Renate Künast gegen Facebook: Auf die Captions kommt es an
Renate Künast verlangt von Facebook die automatische Löschung eines Falschzitats. Der Konzern verweist auf Probleme mit Bildunterschriften.
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Seit 2015 kursiert im Netz ein erfundenes Falschzitat, das Künast in den Mund gelegt wird. „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal Türkisch lernen“. Dazu Künasts Name, Partei und ihr Foto. Acht mal hat sie das fiese Falschzitat Facebook gemeldet. Achtmal wurde es gelöscht. Doch das Meme wird immer wieder neu hochgeladen.
„Das gefährdet meine Glaubwürdigkeit als Politikerin und führt zu massiven Anfeindungen“, sagte Künast in Karlsruhe. „Wenn Leute das fünf Mal lesen, glauben sie es.“ Künast verlangt deshalb präventiven Schutz von Facebook. „Es kann doch nicht sein, dass ich Mitarbeiter beschäftigen muss, um solche Lügen zu finden, während Facebook mit dem Hass Milliarden verdient“. Ihr Ziel: Facebook soll selbst suchen und ein erneutes Hochladen des identischen oder sinngleichen Memes verhindern. Dabei wird sie von der NGO Hate-Aid unterstützt.
Juristisch stützte sich Künast bisher auf ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht. Und sie bekam in zwei Instanzen, beim Landgericht und beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Recht. Ihr Anwalt Chan-jo Jun sprach von einem „Durchbruch“.
Facebook ging in Revision
Facebooks Mutterkonzern Meta ging aber in Revision zum BGH. Die Plattform ist nur bereit, automatisch zu filtern, solange keine Captions (Bildunterschriften) verwendet werden. Diese verändern zum einen den Hashwert eines Bildes, sodass ein Meme eventuell gar nicht mehr erkannt wird. Außerdem könnten Captions auch den Inhalt ändern. „Wenn da steht: ‚Dieses Falschzitat wird Frau Künast untergeschoben‘, ist das eine zulässige Meinungsäußerung“, sagte Facebook-Anwalt Christian Rohnke.
Künasts zweiter Anwalt Matthias Pilz hält dies für ein Ablenkungsmanöver. „Der Löwenanteil dieser Memes hat zwar Captions – die aber nur noch mehr Hass gegen Künast verbreiten.“ Eine automatisierte Löschung sei deshalb trotz Captions möglich. Und in Zweifelsfällen müsse eben ein menschlicher Facebook-Mitarbeiter entscheiden.
Rechtlich beruft sich Facebook auf das Provider-Privileg. Danach müssen Plattformen nicht alles prüfen, was von Nutzern hochgeladen wird. Nur auf konkreten Hinweis müssen sie rechtswidrige Inhalte entfernen („notice and take down“). So war es in der EU-E-Commerce-Richtlinie geregelt und seit 2022 auch im neuen Digital Services Act (DSA).
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) schon 2019 im Fall der österreichischen Grünen-Politikerin Eva Glawischnig entschieden, dass eine Pflicht, bestimmte identische und sinngleiche Beleidigungen auszufiltern, nicht gegen das Provider-Privileg verstößt – solange dies automatisiert möglich ist. Scheitert der Anspruch Künasts also an den Bildunterschriften?
Gericht verkompliziert Lage
Der BGH verkomplizierte die Lage zusätzlich, indem er kurz vor der Verhandlung mitteilte, dass hier wohl gar kein deutsches Recht mehr anwendbar ist. Künast solle nicht auf ihr Persönlichkeitsrecht verweisen, sondern auf Artikel 17 der EU-Datenschutz-Grundverordnung. Danach könne sie einen Anspruch gegen Facebook auf Unterlassung einer rechtswidrigen Datenverarbeitung haben. Künasts Anwälte waren überrascht, aber einverstanden.
Wie geht es nun weiter? Entweder der BGH entscheidet bereits in einigen Wochen. Oder er setzt das Verfahren aus und wartet einige Monate lang auf den Ausgang eines rumänischen Verfahrens am EuGH mit ähnlicher Fragestellung. Oder der BGH legt dem EuGH eigene Fragen vor. Dann wäre mit einem BGH-Urteil erst in zwei Jahren zu rechnen.
Nur am Rande ging es in Karlsruhe um eine zweite Frage. Künast verlangt von Facebook auch 10.000 Euro Schmerzensgeld, weil beanstandete Memes zu spät gelöscht wurden. Das Landgericht Frankfurt hatte ihr das zugebilligt, das OLG Frankfurt hatte jedoch abgelehnt. Facebook hielt die Summe für zu hoch.
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