Rehabilitierung homosexueller Männer: Akten sind weg, Aufarbeitung dauert
Die Linkspartei kritisiert die schleppende Rehabilitierung verurteilter Schwuler. Der Paragraf 175 wurde schon 1994 abgeschafft.
Da ist zum Beispiel Nordrhein-Westfalen. Schon 2012 hatte der dortige Landtag die Rehabilitierung und Entschädigung der nach § 175 StGB verurteilten Männer beschlossen und 2014 gar eine Resolution mit dem Titel „Die strafrechtliche Verfolgung und Unterdrückung muss aufgearbeitet werden“ verabschiedet. Dass diese Aufarbeitung auf sich warten lässt, legt die Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei nahe.
Demnach gab es von 1953 bis 1994 allein in Nordrhein-Westfalen 13.276 Verurteilungen, bundesweit wurden 50.886 Personen wegen „Unzucht zwischen Männern“ verurteilt. Selbst 1994 – im Jahr der endgültigen Abschaffung des Paragrafen – wurden bundesweit noch 55 Männer verurteilt, 15 davon in Nordrhein-Westfalen.
Unbeantwortet bleibt die Frage, wie lange nach Abschaffung des Straftatbestands noch Männer inhaftiert blieben. „Aufgrund der gesetzlichen Löschungsfristen“ für die betreffenden Akten lägen „hierzu keine Daten mehr vor“, heißt es in der Antwort von Landesjustizminister Thomas Kutschaty (SPD).
§ 175 StGB wurde wörtlich aus der NS-Gesetzgebung in die Bundesrepublik übernommen, erst 1969 wurde er modifiziert und der einvernehmliche homosexuelle Kontakt zwischen Erwachsenen entkriminalisiert. Trotzdem konnte bis 1994 der Verkehr eines Mannes über 18 Jahren mit einem Mann unter 21 Jahren mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.
Die Linkspartei kritisiert nun, dass vier Jahre nach dem Landtagsbeschluss zur Aufarbeitung noch keine umfangreichen Daten vorliegen. Es sei denkbar, die Dauer der Haftstrafen über die Eingangs- und Ausgangsbücher der Justizvollzugsanstalten herauszubekommen. „Wenn Justizminister Kutschaty eine Aufarbeitung will, muss er die Anstaltsleitungen anweisen, entsprechende Nachforschungen anzustellen“, sagt Jasper Prigge, queerpolitischer Sprecher der NRW-Linken.
Die Landesregierung betont, die Rehabilitierung sei der Landesregierung ein „wichtiges Anliegen“, dem „mit verschiedenen Maßnahmen“ Rechnung getragen werde, vor allem durch Veranstaltungen und Bildungsprojekte. Ob weitere Maßnahmen nötig seien – zeige sich „erst nach Vorlage eines Gesetzentwurfs des Bundes“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja