Regisseurin über feministische Filme: „Nur Männer werden Genies genannt“
Für Regisseurin Katharina Mückstein ist die Fernsehbranche weiter vom männlichen Blick dominiert. Sie will diversere Figuren, Casts und Mitwirkende.
taz: In einem früheren Interview sprachen Sie davon, dass in der Filmgeschichte die schauende Person hinter der Kamera ein Mann und die angeschaute Person vor der Kamera eine Frau sei. Wie meinen Sie das, Frau Mückstein?
Katharina Mückstein: Wer hinter der Kamera arbeitet, entscheidet, wie die Person vor der Kamera abgebildet wird. Und damit auch, wie wir als Zuschauer:innen sie sehen. In der Entstehungsgeschichte des Kinos wurde der Bereich hinter der Kamera sehr schnell männerdominiert. Weiblich gelesene Körper hingegen wurden vor der Kamera in Szene gesetzt und sexualisiert.
Spiegelt sich das in der Filmsprache, also in der Bildsprache, wider?
Ja, ich beschreibe Ihnen mal eine klassische Bildfolge: Wir sehen das Gesicht eines Mannes, wir sehen seine Augen, dann schwenkt die Kamera den weiblich gelesenen Körper ab. Dieser Blick, der einen Körper von oben bis unten scannt, ist stark patriarchal konnotiert. Er ist objektifizierend und reduzierend. Eine feministische oder eine queere Filmsprache bedeutet für mich, mit dieser Machtachse des Blicks zu brechen und Lust anders zu inszenieren.
Auf der Webseite des Vereins „FC Gloria“, den sie mitgegründet haben und der sich für Geschlechtergerechtigkeit in der österreichischen Filmbranche einsetzt, steht: „Wir sind überzeugt, dass es eine große Rolle spielt, ob Medieninhalte von Männern oder Frauen, Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen oder Erfahrungswelten kreiert werden.“ Kann ein alter, weißer Mann nicht etwa die Erfahrungen einer jungen, schwarzen Frau abbilden?
ist gebürtige Wienerin und studierte Philosophie, Gender Studies und Regie. Bekannt wurde die Film- und Fernsehregisseurin und Drehbuchautorin unter anderem für ihre 2023 erschienene Doku „Feminism WTF“.
Bestimmte Erfahrungen sind an einen Körper gebunden und in die Erfahrungsgeschichte eines Menschen eingeschrieben. Daraus entsteht eine Perspektive, die eine andere Person nicht haben kann. Perspektiven, die nicht jenen weißer, oftmals wohlhabender Hetero-Männer entsprechen, sind in unserer Kulturgeschichte marginalisiert. Auch wenn Frauen keine Minderheit sind, ist das, was sie in dieser Gesellschaft zu sagen haben und wie viel Wert auf ihre Erzählperspektive gelegt wird, eine marginalisierte Perspektive. Dasselbe gilt für queere, trans Perspektiven und für Menschen of Color.
Das Problem beginnt also bei der Besetzung der Teams hinter der Kamera.
Das Problem beginnt bei der Ausbildung und bei Chancengleichheit in der Gesellschaft: Wer kann es sich leisten, einen künstlerischen Beruf auszuüben? Schon von Anfang an findet ein klassistischer Ausschluss statt. Dann die Frage: Wer unterrichtet Film? Wie sieht der Kanon im Unterricht aus? Ich habe in meinem Studium zwischen 2004 und 2010 beim Regisseur und Drehbuchautor Michael Haneke eine Liste der seiner Meinung nach 50 wichtigsten Filme aller Zeiten bekommen. Da war kein einziger Film von einer Regisseurin dabei, fast alle Filme kamen aus einem weißen, westlichen Kontext. Nichts wich jemals von dieser Norm ab. Der Geniebegriff bleibt Männern vorbehalten.
Wie kann die Branche gerechter werden?
