Reichsbürger-Bewegung sucht Personal: Currywurst und Systemausstieg
„Königreich für Deutschland“ rekrutiert mittlerweile auch Kioskverkäufer und arbeitet mit verurteilten Rechtsextremen zusammen.
Inhaltsverzeichnis
Ein Wanderweg, ein Kiosk. Am ehemaligen Kurhotel am Wiesenbeker Teich in Bad Lauterberg soll eine kleine Holzhütte bald größere Gewinne für das Gemeinwohl einbringen. Als Teil des „Oberharzer Wasserregales“ gehört der Wiesenbeker Teich zum Unesco-Weltkulturerbe im niedersächsischen Harz. Über einen begehbaren Staudamm können die Wandernden das künstliche Gewässer überqueren, und am Kiosk sollen sie dann bald Getränke und Snacks erwerben können. Noch suchen die Betreibenden aber einen Kioskverkäufer für 30 Stunden die Woche – Geld gibt es für diesen Job nicht. Dieses Stellenanzeige ist der Versuch der Reichsbürger-Bewegung „Königreich Deutschlands“ (KRD), in Norddeutschland neue Strukturen zu etablieren.
In dem Jobangebot auf der KRD-Website wird die politische Absage an die Bundesrepublik nicht bloß angedeutet. „Wir sind gerade dabei unseren Standort mitten im Grünen im Harz auszubauen“, schreibt das KRD. „Da das örtliche Umfeld noch nicht optimal ausgebaut ist, bieten wir aktuell ein Camping-Gefühl.“ Die Bewerbenden sollten denn auch einen Camper oder Wohnwagen besitzen. So weit, so unpolitisch.
Doch in der Anzeige wird gleich der vom KRD beworbene „Systemausstieg“ eingefordert. Das Zubereiten von „kleinen Snacks und Mahlzeiten“ sei als Beitrag „für das Gemeinwohl“ eines „zusammenhaltenden Teams“ einzubringen. Die „Abmeldung“ aus der Bundesrepublik – also die Rückgabe von Pass, Führerschein und weiteren Dokumenten– soll der neue Kioskverkäufer dann durch einen Übertritt in den „Rechtsrahmen“ des KRD vollziehen.
„Königreich für Deutschland“ 2012 gegründet
Dieser „Rechtsrahmen“ wurde 2012 in der Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt geschaffen, als Peter Fitzek vor rund 600 Anhänger:innen das „Königreich für Deutschland“ ausrief und sich gar zum König krönen ließ. Fitzek alias „Menschensohn“ oder „Peter, der 1.“ gründete eine „Reichsbank“ und eine „Gesundheitskasse“, führte Staatszugehörigkeitsdokumente und eine eigene Währung für die Reichsbürger ein.
Eine direkte Entlohnung erwähnt das KRD in der Stellenanzeige nicht. Doch das Leben in Bad Lauterberg und das Arbeiten im Kiosk unweit des Kurhotels garantiere eine „gesunde, hochwertige Lebensweise“ und biete „vielfältige Einblicke in das gegenwärtige Weltgeschehen hinter den Kulissen und die Möglichkeit, an einer positiven Transformation mitzuwirken“.
Wegen Volksverhetzung verurteilt
Diese Transformation gestaltet Niels Fortmann am ehemaligen Kurhotel bereits mit. Auf dem 2.780 Quadratmeter großen Anwesen werkelt der Rechtsextremist aus Nienburg an der Weser. Er war zuvor bei der Kameradschaftsstruktur „Nationale Offensive Nienburg“ und wurde 2007 vom Amtsgericht Nienburg wegen Volksverhetzung zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt, da er bis 2014 als Administrator der Website von „Stimme des Reiches“ fungierte – eine Veröffentlichung aus dem Spektrum der Holocaust-Leugnenden Ursula Haverbeck. Ein Jahr später kandidierte der Bäckergeselle für die NPD bei der niedersächsischen Landtagswahl.
Heinrich Müller aus dem Saterland, einer Gemeinde in Niedersachsen, arbeitet auch am Hotel und an der „Transformation“ mit. Müller versuchte in seiner Heimat als Lokalpolitiker aufzusteigen, scheiterte aber, als bekannt wurde, dass er zum „Königreich für Deutschland“ gehört. Müller ist der Partner von Ute Kowalewski, die das ehemalige Kurhotel in Bad Lauterberg für Fitzeks Fantasiestaat erworben hat.
Strukturen in Hamburg und Bremen stehen
In Bremen und Hamburg läuft der Aufbau neuer Strukturen schon länger. Verbitterte Reichsbewegte mit Hass auf die Bundesrepublik Deutschland kommen hier aber nicht zusammen, sondern hier streben „Suchende mit offenen Herzen Gemeinschaftliches“ an, so formulieren es die Anhänger des KRD. Es sind aber nur Wortwahl und Habitus, die sie von den Rechtsextremen unterscheiden, die politischen Positionen sind häufig deckungsgleich.
Der Coach für die „Regionalstelle Nordwest“ trägt Dutt und Kinnbart. Andreas Lütge ist Administrator der nördlichen Telegram-Gruppe. Mehrere Treffen haben in Hamburg stattgefunden. Knapp 30 Personen kamen zum Beispiel am 10. und 11. Juni zum Thema „Systemausstieg“ zusammen, am 24. Juni und am 8. Juli ging es dann ebenfalls in Hamburg passend dazu um das Thema „Systemaufbau“. Lütge war mehrmals Redner bei Querdenken-Demonstrationen an der Elbe, trat mit offiziellem T-Shirt von „Querdenken-40“ auf.
Er tritt aber auch aktuell bei Werbevideos der Initiative „Leuchtturm“ der Reichsbürger:innen-Gruppierung „Königreich Deutschland“ auf. Geht man auf die Website, steht dort: „Mit der Nutzung dieser Webseite erklärst Du Dich damit einverstanden, eine temporäre Zugehörigkeit zum Staatsverein Königreich Deutschland einzugehen“. Aber keine Sorge: „Es entstehen dadurch keine weiteren Rechte, Pflichten oder Kosten.“
„Bündnis gegen Rechts“ warnt
Nahe Hamburg ist für den 30. September ein „KRD-Info-Seminar Basis & Aufbau“ angekündigt. Kosten: 43 Euro. Beim Mittagessen findet laut Programm eine „Vernetzung, KaDaRi“, statt. Bereits vor Jahren war Jürgen Elsen mit der „Initiative Lauschraum Nordheide“ aus Kakenstedt beim „KaDaRi“ eingetragen, auf dem mit der Währung des Scheinstaates Dienstleistungen innerhalb des KRD vermarktet werden, weiß das Hamburger „Bündnis gegen Rechts“ (HBgR).
Für die Region Nordwest tritt Elsen als Leiter des KRD auf. Er ist zudem in den 2019 gegründeten Verein „Ich bin Mensch – Verein zur Förderung regionaler Kulturinitiativen und sozialer Gemeinschaftsentwicklung e. V.“ involviert. 2020 wird der Verein bei Telegram schon als Kontakt für KRD-Interessierte angegeben. Der aktuelle Vorsitzende ist Bastian Schikora aus Hamburg, als neuer Kassenwart sitzt Marc Opitz aus Handeloh, stellte das Bündnis fest. „Der Verein ist offensichtlich ein Tarnverein“, sagt Kim Fedders vom Hamburger „Bündnis gegen Rechts“. Das vermeintlich Alternative soll das eindeutig Autoritäre nicht überdecken.
Reichsbürger bauen Regoionalstrukturen auf
In einem internen „Kurzkonzept“ vom Juni 2021 zu „Gruppenaufbau und Finanzierung der Regionalstellen“ erklärt das „Königreich für Deutschland“, dass „die Regionalstellen (…) wichtige Faktoren für die Vergrößerung des KRD“ seien. Da sie die Keimzellen von freien Gemeinden in den Regionen darstellen. Die „Kerngruppe“ stellt die Führungskräfte, welche mit dem Regionalstellenleiter alles maßgeblich organisieren. „Ohne einen führungsstarken und unternehmerisch denkenden und handelnden Regionalstellenleiter kann dauerhaft keine Gruppe etabliert und organisiert werden.“
Die Regionalstellen sollten aber nicht alle Interessierten mitgestalten lassen. Um eine „stabile“ Regionalgruppe aufzubauen, sollten Menschen mit „offensichtlich großen emotionalen und psychischen Baustellen“ abgewiesen, aber im Unterstützerkreis behalten werden. Und das KRD führt weiter aus: „Die postmoderne Vorstellung, dass „alle Menschen mitentscheiden müssen“, sei eine romantische und weltfremde Idee.
Bis zur Militanz
Diese antidemokratische Radikalität geht bis zu Militanz: Auf der „König für Deutschland“-Website stellten zwei Mitglieder unlängst ihren Podcast vor, in dem die Bewaffnung des KRD laut ihrer eigenen Verfassung skizziert wird. Demnach sei die Fitzek unterstellte Verteidigungsarmee nur für Deutsche und selbst im Konfliktfall freiwillig. Es sei jedoch weiter wichtig, dass alle Mitglieder Selbstverteidigung trainierten, um den Körper als Waffe einzusetzen und sich im Verteidigungsfall gegen Bedrohungen wehren zu können.
„Das Konzept eines monarchistischen Fantasie-Staats mit hoheitlichen Befugnissen, eigener Armee und geplanter Bewaffnung, dessen Anführer glaubt, sein Reich existiere in Wirklichkeit, ist brandgefährlich“, sagte Kim Fedders vom Hamburger „Bündnis gegen Rechts“. Am 27. August ist der nächste Reichsbürger-Spaziergang nördlich Hamburgs geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?