Renate Künast über Freiheit und Verbote: „Wir hatten uns da verrannt“
Den verordneten Veggie Day findet Renate Künast nicht mehr gut. Zwar seien Verbote unpopulär, für ein freies Leben aber auch notwendig.
taz: Frau Künast, seit dem Bundestagswahlkampf haftet den Grünen das Image einer Verbotspartei an. Sie haben damals den vegetarischen Donnerstag beworben und der Partei damit den Vorwurf eingehandelt, die Leute bevormunden zu wollen. War der „Veggie Day“ ein Fehler?
Renate Künast: Das kann und muss man besser machen. Wir hatten uns da verrannt. So, wie wir den „Veggie Day“ im Wahlkampf kommuniziert haben, war er letztlich ein Angebot an die Gegenseite, die Grünen zu desavouieren. Mir ist es im Nachhinein sogar unerklärlich, wie wir überhaupt auf die Idee kommen konnten, das in unser Programm für die Bundestagswahl zu schreiben. Warum sollen die Leute ausgerechnet donnerstags kein Fleisch essen und nicht etwa montags oder dienstags?
Verschrecken Verzichtsbotschaften die Wähler?
Der sogenannte Verzicht ist doch oftmals die bewusste Entscheidung, nicht auf Kosten anderer zu leben. Wir sollten nicht für andere einen bestimmten Lebensstil propagieren, aber die Verantwortung annehmen, ihn möglich zu machen. Ob Essen oder Kleidung, man muss einfach erkennen, ob Kinderarbeit, Raubbau oder Gentechnik drin ist. Damit Wahlfreiheit entsteht.
Die Angst vor dem Image als Besserwisserpartei scheint die Grünen übervorsichtig zu machen.
Die Grünen müssen sich fragen: Zu welchen Forderungen sollten wir in Zukunft selbstbewusst stehen? Und wie gehen wir souverän mit Angriffen der Gegenseite um? Wenn wir regulierend in wirtschaftliche Strukturen eingreifen wollen, dann klatschen die Unternehmen natürlich nicht in die Hände und sagen: ist gebongt. Stattdessen löst das oft scharfe Gegenreaktionen aus.
58 Jahre, Rechtsanwältin, leitet den Rechtsausschuss im Bundestag. Von 2005 bis 2013 war sie Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion und davor Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz. 2011 kandidierte sie in Berlin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin.
Wäre es da nicht ehrlicher, keinen Freiheitskongress zu veranstalten, sondern offen zu sagen: Verbote sind wichtig!
Das Wort Verbot hat heute ein ausschließlich negatives Image – das ist wie tiefschwarze Farbe auf schwarzem Papier. Das Wort ist denunziert, es schwingt immer auch mit, die Grünen würden blindlings verbieten wollen.
Zu Unrecht?
Zum Beispiel: Bei uns darf man das Insektengift DDT nicht mehr benutzen, das war auch ein Verbot – aber niemand stellt es heute noch infrage. Im Gegenteil: Solche Verbote schaffen doch erst eine Struktur, um gesund und frei zu leben. Und genau darum geht es: Die Menschen sollen die Freiheit haben, ein nachhaltiges Leben zu führen. Der Staat muss die Strukturen schaffen, das zu ermöglichen. Weshalb wir bei TTIP unser EU-Vorsorgeprinzip so vehement verteidigen, gegen die grenzenlose Freiheit von Konzernen.
Was verspricht sich Ihre Partei vom Thema Freiheit? Der Absturz der FDP taugt ja eher als Warnung.
Die FDP hatte einen extrem reduzierten Freiheitsbegriff. Sie hat den durchweg positiv besetzten Begriff der Freiheit mit negativen Assoziationen in Verbindung gebracht. Das muss man erst mal schaffen. Da gibt’s für uns nichts zu beerben. Unsere Debatte muss eine andere sein.
Aber sind den Grünen-Anhängern nicht Ökologie und soziale Gerechtigkeit wichtiger als der Freiheitsdiskurs?
Freiheit kann man nicht isoliert diskutieren, da gehören Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit dazu. Das ist wie mit Murmeln: Die klackern auch nur, wenn man mehrere in der Hand hat.
Vizefraktionschefin Kerstin Andreae fordert die Grünen auf, ihre Regulierungsfreude zu bändigen und mit Deregulierungen mehr Freiraum für Start-ups zu schaffen. Zu Recht?
Ich verweigere mich der Idee nicht. Aber ist nicht eher Bürokratieabbau gemeint? Ich bezweifele, dass der Markt es von alleine regelt. Ich habe zu oft erlebt, dass die Wirtschaft freiwillige Verbesserungen versprochen hat, aber nichts passierte. Etwa bei der Gleichstellung ohne Quote.
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