Reichster Oligarch der Ukraine: Der Strippenzieher
Rinat Achmetow liebt Fußball und verfügt über Milliarden. Lange hat er sich im Konflikt nicht festgelegt. Jetzt hat er sich positioniert.
R inat Achmetow hat sich entschieden. Der reichste Mann der Ukraine hat sich verabschiedet vom Donbass und von seiner Heimatstadt Donezk. Der Mann, der wie ein Stern aufgestiegen ist über dem kargen Landstrich mit seinen Hochöfen, Zechen und Schloten, hat seinen Traum begraben. Es war der Traum von einem blühenden Revier unter seinem Regiment, dem des Stahlbarons Rinat Achmetow, Sohn eines tatarischen Bergmanns und einer Verkäuferin aus der Millionenstadt Donezk.
Jahrelang hatte es der Oligarch vermieden, Position zu beziehen, hatte versucht, seine Stahlwerke, seine Minen, all seine Besitztümer herauszuhalten aus dem Konflikt, der im April 2014 in der Abspaltung der beiden „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk kulminierte. Er schimpfte 2014 über die Banditen, die als „Vaterlandsverteidiger“ mit Knarren in der Hand seine Heimatstadt drangsalierten. Er rief: „Was haben sie denn geleistet?“ Achmetow klang tief gekränkt. Er hat sich aber auch nicht auf die Seite der Maidan-Revolutionäre gestellt, die in Kiew zur selben Zeit EU-Fahnen schwenkten. Rinat Achmetow hat laviert. Bis jetzt.
Rinat Achmetow, Milliardär
„Ich warte aufrichtig auf den Sieg der Ukraine“, ließ er am 9. März über das Magazin Forbes Ukraine verkünden und setzte ein aufrüttelndes Bekenntnis obenauf: „Putin hat jene Länder im Blick, in denen es Freiheit gibt und Demokratie und die unabhängig sind. Alle Länder der freien Welt sind potenzielle Ziele. Wenn ihn die Ukraine nicht aufhält, weiß keiner, wer der Nächste sein wird.“ Achmetow klingt plötzlich wie ein Freiheitsapostel.
Und der 55-Jährige, dessen Vermögen Forbes im vergangenen Jahr auf 7,6 Milliarden US-Dollar taxierte, belässt es nicht bei einer Predigt. Sein Stahlkonzern Metinvest, Achmetow ist dessen Mehrheitseigner, habe bereits 35.000 Panzersperren und 2.100 Stahlbetonblöcke gefertigt, Schutzwesten gekauft und 80 Tonnen Hilfsgüter auf den Weg gebracht. So berichtet es Metinvest-Direktor Ryschenkow am 15. März gegenüber CNN. Man tue alles, um der Ukraine zum Sieg zu verhelfen. „Wir bleiben in Kiew, zusammen mit unserem Präsidenten, der Staatsmacht und unseren Soldaten, um uns Schulter an Schulter dem Feind entgegenzustellen“, berichtet der CEO am 15. März. Mit in der Phalanx Rinat Achmetow – auch wenn er sich nach Forbes-Angaben derzeit in der Westukraine aufhalten soll.
Ein wendiger Milliardär
So viel Loyalität ist neu. Neulich erst, im November 2021 bezichtigte ihn Präsident Wolodymyr Selenskyj der Finanzierung eines von Russland geplanten Putsches. Achmetow wies das empört als „absolute Lüge“ zurück. In Erwartung eines russischen Angriffs verließ er allerdings am 13. Februar das Land. Achmetow flog nach Genf. Drei Tage später tauchte er im Donbass wieder auf – in Mariupol.
