Religiöse Diskriminierung: Und ewig droht der Feminismus
Warum ist der christlich-konservative Kampf gegen die „Gender-Ideologie“ auch einer gegen Frauenrechte? Ein Gastbeitrag.
In der Katholischen Wochenzeitung Tagespost erschien vergangenen November ein Artikel, der alle Vorbehalte und Ängste konservativ-christlicher Kreise gegen ihr gemeinsames Feindbild der „Gender-Ideologie“ in sich vereinte: „Gottlos“ und „atheistisch“ sei das Gender-Denken, es „manipuliere die Sprache“ und „unterwerfe“ Menschen einer Ideologie, in der nicht mehr die Beziehung zu Gott im Mittelpunkt stehe. Auch nicht die Liebe zwischen Mann und Frau, sondern allein die „ethisch zu gestaltende Beziehung der Sexualpartner untereinander“, bei der es weder auf die sexuelle Orientierung noch auf den Bund der sakramentalen Ehe ankomme.
Hier erreicht die Empörung einen ersten Höhepunkt. Schlussendlich gipfelte die Kritik an Gender-Theorien in dem Vorwurf, es handele sich um den ultimativen Angriff auf die Schöpfungsvorstellung. Gott habe den Menschen nun mal als Mann und Frau geschaffen. Hinter Anfeindungen gegen trans Personen fallen Bedenken gegenüber der sexuellen Orientierung zurück.
In Artikeln wie dem gerade zitierten erscheint die „Gender-Ideologie“ als sich verselbstständigende Bedrohung. Oder, um es mit den Worten von Gabriele Kuby zu sagen, als ein „Sauerteig, der die gesamte Gesellschaft durchsäuert und zerstört“.
Kern dieser auch transfeindlichen Abwertung ist bereits die schlichte Möglichkeit, dass sich geschlechtliche Identität jenseits der Binarität von Mann und Frau denken lassen könnte. Schon in dem bloßen Infragestellen von Sex und Gender lauert nämlich die vermeintliche Gefahr von Beliebigkeit und Relativismus, mit denen Kinder und Jugendliche von früh an indoktriniert würden. Manche Autor*innen meinen darin gar den Marxismus in neuem Gewand zu erkennen, der erneut das Christentum zerstören und eine Einheitsgesellschaft schaffen wolle, in der alle „natürlichen“ Differenzen der Geschlechter nivelliert seien und es keine Freiheit mehr gebe.
Spätestens hier zeigt sich, wie diese erregte Gender-Kritik und der spezifisch christlich-konservative Antifeminismus sich gegenseitig bedingen: Weil in der Bibel, genauer im 1. Buch Mose, zu lesen sei, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen habe (Gen 1,27), und weil die so geschaffenen Männer und Frauen (das steht allerdings nicht mehr in der Bibel) über „spezifisch männliche“ und „spezifisch weibliche“ Eigenschaften verfügten. Deswegen seien Frauen (und zwar von Gott gewollt) auf bestimmte Rollen festgelegt.
Gemäß göttlichem Willen und Auftrag, dass Frauen Kinder bekommen können, sei es das Wesen der Frau, dienend, aufopfernd, sorgend und nährend zu sein. Insbesondere in der katholischen Logik liegt darin keine Diskriminierung – schließlich ist dies Gottes besonderer Heils- und Schöpfungswille, universal gültig für „die“ Frau, deren „spezifisch weibliche“ Eigenschaften determinieren, was ihr guttut, was sie braucht, was sie sich wünscht und wie sie ihr Leben zu gestalten hat.
Warum beschäftigen wir uns in einem Dossier mit Antifeminismus? Schon in vielen Liedern wird besungen: „Know your enemy“. Oft ist Antifeminismus subtil. Wie wir ihn entlarven können, wird klar, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen: Welche Formen nimmt er an? Wer sind die Akteur*innen? Und wie können wir ihm begegnen? Alle Dossiertexte gibt es im Online-Schwerpunkt zum feministischen Kampftag.
Und damit sind wir endgültig beim Antifeminismus angekommen: Der Ausschluss von Ämtern und Öffentlichkeiten, geringere Bezahlung und eine prekäre Rente müssten nun mal in Kauf genommen werden, denn weil „die“ Frau als Mutter bei den Kindern und sorgend im Haus sein will, stellt sie die Familie an die erste Stelle. Auch wenn sie deswegen weniger verdient, keine Karriere macht und weniger Möglichkeiten hat, verwirkliche sie ihr Wesen als Frau.
Der erbitterte Kampf christlich-konservativer Kreise gegen die bloße Möglichkeit vielfältiger Geschlechteridentitäten offenbart, worum es geht: die Angst vor einer Welt, in der „spezifisch männliche“ und „spezifisch weibliche“ Eigenschaften eben nicht von Gott gewollt im Menschen angelegt sind. Denn damit wäre der biologistischen Begründung männlicher Vorherrschaft in der Gesellschaft der Nährboden entzogen.
