Reisen auf dem Land- und Wasserweg: Mein Vater soll mich verstehen
Wer Flugscham ernst nimmt, muss mit Konsequenzen rechnen. Wie der Forscher Gianluca Grimalda, der deswegen seinen Job verlor.
Der Wissenschaftler Gianluca Grimalda, 51, will nicht mehr fliegen – fürs Klima. Weil er deshalb nicht rechtzeitig von einer Forschungsreise in Papua Neuguinea zurückkam, feuerte ihn das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die taz begleitet ihn auf seiner Reise per Schiff, Bus und Bahn zurück.
Gerade befinde ich mich auf einem Transportschiff im Hafen von Rabaul, auf der Insel Ost-Neubritannien im Pazifik. In den nächsten acht Wochen werde ich über Indonesien, China und den Iran nach Deutschland zurückkehren. Meine kleine Kabine an Bord teile ich mit einem Matrosen. Nachts werde ich von schmerzhaften Insektenbissen geweckt. Trotz meiner Kortisoncreme dauert es 15 bis 20 Minuten, bis die Schmerzen nachlassen und ich langsam wieder schlafen kann.
Am härtesten hat es meinen Vater getroffen. Als er aus den Nachrichten erfuhr, dass ich wohl meinen Job verlieren werde, hat er zehnmal versucht mich anzurufen. Als ich zurückgerufen habe, weinte er. Er hat sich geschämt, dass mein Institut mich entlässt und darüber auch noch in den Nachrichten berichtet wird. „Du bringst mich noch um“, hat er mir gesagt.
Ich bewundere meinen Vater. Er ist 82 Jahre alt und lebt mit meiner Mutter auf 50 Quadratmetern in Mailand. Er hat sein Leben lang am Band gearbeitet und mich immer unterstützt. Dass er sich für mich schämte, tat weh.
„Ich bin wie du“
Nachdem das IfW mir offiziell gekündigt hat, haben wir lange gesprochen. Ich habe versucht, ihm zu erklären, warum ich nicht mehr fliegen kann. Auch nicht für die Arbeit. Dass mir die Waldbrände, Hitzewellen und Überschwemmungen, die wir diesen Sommer erlebt haben, Sorgen machen. Und dass sich die Wissenschaft einig ist, dass wir unsere Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas überwinden müssen, um ein stabiles Klima zu erhalten.
Mein Vater hasst Ungerechtigkeit. Als er vier Jahre alt war, nach dem Zweiten Weltkrieg, musste er mit seiner Familie aus seiner Heimat Istrien fliehen. Ich habe gesagt: „Papa, ich bin wie du. Wenn ich glaube, dass etwas richtig ist, dann muss ich es tun.“ Ich habe ihn gebeten, mich jetzt nicht im Stich zu lassen.
Mein Vater ist kein Mann großer Worte. Ich bin mir nicht sicher, ob er alle meine Gründe wirklich verstanden hat. Aber am Ende unseres Telefonats hat er mir gesagt, dass er weiter an meiner Seite steht.
Protokoll: Mitsuo Iwamoto
Leser*innenkommentare
Trabantus
Verständnis hätte ich für den Feldforscher dann, wenn er im Vorfeld der Planung eines nächsten Projektes diesbezügliche Absprachen und Vereinbarungen mit seinem AG treffen würde. So erschein mir sein Handeln narzisstisch und bewusst provokant. Die Reaktion seines AG, nämlich sich durch im Nachhinein geäußerte, here Gewissensgründe nicht erpressen zu lassen, hat mein vollstes Verständnis.
Suryo
Nun wird ja wohl mit dem Arbeitgeber ein Rückkehrtermin für das Büro in Kiel vereinbart worden sein. Zu diesem Termin muss sich der Arbeitnehmer dort einfinden. Dementsprechend ist dann auch die Rückreise zu planen, und wenn die acht Wochen dauert, muss man sie eben acht Wochen vor dem vereinbarten Termin antreten. Ich kann doch auch nicht drei Tage auf den Urlaub draufschlagen, weil ich mit dem Zug aus Südeuropa zurückreise und das nicht besonders viel Spaß macht.
Desillusio
Ich glaube ja nicht, dass das IfW Schwierigkeiten damit hat, dass Herr Grimalda zurückfliegt. Wahrscheinlich liegt das Problem doch eher darin, dass er für seine 30-tägige Abenteuerreise doch bitteschön Reisemittel, Übernachtungen, Auslandstagessatz und Gehalt für Arbeitszeit sehen möchte. Ich weiß nicht, ob sich das IfW Kiel am BRKG orientiert, aber dort liegen Tagesgelder zwischen 20 und 50€ - allein das wären also 600-1000€ Mehrkosten für diese Forschungsreise. Dazu dann noch die - sicherlich spannenden - Reisen per Schiff und Bahn und die - bestimmt tollen - Übernachtungen zwischendrin in irgendwelchen Hotels. Und natürlich das normale Gehalt trotz 60 Tagen Arbeitsausfalls für die An- und Abreise. Ich kann das Desinteresse des Arbeitgebers schon irgendwie nachvollziehen.