In der Stadt am Asowschen Meer inspizierte er seine metallurgischen Kombinate Asow-Stahl und Iljitsch-Stahl mit zusammen 24.000 Beschäftigten, ließ sich an der Uferpromenade mit seinem Juniorpartner Vadim Nowinskij, ebenfalls Milliardär, ablichten und bekräftigte den Einwohnern seine Unterstützung angesichts der russischen Panzer. Und er wiederholte seinen Traum von Donezk, wo er 2014 das letzte Mal gewesen sein soll. Er, Achmetow, möchte wieder in der Donbass-Arena vor seinen Landsleuten auftreten, während im Stadion seines Fußballklubs Schachtar die Hymne der Champions League erschallt. Dann rief er: „Ein glückliches Donezk, ein glückliches Donbass kann es nur geben in einer geeinten Ukraine!“
Drei Wochen später toben im Donbass schwerste Kämpfe, die russischen Belagerer pulverisieren Mariupol, seit Samstag ist auch das Gelände von Asow-Stahl blutig umkämpft. Seine Kokerei in Awdijiwka in der „Kontaktlinie“, jener Pufferzone zwischen Separatisten und ukrainisch kontrolliertem Gebiet, brennt. Es ist die größte in Europa. Die Kontrolle über sämtliche Beteiligungen in den „Volksrepubliken“ verlor er 2017. Schachtar ist bereits seit 2014 heimatlos, zog durchs Land und bestritt seine Heimspiele ohne Fanunterstützung in fremden Städten, zuletzt in Charkiw. Der Spielbetrieb ist inzwischen eingestellt. Der Traum ist aus. Endgültig.
Mit einem Bombenanschlag begann die Karriere
Der Aufstieg Achmetows begann am 15. Oktober 1995, als fünf Kilogramm Plastiksprengstoff im Schachtar-Stadion von Donezk detonierten. Bei dem Anschlag sterben sechs Männer, fünf Leibwächter und Achat Bragin, der Präsident von Schachtar, zu deutsch: Bergmann. Bragin, ein ehemaliger Hobby-Kicker, Boxer und Fleischer, trägt, obwohl ebenfalls aus einer tatarischen Familie, den Spitznamen „Alik, der Grieche“. Er galt im Donbass als „Autorität“, was nichts anderes ist als die Umschreibung für einen Anführer des organisierten Verbrechens. Zu den Freunden der „Autorität“ soll der spätere ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch ebenso gehört haben wie der Nachbarsjunge Rinat Achmetow, beide gleichfalls Freunde des Faustkampfes.
Damals war Achmetow offiziell noch Student der Ökonomie an der Donezker Universität. Vor allem aber war er Mitinhaber der ARS-Gruppe. Das Unternehmen, an dem auch „Alik“ Teilhaber gewesen sein soll, wurde 1992 in der Grauzone der „nichtformellen Ökonomie“ gegründet, jener Zeit, als die Sowjetunion bereits zerfallen war, neue gesetzliche Strukturen aber noch nicht griffen. Die ARS-Gruppe brachte den Steinkohlemarkt im Donbass unter ihre Kontrolle.
Als die Bombe zündet, ist Achmetow nicht im Stadion. Der Jungunternehmer, der jede Beteiligung oder Mitwisserschaft am Tod der „Autorität“ von sich weist, beerbt „Alik“ ein Jahr später. Mit dreißig Jahren wird Achmetow Schachtar-Präsident. Der Mordanschlag bleibt bis heute unaufgeklärt.
Achmetow übernimmt auch die Donezker Dongor-Bank und startet mit ihren Ressourcen den Aufbau eines Wirtschaftsimperiums. Wie er das genau anstellt und wer ihm dabei hilft, dürfte für immer Achmetows Geheimnis bleiben. 2005 taucht sein Name jedenfalls auf der Forbes-Liste der weltweit reichsten Menschen auf. Sein Vermögen wird mit 2,4 Milliarden US-Dollar angegeben. Er gilt in seiner Heimat als die „größte nichtformelle Autorität im Donbass“.
Ein Jahr später erhält Achmetow die Ehrenbürgerwürde von Donezk. 2010 ist die Liste seiner Investments endlos: Es finden sich Stahl- und Röhrenwerke, Kohleminen, Heizkraftwerke, Windparks, Firmen der Telekommunikation, eine Reederei, Banken, Versicherungen, Fernsehsender, Zeitungen, Kaufhäuser, Logistikzentren, Landwirtschaftsbetriebe und Schachtar, der Klub seines Herzens. Die Besitztümer befinden sich in Donezk, Mariupol, Saporischschja, Kiew, Krywyj Rih, Dnipro. Über allem thront die Beteiligungsgesellschaft System Capital Management (SCM), die in Zypern registriert ist.
Der vergangen Reichtum von Donezk
Über eine standesgemäße Residenz verfügt er auch. Achmetow lässt das heruntergekommene Hotel Donbass, 1938 errichtet, sprengen und größer, prächtiger und mit einer Kuppel versehen als „Donbass Palace“ auferstehen. Donezk, nicht Kiew, besaß das erste Leading Hotel oft the World im Land. Außerdem lässt Achmetow das Schachtar-Stadion schleifen und für 400 Millionen Dollar die Donbass-Arena mit 51.000 Plätzen errichten.