Leser*innenkommentare
alchemist77
Es gibt ja auch Menschen, denen das katholische Prozedere Halt gibt und die damit zufrieden sind. Und katholische Schwule konvertieren auch schon mal zu den Altkatholiken, wenn sie mit der Römisch-katholischen Kirche unzufrieden sind. Wir haben ja Religionsfreiheit und die sollte man auch nutzen, bevor man sich alles nach seinem gusto zurechtbiegen will. Traditionen gilt es ja auch zu erhalten. Ob sie einem passen oder nicht.
mats
@alchemist77 Es ist leider sehr beliebt, die Stigmatisierung und Ausgrenzung von queeren Menschen in der katholischen Kirche zu einem persönlichen Problem dieser Menschen zu machen. Ist es aber nicht, es ist ein Problem aller Katholiken.
Gestern hat der Synodale Weg mit großer Mehrheit Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare beschlossen. Es ist das "Gusto" der Kirchenbasis und der Bischöfe, ihre Kirche geradezubiegen.
Land of plenty
Also genau deshalb, weil die Differenzen nivelliert werden, gibt es mehr Freiheit und mehr Gleichberechtigung.
Deshalb sollten wir gegen die Hierarchien eintreten. Mehr Möglichkeiten mehr Moderne.
Sehr interessante Parallele bei antimodernen Denkrichtungen: sie wollen eigentlich die Hierarchien unhinterfragt halten. Sonst sei das ja "Gleichmacherei". Eben!
Die strenge und puritanische Frömmigkeit ist allerdings ein sozialwiss. Prädiktor für viele Kinder.
Konfessionslos => wenig bis keine Kinder.
Nun?
Winnetaz
Irgendwie wird nicht so recht klar, was Gunda Werner eigentlich selbst glaubt: Gibt es einen Schöpfergott, der (wenn es ihn wirklich gibt) doch sicher eine Art Plan für seine Menschen hatte und noch immer hat? Und wie sieht dieser Plan aus?
Das Zitat aus dem 1. Kapitel aus dem 1. Buch Mose muss doch auch für eine katholische Theologin eine Bedeutung haben? Und die Bibel hat ja noch viele weitere Kapitel. Gleich im 3. Kapitel ist von sehr geschlechtsspezifischen Lebensumständen die Rede, die Gott dem Mann und der Frau jeweils auferlegt:
Zur Frau sagt Gott: "Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären."
Und zum Mann: "Mit Mühsal sollst du dich nähren dein Leben lang. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen."
Wir leben (selbstverschuldet) nicht mehr im Garten Eden. Und jeder und jede hat seine spezielle Last zu tragen, die Gott ihm auferlegt. Es ist sinnlos, sich gegenseitig aufzurechnen, welche Last die schwerere ist.
So sehe ich das zumindest als Protestant: Die Heilsbotschaft, die die Bibel all dem entgegensetzt ist nicht der Feminismus oder irgendeine andere von Menschen ausgedachte Gedankenwelt. Erlösung aus der ganzen Misere gibt es dadurch, dass die selbstverschuldete Trennung von Gott wieder wieder geheilt wird. Das geschieht nach Gottes Plan nur durch den einen Heilsbringer, den die Bibel dann im Neuen Testament vorstellt. Das sollten christliche Theologinnen und Theologen immer in den Vordergrund stellen. Alles andere folgt daraus.
90118 (Profil gelöscht)
Gast
@Winnetaz Das große Problem ist immer wieder der Kampf um die Deutungshoheit bezüglich Gottes Plan.
Innerhalb und zwischen den Religionen.
Das eine Weiterentwicklung im Christentum in allen Konfessionen erfolgte, lässt sich wohl nicht leugnen. Die Geistlichen predigen nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde auf Latein, die Welt ist doch keine Scheibe usw.
Das belegt, das die Auslegungsfragen nicht auf ewig mit absoluter Sicherheit immer in das gleiche Richtig und Falsch unterschieden werden.
Busfahrer
@90118 (Profil gelöscht) Kein Geistlicher hat jemals "mit dem Rücken zum Volk" gepredigt, und auf Latein auch nur dann, wenn das noch die Muttersprache der Zuhörenden war.
Ein grobes Missverständnis der Zelebration oder Gebetsrichtung versus deum.
Das muss der Ehrlichkeit halber gesagt werden.
90118 (Profil gelöscht)
Gast
@Busfahrer Was hat die Beschäftigung mit der historischen Liturgie mit Ehrlichkeit zu tun?
Jochen Sautter
@Winnetaz Wer tatsächlich glaubt, dass es diesen in der Bibel beschriebenen Gott tatsächlich gibt, für den sieht die Welt halt radikal anders aus.
Es ist ein radikal autoritäres Weltbild, das sich daraus ergibt, denn dieser Gott ist kein Diskurspartner auf Augenhöhe mit uns, keinem ethischen Argument zugänglich, sondern eine ultimativ autoritäre Figur, die absoluten Gehorsam einfordert.
Wer auf sowas Lust hat, mag sich privat so einrichten, als Referenz zur Gestaltung unserer gesellschaftlichen Verhältnisse ist es unbrauchbar. Ich will in keinem Gottesstaat leben müssen.
Fünfpluseins
@Winnetaz Vielen Dank für diesen Beitrag, dem ich voll zustimmen möchte.
Frau Flieder
Allein bei der Behauptung, Gott habe Adam und Eva erschaffen, sollte man sich von diesem Verein verabschieden.
652797 (Profil gelöscht)
Gast
@Frau Flieder Keiner hält Sie davon ab, es gibt keinerlei Strafen bei uns für Apostasie.