Patientenmörder in Niedersachsen: Beispiellose Tötungsserie

Der Delmenhorster Krankenpfleger Niels Högel soll mindestens 106 Menschen getötet haben. Die juristische Klärung lief schleppend.

Auffahrt zu einem Gebäude des Klinikums in Delmenhorst

In Oldenburg bekam Niels H. ein gutes Zeugnis – das Klinikum Delmenhorst wurde nicht gewarnt Foto: dpa

BOCHUM taz | Es dürfte die größte Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik sein: Der Intensivpfleger Niels Högel hat in Krankenhäusern in Norddeutschland offenbar mindestens 106 PatientInnen ums Leben gebracht. Das teilten Polizei und Staatsanwaltschaft Oldenburg nach weiteren toxikologischen Untersuchungen von Leichen mit, die auf Friedhöfen rund um Bremen exhumiert wurden.

Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen soll Högel bereits im Jahr 2000 im Klinikum Oldenburg begonnen haben, Kranken eigenmächtig nicht notwendige Herzmittel wie Ajmalin und Lidocain, Betablocker wie Sotalol oder auch Kalium zu spritzen. Grund dafür könnte Geltungssucht gewesen sein: Die von Högel verabreichten Medikamente führen zu Herzrhythmusstörungen bis hin zum Stillstand – und scheinbar wollte der heute 40-Jährige danach vor ÄrztInnen und KollegInnen mit seinen guten Reanimationskenntnissen glänzen: „Er war ein begeisterter Retter“, so ein ehemaliger Oberarzt.

Dennoch geriet Högel schon in Oldenburg schnell in Verdacht: 58 Prozent der Sterbefälle am Klinikum ereigneten sich, wenn er Dienst hatte. Ein Chefarzt drängte den Pfleger 2002 daraufhin zu kündigen – öffentlich werden sollten die ungeklärten Todesfälle aber nicht: Im Arbeitszeugnis wurde Högel bescheinigt, „umsichtig, gewissenhaft und selbstständig“ gearbeitet zu haben.

Der Intensivpfleger wechselte daraufhin zum Klinikum Delmenhorst. Erst am 22. Juni 2005 wurde er in dem Krankenhaus, das mittlerweile unter dem neuen Namen Josef-Hospital firmiert, auf frischer Tat ertappt: Einem Krebspatienten spritzte Högel das Ajmalin enthaltende Herzmittel Gilurytmal, das für die Behandlung nicht notwendig war.

BGH hob erstes Urteil auf

Auch die juristische Klärung der beispiellosen Tötungsserie lief schleppend. Zwar wurde der Pfleger 2006 zu fünf Jahren Haft und fünfjährigem Berufsverbot verurteilt – doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil wieder auf. Högel konnte deshalb weiterarbeiten. 2008 wurde er schließlich rechtskräftig zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Erst auf massives Drängen von Angehörigen Verstorbener folgte ab 2014 ein weiterer Prozess wegen fünf weiterer Todesfälle – dabei räumte Högel selbst mindestens 30 weitere Taten ein. Gegenüber Mithäftlingen soll der Pfleger geprahlt haben, er sei der „größte Serienmörder der Nachkriegsgeschichte“. Danach nahm eine eigens eingerichtete Sonderkommission „Kardio“ umfassende Ermittlungen auf.

Inzwischen laufen außerdem Untersuchungen wegen Totschlags durch Unterlassen gegen Ärzte und Pflegekräfte – sie sollen die Tötungsserie Högels trotz eindeutiger Hinweise nicht schnell genug angezeigt haben. In Niedersachsen reagierte Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) mit einem Maßnahmenkatalog: So sollen Stationsapotheker durch bessere Überwachung sicherstellen, dass sprunghaft steigender Medikamentenverbrauch wie etwa von Ajmalin auffällt, dazu kommen anonyme Meldesysteme für Whistleblower.

Wie viele Menschen Högel aber wirklich getötet hat, dürfte kaum aufzuklären sein. Zahlreiche PatientInnen wurden feuerbestattet – in ihrer Asche sind die tödlichen Medikamente nicht mehr nachweisbar.

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