Regionalsprachen in Schulen: Löppt in de School
Regionalsprachen wie Niederdeutsch waren jahrelang an Schulen verboten. Jetzt wird „Plattdüütsch“ im Norden teilweise als Abiturfach unterrichtet.
Am Goethe-Gymnasium in Demmin könnte es Stoff für eine Abiturprüfung sein: Die Schule ist eine von vier in Mecklenburg-Vorpommern, in denen Niederdeutsch, Eigenbezeichnung Plattdüütsch, als Abiturfach gewählt werden kann. Zwar wird das Angebot bisher kaum genutzt, aber in allen nördlichen Bundesländern sind Regionalsprachen auf dem Vormarsch. In zahlreichen Schulen in den norddeutschen Bundesländern wird heute Niederdeutsch angeboten, in Niedersachsen können Schüler*innen an einzelnen Orten zusätzlich auch Saterfriesisch lernen. Auch Schulen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg bieten heute vereinzelt Unterricht in Platt an.
Platt schnacken war verboten
Die Rückkehr der Regionalsprache an die Schulen begann vor 25 Jahren mit der Ratifizierung der Europäischen Charta für Regional- oder Minderheitensprachen. Mecklenburg-Vorpommern hat daraufhin die Förderung der Sprache in die Landesverfassung aufgenommen, Schleswig-Holstein sogar schon kurz vorher. Als erstes Bundesland führte dann Hamburg 2010 Plattdeutsch als reguläres Schulfach in einzelnen Grundschulen ein, Mecklenburg-Vorpommern ein paar Jahre später auch für weiterführende Schulen. In den übrigen Ländern ist Platt als Wahlpflicht-Fach oder AG belegbar. Im März 2017 nahm die Kultusministerkonferenz (KMK) Niederdeutsch in die Liste der länderspezifischen Fächer der Abiturprüfung auf. Genutzt wurde das Angebot bisher allerdings erst von zwei Schüler*innen.
Plattdüütsch erlebte seine Blütephase während der Hansezeit und war damals Lingua franca im Ostseeraum. Heute sprechen laut dem Niederdeutschsekretariat 2,5 Millionen Menschen in Deutschland Platt. Die Zahl ist seit rund zehn Jahren stabil.
Der Sprachraum erstreckt sich von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern im Norden über Niedersachsen, Hamburg und Bremen in die nördlichen Landesteile von NRW, Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
Regionalen Unterschieden zum Trotz gelten heute Standards für Grammatik und Rechtschreibung. Auf dieser Basis sind Schulbücher und andere Unterrichtsmaterialien entstanden. (taz)
„Das Interesse ist schon da, aber es ist eben die dritte Fremdsprache“, sagt Kristin Studier, die am Goethe-Gymnasium in Demmin eine neunte Klasse im Niederdeutschen unterrichtet. Dennoch sei der Status als Abiturfach die logische Konsequenz, wenn die Sprache am Gymnasium angeboten werde, sagt Studier. Die Zahlen könnten steigen, wenn mehr Kinder in unteren Klassen Erfahrungen mit der Sprache machen. Das Ziel: der Spracherhalt. „Sie sollen frei sprechen können, aber natürlich gehören auch korrektes Schreiben und Grammatik zur Sprachkompetenz.“
Ihre Kollegin Andrea Strichau-Plüg unterrichtet Plattdüütsch an der Alexander-von-Humboldt-Schule im schleswig-holsteinischen Neumünster. Die Lehrerin stammt aus der Region, für ihre Großeltern war Platt noch die Alltagssprache, sie selbst hörte es als Kind. Dennoch zählt sie sich zu den sogenannten verlorenen Generationen, wie heute viele Erwachsene im Norden. Mehrere Jahrzehnte lang wurde den Kindern in der Schule verboten, platt zu schnacken. Denn die Regionalsprache galt als bäuerisch, und wer Höheres anstrebte, sollte sie rasch verlernen. So verschwand die Sprache aus dem Alltag. Angehörige der folgenden Generationen verstehen Platt zwar, doch ihnen fehlt der aktive Wortschatz.
Das soll sich wieder ändern. Dafür plant Andrea Strichau-Plüg, einen Plattdeutsch-Grundkurs für alle fünften und sechsten Klassen ihrer Schule anzubieten. So sollen möglichst viele Kinder zumindest ins Plattdeutsche hineinhören. Die Humboldt-Schule liegt in einem Randbezirk der Stadt, viele Kinder stammen aus dem Umland. „Das ist dörflich geprägt, also können die Großeltern oft Platt und freuen sich, es mit ihren Enkeln zu sprechen.“
Damit die Kinder nicht nur Texte lesen und im Unterricht sprechen, will die Lehrerin einen „Platt-Cast“ starten. Die erste Ausgabe wird sich mit Eten un Drinken, Essen und Trinken, befassen. Dafür gehen die Sechstklässler*innen des Plattdüütsch-Kurses zum Interview in die Mensa oder erzählen die lokale Sage vom Aalversuper, in der Dörfler*innen einen räuberischen Aal bestrafen wollen, indem sie ihn „versupen“. Das heißt nicht etwa „zu Suppe verarbeiten“, sondern „ertränken“ und rettet dem Tier damit das Leben.
