Religionskritik in Demokratien: Gottes Liebe ist bitter
Religionen sind totalitäre Ideologien. Sie dürfen in einer Demokratie nur existieren, solange sie täglich aufs Schärfste angegriffen werden können.
Dass es China gibt, beweist, dass es auch Gott gibt. So sieht es zumindest der Prediger. Wenn jemand nicht daran glaube, dass der Allmächtige existiere, weil er noch nie gesehen worden sei, sagte der Prediger, so solle man diesen Jemand doch einmal fragen, ob er glaube, dass es China gebe. Dieses Land haben die meisten Menschen auch noch nicht gesehen, trotzdem zieht niemand seine Existenz in Zweifel.
Mich verblüffte gar nicht so sehr die geistige Schlichtheit, die der Prediger in der Al-Nur-Moschee in Berlin-Neukölln seinen Zuhörern angedeihen ließ – und ja, das ist die Moschee, in der in den Zeitungstexten und Fernsehberichten aus der Hauptstadt immer die Salafisten beten. Mich verblüffte, dass ich diese Herleitung so gut kannte. Aus meiner Jugend in meiner eigenen Kirche, einer christlichen Gemeinschaft, die es verstand, die spartanische Optik des Protestantismus mit der hierarchischen Organisation des Katholizismus zu verbinden.
Mir wurde Gott schon mit Afrika, Australien und Feuerland bewiesen. Braucht es da noch Blasphemie, die Beleidigung von Göttern und Propheten, wenn Religionen sich selbst derart lächerlich machen?
Ja, unbedingt. Vielen religiösen Menschen würde sonst einiges von dem Irrwitz entgehen, der sich im Namen ihres Glaubens so abspielt. Und außerdem, wie sonst sollte eine offene Gesellschaft eine Religion in ihrer Mitte ertragen können? Offene Gesellschaften, und als eine solche verstehen sich die europäischen gern, beruhen schließlich darauf, dass alles verhandelbar sein muss. Es gibt keine Gewissheiten. Demgegenüber behaupten Religionen höhere, übermenschliche Wahrheiten, sie haben etwas im Kern Unverhandelbares. Etwas Totalitäres.
Allmählich zeigt sich, wie brüchig der Pariser Anschlag Frankreich gemacht hat. „Die Muslime werden dafür teuer bezahlen“, sagt Bestseller-Autor Taher Ben Jelloun in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 17./18. Januar 2015 Und: „Charlie Hebdo“ spottet weiter: ein weinender Mohammed auf der Titelseite, im Heft Scherze über Dschihadisten. Die Streitfrage „Muss man über Religionen Witze machen?“ Außerdem: Keine Angst vor Hegel. „Viele denken, sie müssten das sorgfältig durchstudieren, wie über eine lange Treppe aufsteigen. Ich finde, man kann auch mittendrin irgendetwas lesen.“ Ein Gespräch mit Ulrich Raulff, dem Leiter des deutschen Literaturarchivs in Marbach. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Mit einer offenen Gesellschaft ist das unvereinbar.
Im religiös begründeten Terror wird diese Unvereinbarkeit besonders grell ausgeleuchtet und am besten sichtbar. Aber sie ist auch schon recht gut zu erkennen, wenn eine orthodoxe jüdische Zeitung von den gestellten Fotos des Trauermarsches der PolitikerInnen in Paris die Frauen wegretuschiert.
Die süße Versuchung des Hasses
Mit der Religion XY habe das aber eigentlich nichts zu tun, verlässlich findet sich für diesen Satz immer ein Sprechautomat. Was ist denn das, die Religion, der Islam, das Christentum, der Hinduismus? Die in den Schriften niedergelegte Theorie, die sich oft in Abwertungen jener ergeht, die nicht ins Gefüge passen wollen. Ungläubige, Frauen, Homosexuelle?
Oder die Praxis? Das, was der Mensch aus dem Text macht? Die christlich bemäntelten Massenmorde an Juden in Europa? Die Terrorkriege zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland? Selbst die gern als harmlose Grinsegläubige verstandenen Buddhisten schafften es 2013 in Myanmar, ein antimuslimisches Pogrom mittleren Ausmaßes auf die Beine zu stellen.