Es bräuchte eine Veränderung der Arbeitsstrukturen. Elternschaft und Filmberuf dürfen einander nicht ausschließen. Es braucht gute Arbeitszeiten, faire Bezahlung und Gewaltschutz. Wir wissen, dass die Filmindustrie ein optimaler Nährboden für Machtmissbrauch und für sexualisierte Übergriffe ist. Auch Geld spielt eine Rolle: Für Kino gibt es sehr wenig Stipendien, was wiederum bedeutet, dass Leute aus wohlhabenden Familien im Vorteil sind. Und nicht zuletzt sollte das Kino ein Medium des Volkes sein, das für alle zugänglich ist und idealerweise wenig oder gar nichts kostet. Die Gesellschaft finanziert unser Filmemachen, warum sollten unsere Filme also nicht Allgemeingut sein?
Vom Kino zum Fernsehen: Was bedeutet feministisches Arbeiten in der TV-Branche?
So etwas wie feministisches Filmemachen kenne ich beim Fernsehen nicht. Das lineare und das öffentlich-rechtliche Fernsehen sind keine feministischen Medien. Ich kann mir als Regisseurin nicht aussuchen, mit wem ich produziere, mit wem ich drehe, wer die Hauptrollen spielt. All das ist vorgegeben. Was ich mitbringen kann, ist meine eigene politische Haltung, aus der heraus ich durch meine Machtposition als Regisseurin versuche, ein Arbeitsklima herzustellen, in dem sich niemand schlecht behandelt fühlt und in dem Kritik möglich ist. Im Kino ist das anders, wobei auch da die Ressourcen Zeit und Geld immer vorgeben, wie wir arbeiten können. Das zeigt wieder, dass Kapitalismus und Patriarchat zusammengehören.
Inwiefern?
In diesen Arbeitsverhältnissen ist nicht vorgesehen, dass jemand mal krank wird, ein Kind zu Hause pflegen oder andere Care-Arbeit leisten muss. Alles ist auf eine funktionierende Arbeitshierarchie ausgelegt, sodass man in kurzer Zeit so sparsam wie möglich möglichst spektakuläre Filme produzieren kann. Das ist eine sehr patriarchale Idee von Kunst und es ist mit viel Aufwand verbunden, wenn man es in einzelnen Projekten anders oder besser machen möchte.
Sie haben beim Wien-Krimi und beim Tatort Regie geführt. Die Hauptfiguren sind vorgegeben, doch beim restlichen Ensemble legen Sie Wert auf Diversität. Wie gehen Sie vor?
Bekomme ich Drehbücher fürs Fernsehen, in denen alle irgendeinen autochthon österreichischen oder deutschen Namen haben und nur die Bösewichte sogenannte rassifizierte Personen sind, möchte ich das einfach nicht drehen. Da stelle ich sofort die Frage: Bei welchen Figuren ist es überhaupt wichtig, dass sie Hofmann oder Huber heißen? Und könnten sie nicht auch eine ganz andere Herkunft, ein anderes Geschlecht, eine andere sexuelle Orientierung haben? Für mich bedeutet das demokratische Haltung, zu sagen, öffentlich-rechtliches Fernsehen ist für alle da, deshalb müsste es allen Arbeit geben und auch alle abbilden.
Sie plädieren für mehr Diversität und weniger Hofmanns und Hubers. Was braucht es noch?
Wir sollten wegkommen von der Idee, über Geschlecht immer binär zu sprechen. Wo sind die ganzen genderqueeren Autor:innen? Wo die Autor:innen of Colour? Warum sind die Filmschulen so weiß? Warum ist die Filmindustrie so hetero normiert? Und nicht zuletzt müssen wir uns die Frage stellen, wofür machen wir diese ganze Arbeit? Die Klimakrise ist real. Wenn die Welt verbrennt, dann interessiert die Filmbranche niemanden mehr. Und wenn die Rechten Deutschland oder Österreich regieren, sind diese Künstler:innen die ersten, die abgeschafft werden. Ich würde mir sehr wünschen, dass Kino und Fernsehen das ausschöpfen, was sie an Bildungsarbeit, an Politisierung, an Auseinandersetzung leisten könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn