piwik no script img

Rentner für unbeliebte Jobs gesuchtWenn Alte Alte pflegen

In Oldenburg wirbt ein ambulanter Pflegedienst um Rentner. Denn es zu wenig Bewerber, aber immer mehr Pflegebedürftige. Kritik kommt von Ver.di.

Fachkräfte fehlen überall in der Pflege Foto: Jens Büttner/dpa

HANNOVER taz | Die Löhne sind oft mies, die Arbeitsbedingungen hart. Der Job des Altenpflegers ist für viele Menschen unattraktiv und der Fachkräftemangel in der Pflege dementsprechend hoch. In Oldenburg wirbt ein ambulanter Pflegedienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in einer Zeitungsanzeige deshalb nun sogar um Rentner. „Wir versuchen eine Lösung zu finden, um unsere Mitarbeiter zu entlasten“, sagt die Pflegedienstleiterin Kerstin Feldmann – denn normale Bewerbungen auf freie Stellen bekomme sie keine.

Die derzeit elf einsatzfähigen Mitarbeiter des Pflegedienstes arbeiten zwölf Tage am Stück, bevor sie zwei freie Tage haben. An den Wochenenden schieben sie Früh- und Spätschichten an einem Tag. „Das ist eine sehr große Belastung“, sagt Feldmann – und kein Ausnahmefall in der Pflege. Gerade an Wochenenden sollten die Mitarbeiter dadurch entlastet werden, dass Rentner aus der Pflegebranche Schichten übernehmen.

An die Berufsaussteiger stellt Feldmann hohe Ansprüche, denn jeder kann den körperlich anstrengenden Job nicht machen. Schließlich fahren die Pfleger allein zu den Patienten nach Hause, müssen diese waschen oder im Bett drehen. „Wir suchen nur Menschen, die schon in der Pflege gearbeitet haben, die ausgebildet sind und wissen, was auf sie zukommt“, sagt Feldmann.

Kritik an der Idee, Rentner zu reaktivieren, kommt von der Gewerkschaft Ver.di. In der Regel zahle das DRK in der Altenpflege nicht nach Tarif, sagt die Sprecherin des Landesverbandes Niedersachsen, Lea Arnold. Tatsächlich bestätigt das DRK in Oldenburg, dass die Löhne „gerade an den Tarif angepasst werden“. Bisher zahlte der ambulante Dienst also weniger als im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vorgesehen. Berufseinsteiger sollen nach dem TVöD 2.333 Euro brutto und Mitarbeiter, die mehr als 15 Jahre im Beruf sind, 3.028 Euro brutto pro Monat verdienen.

Ambulante Pflege

Alle zwei Jahre erhebt das Statistische Bundesamt die Pflegestatistik für Deutschland.

Im Dezember 2015 waren 13.300 ambulante Pflegedienste in Deutschland zugelassen, die Mehrheit davon in privater Trägerschaft.

Bundesweit wurden von ambulanten Diensten mehr als 692.000 Menschen versorgt.

Den größten Anstieg bei ambulant versorgten Patienten gab es in Niedersachsen (17,1 Prozent) und Schleswig-Holstein (16,8 Prozent).

Insgesamt 355.000 Pfleger arbeiteten zur Zeit der Erhebung bei ambulanten Diensten. 87 Prozent davon waren Frauen. Zudem waren 70 Prozent der Mitarbeiter teilzeitbeschäftigt.

Das Statistische Bundesamt ermittelte, dass ausgebildete Altenpfleger im Durchschnitt 2.628 Euro brutto in Deutschland bekommen. Zum Vergleich: Ausgebildete Krankenpfleger verdienen im Schnitt 3.036 Euro.

Der Beruf des Altenpflegers müsse durch bessere Arbeitsbedingungen attraktiver gemacht werden, „anstatt für die arbeitsintensiven Tätigkeiten auf Rentnerinnen und Rentner zurückzugreifen“, fordert Arnold – das gelte vor allem für die Bezahlung. Doch gerade in der ambulanten Pflege sei der Anteil privater Anbieter und damit der Preisdruck besonders hoch.

Zudem bestehe die Gefahr, dass für Pfleger, die in ihrem Berufsleben wenig verdient haben und bei denen deshalb auch die Rente gering ist, „der Anreiz groß ist, sich noch etwas dazuzuverdienen“, sagt Arnold.

Friedhelm Fiedler vom Arbeitgeberverband Pflege bestätigt, dass Pfleger in Niedersachsen „von allen westlichen Bundesländern besonders schlecht bezahlt“ würden. „Da ist der Personalnotstand hausgemacht.“ Dennoch sei die Idee, auf Rentner zurückzugreifen, keine schlechte: „Es ist nicht so, dass Menschen heute mit 65 Jahren körperlich alt sind.“ Da aber der Pflegealltag durch viele Patienten mit mehreren schweren Krankheiten anstrengender werde, müssten Pflegedienste genau überlegen, wo sie die älteren Mitarbeiter einsetzten.

Genau das habe das DRK in Oldenburg vor, sagt Pflegedienstleiterin Feldmann. Die als Minijobber angestellten Rentner bekämen „Touren, die sie bewältigen können“. Das Interesse sei schon jetzt groß. Zwei Bewerberinnen kämen in dieser Woche zum Probearbeiten, beide Frührentnerinnen und Anfang 60. Die Not, eine kleine Rente aufzustocken, stehe bei ihnen nicht im Vordergrund, sagt Feldmann. „Es ging eher darum, dass sie mal wieder gebraucht werden.“

Für den Pflegedienst seien die zwei Kandidatinnen ein Anfang. Da aber viele ihrer Kollegen um die 50 Jahre alt seien, brauche der Pflegedienst dringend Nachwuchs. „Wir haben allein drei offene Ausbildungsstellen“, sagt Feldmann. Doch Bewerber gebe es keine.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • „Wir haben allein drei offene Ausbildungsstellen“, sagt Feldmann. Doch Bewerber gebe es keine.

     

    Das spricht für die Nicht-Bewerber. So blöd, für sehr kleines Geld Altenpfleger zu lernen, sind die Jugendlichen in d nicht.

     

    Gerechtigkeitslücke für Schulz: Umverteilen. Die Bedingungen in besonders gefragten Berufen müssen verschlechtert, in Mangelberufen verbessert werden. Nennt sich Marktwirtschaft.

  • Tja, was soll man dazu noch sagen?:

    Zuerst über viele Jahre hinweg einen Berufstand durch schlechte Bezahlung und miese Arbeitsbedingungen komplett unattraktiv machen - und nun über Nachwuchsmangel jammern...

    Wer derart unsozial agiert hat im Sozialgewerbe nichts zu suchen. Hier gehört der gesammte Laden sozialisiert und das Management in die Wüste gejagt!