Die Themen seien fast egal, „Hauptsache, ich halte sie am Sprechen“, sagt Strichau-Plüg. Ihr ist wichtig, das Niederdeutsche zu erhalten: „Es ist Teil der Landesgeschichte, und wenn es verschwindet, hat es auch mit der Unterdrückung der ursprünglichen Kultur zu tun.“
So ein Schulangebot hätte auch Vanessa Teichmann gerne gehabt. Die 19-Jährige stammt aus einem Dorf bei Parchim, studiert aktuell in Greifswald und nutzt jede Gelegenheit, Platt zu schnacken. Gelernt hat sie die Sprache zusammen mit ihrer Mutter, die als Kita-Erzieherin Platt unterrichten wollte. In ihrer Schule gab es erst eine Plattdüütsch-AG, als Teichmann bereits kurz vor dem Abitur stand. „Dabei hätte ich es gern in der Schule belegt“, sagt die Studentin, die sich bei den „Jungen Lüüd“ engagiert, einer Gruppe von Nachwuchs-Plattschnackern. Weil es im Alltag kaum Gelegenheit gibt, die Sprache zu sprechen, treffen sie sich in Online-Gesprächsrunden über das „Plietschfon“, Smartphone, oder am „Reekner“, dem Computer.
Die wichtigste Lobbyorganisation für den Erhalt der Regionalsprache ist das Niederdeutschsekretariat mit Sitz in Hamburg. Sekretariatsleiterin Christiane Ehlers hat die Entwicklung im ganzen Norden im Blick und weiß: „Jedes Bundesland geht seinen eigenen Weg.“
„Plattdüütsch in den Ünnerricht“
Hamburg war zwar Vorreiter, doch zurzeit wird die Sprache vor allem in den Grundschulen der Hansestadt angeboten. Mecklenburg-Vorpommern geht weiter: Das Land lässt Platt seit dem Schuljahr 2017/18 als Fremdsprache in allen weiterführenden Schulen zu, bevorzugt Lehrkräfte mit Niederdeutsch-Zertifikat bei der Einstellung und hat Profilschulen eingerichtet. Eine Reihe von Modellschulen gibt es auch in Schleswig-Holstein, aber das Land setzt vor allem auf freiwilliges Engagement.
Das gebe es in vielen Orten, stellt Ehlers erfreut fest: „Die Sprachförderung läuft aufgrund vieler Beteiligter inzwischen sehr strukturiert.“ Niedersachsen, wo als zweite Minderheitensprache Saterfriesisch gesprochen wird, setzt auf ein landesweites Beraternetz, inzwischen sind über 40 Schulen als „Plattdeutsche Schulen“ ausgezeichnet, 2 als „Saterfriesische Schulen“. Vergleichsweise wenige Unterrichtsangebote gibt es in Bremen. Während das Interesse auf Schüler*innenseite wächst, fehlt es an Lehrkräften.
Sie zu gewinnen sei je nach Region „zum Teil herausfordernd“, sagt Karen Nehlsen, Landesfachberaterin für Niederdeutsch beim Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH). Wer in Schleswig-Holstein Deutsch auf Lehramt studiert, befasst sich mit Niederdeutsch und kann auch einen unterrichtsqualifizierenden Schwerpunkt wählen. Im Vorbereitungsdienst belegen alle Lehrkräfte mit dem Fach Deutsch ein Modul Niederdeutsch. Für ausgebildete Lehrkräfte bietet das IQSH die Zertifikatskurse „Plattschool för Lehrers“ und „Plattdüütsch in den Ünnerricht“ an, die gut angenommen würden, sagt Nehlsen, die auch an den „Paul un Emma“-Schulbüchern mitgewirkt hat, die in ganz Norddeutschland eingesetzt werden – in Mecklenburg-Vorpommern übrigens in Übersetzung, weil dort Plattdeutsch nach anderen Schreibregeln gelehrt und gelernt wird als im westlichen Sprachraum.
Da es kaum mehr plattdeutsche Muttersprachler*innen gibt, „legen wir die Fremdsprachen-Didaktik an“, sagt Deutschlehrerin Kristin Studier aus Demmin. „Allerdings erleichtert es das Vokabellernen, dass es dicht an der Muttersprache dran ist.“ Die Lehrerin, die aus Sachsen stammt und Plattdüütsch an der Uni Greifswald lernte, warnt jedoch auch: Es reiche nicht, „einfach nur Wörter rund auszusprechen, damit es irgendwie platt klingt“.
Ihre Kollegin Andrea Strichau-Plüg in Schleswig-Holstein jedenfalls ist optimistisch, dass sich verschüttete Kenntnisse wieder aktivieren ließen: „Die Sprache war und ist immer da. Man muss sich nur trauen zu sprechen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde