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Regierungskrise in ItalienEin Bild purer Ohnmacht

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Innenminister Salvini ist die Regie der von ihm angezettelten Regierungskrise völlig entglitten. Der Lega drohen Jahre auf der Oppositionsbank.

Hofft im Parlament auf göttlichen Beistand: Innenminister Matteo Salvini Foto: ap

N ein, das war nicht Matteo Salvinis Tag, auch wenn er ihn so gründlich vorbereitet hatte. Nur ihm hatten es Italiens Senatoren ja zu verdanken, dass sie ihren Sommerurlaub unterbrechen und am Dienstagnachmittag zu einer Sondersitzung zusammentreten mussten.

Es war nicht sein Tag, denn die Parlamentarier verhandelten da über eine Regierungskrise, die allein er, der Lega-Chef und Innenminister, gewollt hatte, mit dem Ziel, zu schnellen Neuwahlen zu schreiten und von den Italienern mit der „ganzen Macht“ ausgestattet zu werden. Schon die Krise selbst sollte belegen, wie die Gewichte in der italienischen Politik verteilt sind, seitdem die rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Lega bei den Europawahlen im Mai mit 34 Prozent triumphiert hatte: Salvini allein entscheidet, wohin die Reise für Italien geht, er diktiert die Spielregeln, er verteilt die Karten.

Doch er, der sich schon als übermächtig sah, gab dann in der fünf Stunden währenden Debatte das Bild purer Ohnmacht ab. Es begann schon damit, dass er sich auf die – komplett von den Ministern und Staatssekretären seines bisherigen Koalitionspartners von den Fünf Sternen besetzte – Regierungsbank drängeln musste. Es ging weiter damit, dass er förmlich um einen Handschlag des Ministerpräsidenten Giuseppe Conte betteln musste.

Du bist unfair, flüsterte Matteo da, ansonsten schnitt er Grimassen wie ein Schulbube

Der gewährte ihm generös diese Freundlichkeit, ja er redete ihn als „caro Matteo“, als „lieber Matteo“ an, doch dann stauchte er ihn, in stets ruhigem Ton, zusammen: als Politiker, der sich von Opportunismus leiten lasse, der bloß an die Vorteile „für sich und seine Partei“ denke, dem jeglicher Sinn für die Institutionen fehle, der mit seinem Griff nach der „ganzen Macht“ einfach nur „Sorgen bereite“. „Du bist unfair“, flüsterte Matteo da, ansonsten schnitt er Grimassen wie ein Schulbube.

Salvini hatte den anderen den Stuhl vor die Tür setzen wollen, den Regierungspartnern vom Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung), dem Premier Conte, ja mit den angesteuerten Neuwahlen dem ganzen Parlament. Doch dass die Regie der Krise ihm völlig entglitten ist, zeigte sich dann an einem letzten Verzweiflungsakt: Die Lega zog ihren Misstrauensantrag gegen Conte zurück, sie signalisierte so, dass sie sich nun auf einmal wieder eine Fortsetzung der Regierung vorstellen konnte.

Ein Bündnis aus der Angst geboren

Damit jedoch erlaubte sie Conte bloß den letzten vernichtenden Hieb: Er erklärte, Salvini sei mutlos, er habe nicht einmal den Schneid, zu dem Koalitionsbruch zu stehen, den er selbst vollzogen habe, Conte jedoch bleibe bei seinem Rücktritt.

Statt der erträumten Alleinregierung drohen der Lega nun Jahre auf der Oppositionsbank. Denn in der Debatte wurde auch deutlich, dass sowohl das M5S als auch die bisher oppositionelle, gemäßigt linke Partito Democratico (PD) sich eine Koalition vorstellen können. Und Conte skizzierte in seiner Rede auch gleich ein paar programmatische Grundlagen. Gegen den rechtsnationalistischen, EU-feindlichen Populismus der Lega stellte er ein klares Bekenntnis zur Union, er sprach von der Notwendigkeit, in Forschung und Bildung zu investieren, von der Notwendigkeit auch, Umweltfragen ein höheres Gewicht einzuräumen. In diesen Passagen klang er, als halte er nicht eine Abschieds-, sondern eine Antrittsrede.

Natürlich wäre dieses Bündnis vorneweg aus der Angst geboren: Aus der Angst der M5S- und der PD-Parlamentarier um ihre Sitze, aus der Angst aber auch vor einem Salvini-Italien, vor einem Land unter der Führung des Orbán-, Le Pen- und Putin-Fans. Angst gilt gemeinhin als schlechter Ratgeber, diesmal jedoch könnte sie sich als produktiv erweisen, unter einer Bedingung allerdings: dass es M5S und PD gelingt, einen überzeugenden Gegenentwurf zum rüden Rechtsnationalismus der Lega zu bilden.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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10 Kommentare

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  • "Angst gilt gemeinhin als schlechter Ratgeber, diesmal jedoch könnte sie sich als produktiv erweisen, unter einer Bedingung allerdings: dass es M5S und PD gelingt, einen überzeugenden Gegenentwurf zum rüden Rechtsnationalismus der Lega zu bilden." Wir sollten alle kräftig auf Holz klopfen!

  • Leider ist nach den gestrigen Aeusserungen in und ausserhalb des Parlaments die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen eher gestiegen. Nicht so sehr die jahrelangen Beleidigungen der 5 Stelle in Richtung PD, schon eher die Forderung des Staatspraesidenten Matarellas nach einer vernuenftigen Einigung innerhalb von nur 7 Tagen und am allermeisten die Spaltung innerhalb PD, wo ein amtloser, aber ebenso wie Salvini blind machtgieriger und verantwortungslose Renzi eher Italien untergehen lassen wuerde, als seinen Parteikollegen Rampenlicht oder Ansehen zuzugestehen, verhindern moeglicherweise die rettende Regierungsbildung.

  • Fraglich, wer da auf Dauer am längeren Hebel sitzt. Eine Koalition der 5 Sterne mit der PD ist inhaltlich wie personell ein waghalsiges Unternehmen. Zusammengehalten nur von der Absicht, Salvini zu stoppen, fraglich wie das gutgehen soll. Was ist mit den Inhalten? Gemeinsam dem PD-Verschrotter, der Salvini in seinem Machthunger nahsteht, Regieren - wie soll das gehen? Eine neue Koalition hätte nur dann Sinn, wenn sie erfolgreich Politik umsetzen kann - um was es da geht, darüber spricht aber niemand. Lega und Neofaschisten der Fratelli könnten so am längeren Hebel sitzen......Salvinis 'Marschauf Rom' ist verschoben - nicht aufgehoben.

  • Gut, eine objektive Stimme direkt aus Italien zu hören.

    Ob es Jahre in der Opposition sein werden, kann ich nicht einschätzen. Mich beschäftigt eher die Frage, wie die italienische Bevölkerung es ohne Veränderung ihres Wahlverhaltens hinnehmen wird, dass nun wieder mehr in- und ausländische NGO-Schiffe (sie werden die Anzahl der Schiffe sicherlich erhöhen und durch Frau Rackete sind ja sehr hohe Spendenbeiträge zusammengekommen) und somit auch wieder erheblich mehr Flüchtlinge auf Lampedusa eintreffen. Mal sehen, was aus dieser Insel werden wird.

  • Ohje Herr Braun.



    Würde Ihr Titel + Inhalt mit den tatsächlichen Fakten übereinstimmen wäre ich froh.

    Sie werden ohnehin in 60 Tagen+ belehrt.

  • Ich bin mir nicht sicher, ob Herr Braun die Lage richtig einschätzt.

    Herr Salvini hat als Innenminister sein gesamtes Pulver verschossen und konnte sich seinen Wählern gegenüber als harten Hund darstellen, der lieber keine Kompromisse eingeht als schlechte. Alles, was im Rest der Legislaturperiode kommen würde, würde ihn nur noch schwächen.

    Selbst wenn jetzt ein neues Regierungsbündnis zustande kommen sollte, dann dürfte das eher schlecht als recht funktionieren und Herr Salvini könnte diese neue Regierung aus der Opposition aus angreifen. Wahlen kommen früher oder später so oder so.

    • @DiMa:

      Gratuliere.



      Ich bin überzeugt, Ihre Einschätzung ist weitaus zutreffender als die des promovierten Herrn Journalisten.



      Schon der nächste Haushalt wird die "neue" Mehrheit entweder bei den Brüsseler Eurokraten oder den italienischen Wählern unbeliebt machen.



      Salvini kann in aller Ruhe die nächsten Wahlen abwarten.

  • Ermutigender Kommentar.



    Danke und schön wenn das stabil wird, egal aus welcher Motivation dei PD und M5S das dann läuft.

    • @Tom Farmer:

      Der Kommentar trifft die Lage. Populisten sind in der konkreten Regierungsarbeit eben schlecht, und in Italien wurde das bemerkt und klug eingefädelt!

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Natürlich wäre dieses Bündnis vorneweg aus der Angst geboren: Aus der Angst der M5S- und der PD-Parlamentarier um ihre Sitze, aus der Angst aber auch vor einem Salvini-Italien, vor einem Land unter der Führung des Orbán-, Le Pen- und Putin-Fans.""



    ==

    Bitte sehr viel mehr Bühnen im Auge des Sturms für fulminante Rede, wie die von Paolo Conte, welche ihn wahrscheinlich für alle Geringschätzungen und Degradierungen der letzten Monate entschädigte.

    "Caro Matteo", sagte er immer wieder, (lieber Matteo) und duzte ihn während der ganzen Rede, was für sich schon sehr ungewöhnlich ist, "wir brauchen keine Männer in diesem Land, die für sich Vollmachten reklamieren"

    ""Die Regierung endet hier"" war der entscheidende Satz nachdem Paolo Conte Salvini dialektisch windelweich verprügelt hatte.

    Das die italienischen Sozialdemokraten nun der Kamikaze Politik Salvinis ihre Machtoption verdanken, die sich aus der Regierung ohne Not aber mit viel Dummheit heraus katapultiert hat, ist ein Treppenwitz der Geschichte.

    Aber wenn Angst zu mehr politischer Vernunft führen sollte - was noch zu beweisen wäre -- so gilt auch hier die Forderung nach mehr - viel mehr. Wäre doch gelacht wenn sich aus der berühmt - berüchtigten ""German Angst"" nicht noch ein erfolgreicher Exportschlager machen liesse.