Wer vor dem Krieg 2014 nach Donezk fuhr, war überrascht vom Reichtum, von den Boutiquen und den Luxuskarossen, die über die Artjom-Straße, die Magistrale der Stadt, donnerten. Ein Nachtklub hieß „Chicago“, ein Casino „Drittes Rom“ und gegenüber dem Lenin-Denkmal pries ein Juwelenkaufhaus seine Auslagen. In der Tiefgarage des Hotels „Zentral“ offerierte eine Autowäsche überaus bizarre Dienste. Junge Frauen versanken mit ihren Oberkörpern tief in den Luxuskarossen, reinigten alles per Hand und rieben als Krönung die verchromten Auspuffrohre mit Taschentüchern blank. Und irgendein neureicher Krösus verfolgte das im Sessel fläzend, Beine breit und sehr zufrieden.
In Rinat Achmetows „Donbass Palace“ ging es nobler zu. In der Royal Suite konnte man für 2.500 US-Dollar pro Nacht logieren und die Leute raunten: „Dem gehört fast alles, auch das, was ihm nicht gehört.“ Und es schwang Stolz mit. Donezk – das war eine obszöne, geradezu aggressive Zurschaustellung von Reichtum, Macht und auch Gewalt. Stadt und Region gefielen sich als proletarische Gegenwelt zum bürgerlichen Kiew und zum habsburgischen, manchmal hochnäsigen Westen des Landes. Diese Grobheit scheint tief in der DNA der Stadt zu stecken.
1869 erhielt der walisische Ingenieur John Hughes vom Zar Alexander II. den Auftrag, in der Steppe am Asowschen Meer die Kohle- und Erzvorkommen zu erschließen und ein metallurgisches Werk zu errichten. Hughes begann und ließ für die Arbeiter eine Siedlung anlegen. Acht Jahre zuvor hatte der Zar die Leibeigenschaft aufgehoben. Aus allen Ecken des Reiches zog es landlose Bauern, Glücksritter und Habenichtse zu den Hochöfen und Schächten in der Steppe. Weil die Siedlung einen Namen benötigte, wurde sie kurzerhand nach dem ausländischen Stahlbaron Hughes, russifiziert „Jushes“, Jusowka genannt. Der Hunger nach Schienen und Kanonen war grenzenlos, die Goldgräberstadt im Osten Europas wuchs und das Russische Reich stieg zu einem der bedeutendsten Stahlproduzenten auf. Im Revolutionsjahr 1917 lebten in Jusowka 70.000 Menschen.
1924 wurde die Stadt zu Ehren Stalins in Stalino umbenannt. Unter diesem Namen lernten sie die Soldaten der Wehrmacht kennen, die sie 1941 besetzten. Im Donbass-Hotel quartierte sich die Gestapo ein und im Schewtschenko-Kino gleich nebenan die deutsche Militärverwaltung. Sie trieb kurz darauf die Juden in ein Ghetto zusammen und errichtete ein Lager für Kriegsgefangene. Die Gefangenen mussten in den Werken arbeiten. Die 5.000 Juden aus dem Ghetto aber wurden nur einmal, am 30. April 1943, zur Zeche getrieben. Dort angekommen, haben die Deutschen sie erschossen und die Leichen in einen Schacht geworfen. Insgesamt sollen dort etwa 15.000 Juden ermordet worden sein. Als die Stadt im September 1943 von der Roten Armee befreit wurde, war sie weitgehend zerstört.
1961 wird Stalino in Donezk umbenannt, nach dem Nördlichen Donez. Der Fluss fließt allerdings hundert Kilometer an der Stadt vorbei. Die Suche nach einem neuen Namen ist ähnlich nachlässig wie bei Jusowka. 1968 erhält Donezk ein Wappen: Eine Faust umschließt einen Hammer. Dieser Proletenkult hat aber nicht nur das Wappen, sondern die ganze Stadt im Griff.