Myanmar ist weit weg, die Kreuzzüge wurden schon länger nicht mehr verfilmt. Und so erzählen sich Menschen beruhigend, die Religion sei zivilisiert worden. Das Christliche hat hierzulande an Macht verloren, das stimmt. Sein Verdienst war diese Schwäche nicht, die Kämpfe jahrhundertelang und blutig. Das Religiöse klammert sich an seine Macht, das war am Streit über das Kruzifix in bayerischen Klassenzimmern zu sehen und ebenso immer dann, wenn sich die Religiösen gegenseitig beispringen, um angebliche Schmähungen zu beklagen. Sie wollen keinen weiteren Verlust ihres Einflusses dulden, und wie sollten sie auch, alles andere wäre Selbstaufgabe.
Am totalitären Kern der Religionen hat das Schwinden der eigenen Kraft nichts geändert. Es gibt immer noch die höhere Wahrheit, jene, die sie erkannt haben, und die anderen, die das leider nicht schaffen. Die Zumutungen der Vielfalt werden allenfalls zähneknirschend hingenommen – wie von Gelehrten der Al-Azhar-Universität in Kairo, die Muslime dazu aufrufen, die neuen, nach dem Anschlag entstandenen Mohammedkarikaturen in der Zeitschrift Charlie Hebdo zu ignorieren. Die Gläubigen sollten der „Versuchung des Hasses“ widerstehen.
Abtreibungsgegner in den USA: Im Zweifel mit der Waffe
Ach ja, die süße Versuchung des Hasses. Die Liebe von Glaubensbrüdern kann allerdings ebenso bitter sein. Eine Frau, die ich vor Jahren kennenlernte, als ich sie für meine Kirche missionieren sollte, flehte den Priester, den ich begleitete, an, dafür zu sorgen, dass „die mich nicht kriegen“. Die – das waren die Anhänger der Konkurrenz, welche die Frau lieber psychisch erledigen wollten, als ihre Seele mit uns Ungläubigen den direkten Weg zur Hölle entlangspazieren zu lassen. Im umgekehrten Fall hätten aber auch wir die Stalker sein können, immer im festen Glauben, wir würden ein Schäfchen unserer Herde retten.
Von großer Zuneigung für fehlgeleitete Seelen getragen sind auch die Abtreibungsgegner in den USA, die Menschen im Zweifel mit der Waffe von falschen Ideen abbringen. Die US-amerikanische Gesellschaft hat es auf die sanfte Tour versucht mit den Religionen, da wird im Mainstream möglichst gar nicht beleidigt, die Karikaturen aus Charlie Hebdo haben viele US-Medien zensiert. Das Scheitern dieses Weges ist offensichtlich, die ausschließenden Eigenschaften von Religion treten dort machtvoll zutage, befördern Gewalt, nehmen zerstörerischen Einfluss auf Politik.
Glaube muss lächerlich gemacht werden dürfen, wenn er in demokratischen Gesellschaften existieren will. Es ist die einzige Möglichkeit, das Unverhandelbare, die höhere Wahrheit auf Augenhöhe herunterzuholen und, eben weil sie sich so hoch oben wähnt, auch noch ein bisschen weiter nach unten. Eine Sicherheit für alle, die nicht glauben, und jene, die anders glauben, eine beständige Prüfung, dass Religion XY immer noch so schwach ist, dass sie es nicht wagen kann, sich in das Leben derer einzumischen, die ihre Glaubenssätze nicht teilen.
Es ist nämlich nur eine Annahme, religiöse Terroristen wie jene aus Paris seien Irre, aus der Steinzeit herübermarodierende Horden, überfordert von der Moderne, Anachronismen. Wer weiß, vielleicht sind sie die Avantgarde einer neuen religiösen Inbrunst. Geschichte bedeutet nicht steten Fortschritt in einem westlichen Sinne. Die radikaleren Glaubensbranchen, ob sie sich nun evangelikal oder salafistisch nennen, erfreuen sich wachsenden Zuspruchs.
Der Preis ist, dass Gefühle verletzt werden. Man kann sich wünschen, die Beleidigungen wären kenntnisreicher und weniger blöde. Ein Recht darauf gibt es nicht.
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