Aber in der Abteilung "Dinge, von denen kaum jemand redet" hätte ich noch eine Nachfrage: Wenn Herr Grimalda so besorgt um die Klimawirkung seiner Dienstreise ist, wieso reist er dann überhaupt um die halbe Welt? Können die Forscher vor Ort oder aus näher gelegenen Ländern die Daten nicht selbst erfassen und über moderne Kommunikationswege nach Kiel senden? Was ist so besonders an seiner Verhaltensforschung, dass er und nur er persönlich vor Ort sein muss, um wissenschaftlich verwertbare Daten zu erheben? Denn selbst mit Lastenesel und Containerschiff dürfte sein ökologischer Fußabdruck - sollte man dieses furchtbare Instrument nutzen wollen - doch gigantisch sein verglichen mit den Dorfbewohnern, denen er sein ganzes Klima-Mitgefühl schenkt?
Herma Huhn
@Desillusio Sein ökologischer Fußabdruck (ich verstehe Ihre Bedenken bezüglich des Begriffs) ist aber auch ohne diese Reise schon deutlich größer als der der Dorfbewohner, mit denen er forscht.
Wenn man sich die ganze Geschichte anschaut, ist er bereits (fast) ohne zu fliegen, dorthingekommen. Er hatte die Zeit für den längeren Rückweg auch eingeplant, wurde jedoch von Problemen, die nicht in seiner Macht standen von einer rechtzeitigen Abreise abgehalten.
Ein Arbeitsausfall ist von ihm ebenfalls nicht vorgesehen, weil er unterwegs genausogut arbeiten kann, wie in Kiel.
Es ist schwierig sich eine fundierte Meinung über den Fall zu bilden, da das Institut sich nicht öffentlich äußert. Aber vieel Einwände, die einem spontan einfallen, konnte der Wissenschaftler entkräften.
fly
Schmerzhafte Insektenbisse?
Vielleicht sollte man das Reisen lieber ganz lassen (und sich fragen, ob Feldforschung in Papua wichtig ist, wenn man das tun möchte, was richtig ist).
PS Was macht der Nachbarmatrose? Auch Insektenbisse?
Günter Picart
@fly Bin auch neugierig, was das wohl für Insekten sind. Habe mal nach "Bettwanzen an Bord" gegoogelt, dabei kommt heraus, dass es tatsächlich viele Klagen über Wanzen auf Kreuzfahrtschiffen gibt (andere Schiffe kamen in der Trefferliste nicht vor, wird auf Frachtschiffen dann aber kaum anders sein), aber überraschenderweise ebenso häufig über Bettwanzen in Flugzeugen berichtet wird.
Herma Huhn
@Günter Picart Bettwanzen sind in Flugzeugen weniger schmerzhaft, weil man nur eine "Nacht" mit ihnen verbringt.
Allergische Reaktionen zeigen sich oft erst nach dem zweiten oder dritten Stich.
Anidni
Auch ich bin im Club- allerdings spreche ich da nicht von Scham sondern von Vernunft und Konsequenz.
Ich wünsche Gianluca einen baldigen neuen Job, in dem er besser verstanden und respektiert wird.
Goldi
Danke! Sehr wichtige öffentliche Begleitung. "Butter bei die Fische" für alle die es ernst meinen mit Klimaschutz.
Hoffe bald gibt es mehr Schiffsverbindungen per Segelschiff/mit Fletner-Rotor/Solarzellen. :-)
Chris12
Der Mann verzichtet, um das Klima zu schützen, auf das Fliegen und ersetzt das Ganze dann durch eine Mitfahrt auf einem Transportschiff? Das Fortbewegungsmittel mit der - mit großem Abstand - schlechtesten Klimabilanz?
skyline2
@Chris12 Fliegen ist also weniger klimaschädlich als Schiffstransport? Woher beziehen Sie solche Behauptungen? Von Lobbyist:innen der Luftfahrtindustrie? Klimawandelleugner:innen?
Zur Primärenergiebilanz von Schiffen als Transportmittel können Sie hier nachlesen:
www.umweltbundesam...ent-ist-ein-schiff
Und da geht es um Tonnenkilometer. Herr Grimalda und sein Gepäck kommen auf vielleicht eine Zehnteltonne.
Dass Schiffe Umweltprobleme verursachen, wie die Emissionen von Ruß und Schwefeldioxid, was hauptsächlich die Hafenstädte belastet, kann keiner bestreiten, hinsichtlich des Ausstoßes von CO2 gibt es jedoch kein klimafreundlicheres Transportmittel.
Günter Picart
@skyline2 Wichtige sachbezogene Klarstellung, danke!
Philippo1000
Gut!
Ihr Vater darf stolz auf Sie sein!
Beim Thema Klimaschutz ist viel Doppelmoral im Spiel.
Viele zeigen gern auf Andere, die angeblich
"Schuld tragen", finden es aber selbstverständlich, bei sich Selbst andere Maßstäbe anzulegen.
Das wurde auch schon in diesem Forum offensiv vertreten.
Doch es gibt auch positive Gegenbeispiele in meinem Umfeld.
Mein letzter Flug war 1993.
Also: Willkommen im Club!