Donezk wird zum Mythos erhoben, seine Bergarbeiter zu makellosen Proletariern. Aus dem Partnerbezirk Magdeburg rollen Jahr für Jahr „Freundschaftszüge“ voller Werktätiger zum „Erfahrungsaustausch“ heran. 1970 vergleicht das Neue Deutschland die Abraumhalden mit den Pyramiden von Gizeh und schwärmt, Donezk mache den Eindruck eines großen Kurortes. Die Realität ist anders. Rinat Achmetow, 1966 geboren, erzählt 2006 in der Ukrainska Prawda vom Plumpsklo, von Säufern und von Körperwäsche auf dem Hof. Sein Vater, ein Bergmann, stirbt 1991 an einem Lungenleiden. Sein älterer Bruder Igor, ebenfalls Bergmann, erkrankt an Tuberkulose.
Niedergang der Stadt, Aufstieg des Oligarchen
In den achtziger Jahren häufen sich die Grubenunglücke mit Dutzenden Toten, später brechen Streiks aus. Mehr als hunderttausend Kumpels gehen für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen auf die Straße. Die ukrainische Unabhängigkeitsbewegung bleibt ihnen jedoch fremd. Als diese 1990 zum Generalstreik aufruft, fahren die meisten Kumpels teilnahmslos in den Schacht ein. Ende 1991 zerbricht die Sowjetunion. Es beginnt eine wirre, chaotische Zeit. Im Oktober 1995 explodiert im Schachtar-Stadion die Bombe.
Rinat Achmetow kleidet sich längst mit feinem Zwirn und teuren Wollmänteln und wirkt selbst auf Bildern vor Stahlwerken distinguiert, aber auch immer etwas scheu. Vom Ruch des Anfangs ist nichts mehr zu spüren. Die Geschäfte laufen gut, 2019 kauft er für über 200 Millionen Dollar eine Villa, gelegen zwischen Nizza und Monaco, die einst König Leopold II. von Belgien gehörte.
Ein Ex-Präsident als guter Freund
Im Gegensatz zu den russischen Oligarchen mischen die ukrainischen kräftig in der Politik mit, etwa durch Bestechung oder Einflussnahme bei Gesetzesvorhaben. Diese Macht einzudämmen, ist seit Jahren eine der Hauptforderungen der EU. Im September 2021 verabschiedet die Rada, das ukrainische Parlament, ein Gesetz, das die Macht der Oligarchen eindämmen soll. Das Gesetz passiert die Rada, nachdem am Tag davor ein Anschlag auf den Präsidentenberater verübt wurde, der gegen die Oligarchen vorging. Der Mann bleibt unverletzt, die Kugeln treffen den Fahrer, der schwer verletzt wird.
Rinat Achmetows zuverlässigster Verbindungsmann in die Politik ist lange Jahre Wiktor Janukowytsch, der ehemalige Boxfreund aus dem Donezker Umfeld des toten „Alik“. 1999 wird Janukowytsch Gouverneur des Donezker Gebiets, 2002 Ministerpräsident der Ukraine. 2010 und nach einigen Turbulenzen wird er ukrainischer Präsident. OSZE-Beobachter befinden die Wahl als „frei und fair“. 2014 folgt der Absturz. Nachdem Janukowytsch erfolglos versucht hat, die Massenproteste in Kiew niederzuschlagen, flieht er nach Russland. Was folgt, sind im März 2014 die Annexion der Krim, einen Monat später die Abspaltung der „Volksrepubliken“ und der Beginn des Krieges.
Wie aus einer Gruft meldet sich am 8. März 2022 der frühere Achmetow-Favorit Janukowytsch aus dem politischen Jenseits zu Wort. Er ruft Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu auf, zu kapitulieren, und fordert die Unterzeichnung eines Friedensabkommens, „um jeden Preis“. Zuvor hatten ukrainische Medien gemutmaßt, dass der verhasste Präsident nach Anweisung Putins einer Kiewer Marionettenregierung vorstehen könnte.
Einen Tag nach der Aufforderung zur Unterwerfung veröffentlicht Rinat Achmetow seinen Appell für Freiheit und Demokratie. Er findet dabei aufrüttelnde Wort für das Leid in Mariupol. Er spricht von den Menschen, die Schutz suchen in seinen Fabriken, die Schnee schmelzen, um an Wasser zu kommen, damit sie überleben. Und er erzählt von einem Mädchen, das unter Schuttbergen verdurstet, mitten in Europa. „Es ist unmöglich, das alles zu hören und zu sehen, ohne Tränen in den Augen zu haben.“
Rinat Achmetow hat sich entschieden. Ob die Entscheidung von Dauer ist, muss sich allerdings noch erweisen. Nach dem Krieg.
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