und im Mai 2021. Aber wir haben nicht einen Tag aufgehört, über unsere digitalen Plattformen und die sozialen Netzwerke Informationen zu verbreiten.

Reorganisation im Exil

Das Regime hat auch La Prensa und 100% Noticias beschlagnahmt und mehr als 50 lokale Radio- und Fernsehstationen geschlossen. Über 150 Journalisten wurden ins Exil gezwungen. Ein Teil von ihnen hat sich in etwa 25 digitalen Medien reorganisiert, vor allem in Costa Rica, Spanien und den Vereinigten Staaten. Aber etwa 30 Prozent der Journalisten widmen sich anderen Tätigkeiten, um zu überleben, oder haben aus Angst vor Repressalien gegen ihre Familien ihren Beruf aufgegeben.

Seit Mitte 2021 bin ich zum zweiten Mal im Exil in Costa Rica, weil ich nicht in Nicaragua mit einer unverschämten Anklage und einem Haftbefehl zum Schweigen gebracht werden will. Meine ganze Redaktion und praktisch alle unabhängigen Medien arbeiten aus dem Exil heraus.

Im Jahr 2023 ist das Exil längst keine vorübergehende Notsituation mehr, sondern eine ständige Bedingung. Aus dem Exil begegnen wir der Herausforderung, unsere Quellen und Mitarbeiter zu schützen und weiter Qualitätsjournalismus zu betreiben, trotz politischer Polarisation und Desinformation. Wir stellen uns auch der Aufgabe, nachhaltig zu wirtschaften und über Spenden und Zuwendungen internationaler Stiftungen und Institutionen, Beiträge unserer Leser und Werbeanzeigen neue Finanzierungsmodelle für unabhängigen Journalismus zu entwickeln.

Der Zusammenbruch des Rechtsstaats in Nicaragua ist auch ein Spiegel Zentralamerikas, wo die Presse durch autoritäre Tendenzen auch in El Salvador, Guatemala und Honduras bedroht ist.

Carlos Fernando Chamorro leitete bis 1994 die sandinistische Parteizeitung Barricada. Nach Differenzen mit der Führung um Daniel Ortega wurde er gefeuert und gründete 1996 die Website Confiden­cial. Seit Mitte 2021 ist er im Exil in Costa Rica.

Aus dem Spanischen von Bernd Pickert

Dieser Artikel ist am 3. Mai 2023 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der Pressefreiheit erschienen.

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