Regierungserklärung zur Coronakrise: Das Ende des Ausnahmezustands
Angela Merkel warnt vor „zu forschen Öffnungen“ des sozialen Lebens. FDP und AfD blamieren sich. Und Dietmar Bartsch hält eine kluge Rede.
Seit Mittwoch vormittag scheint dieser demokratische Ausnahmezustand vorbei zu sein. Polemik, scharfe Debatten, laute Zwischenrufen. Es ist, sieht man vom Sicherheitsabstand und den locker besetzten Fraktionsreihen ab, fast wie immer.
Angela Merkel lobt in ihrer Regierungserklärung die Disziplin der Bevölkerung und warnt vor der Illusion, dass das Schlimmste schon vorbei sei. Man gehe „auf dünnstem Eis“. Ihre Kernbotschaft lautet: Manche Bundesländer öffnen Geschäfte und Schulen „zu forsch“. Von der extrem vorsichtigen KanzlerInnen-Sprache in Normaldeutsch übersetzt heißt das: die Öffnungen seien total irre. Dieses Geschoss landet direkt im Vorgarten von NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet, CDU.
Dass sich der Bundestag wieder Richtung Normalzustand bewegt, zeigt auch die AfD. Alexander Gauland setzt Merkels Strategie mit dem autoritären Krisenmanagement in Ungarn gleich (wobei Orban doch eigentlich ein Held der AfD ist). „Der Staat ist bei der Bekämpfung der Pandemie weitgehend überflüssig,“ so Gauland, eine Volte von Trumpschen Format. AfD-Mann Münzenmaier vergleicht die Kanzlerin mit Ludwig dem XIV und ruft: „Geben Sie den Menschen die Freiheit wieder“. Die Umfragewerte der Rechtspopulisten sind im freien Fall. Panikgetrieben greifen sie auf das bekannte Stereotyp nach dem Flüchtlingsherbst zurück: Merkel als Diktatorin, die das Volk unterdrückt.
Dreht Lindner durch?
Das verfängt nicht, jedenfalls nicht bei halbwegs Vernünftigen. Dazu zählt FDP-Fraktionschef Christian Lindner am Mittwoch eher nicht. Er hält eine rhetorisch glänzende und moralisch fragwürdige Rede. „Heute endet der Konsens mit der Regierung“, so Lindner. Damit sei auch die Zeit vorbei, als Merkel alle, die schnell Restaurants, Firmen und Geschäfte öffnen wollen als „fahrlässig denunzieren“ konnte.
Lindner zeigt wie Populismus in den Zeiten von Corona funktioniert. Man zitiere einen Pandemie-Experten, der irgendwann etwas anders als die Regierung gesehen hat, unterstelle Merkel nebelig autoritäre Muster und suggeriere, dass die Regierung, die willkürlich „Gaststätten diskriminiert“ (Lindner) viel schneller zur Normalität zurückkehren könne. Damit rückt der FDP-Chef dicht an die AfD. Grüne-Fraktionschef Toni Hofreiter bemerkt dazu knapp und treffend, dass die FDP Freiheit nur als Freiheit des Stärkeren verstehe.
Die Linkspartei wirkt verglichen mit der Lindners Rabulistik, reif und ausgeruht. Fraktionschef Dietmar Bartsch macht sich als erstes geschickt zwei SPD Forderungen zu eigen: Er kritisiert, dass die Union die Grundrente, Lieblingsprojekt der SPD, einfach von der Tagesordnung des Bundestages verbannte. Und wirbt, wie die SPD, dafür dass Konzerne, die später Staatshilfen bekommen wollen jetzt keine Dividenden auszahlen dürfen. Es ist geschickter die Differenzen zwischen SPD und Union zu betonen als – wie es die Linkspartei allzu oft tut – bloß Breitseiten abzufeuern.
Bartsch lobt nebenbei auch Merkels Kritik, an den „forschen“ Öffnungen. Die Kanzlerin solle dies mal „den verhaltensauffälligen Ministerpräsidenten Söder und Laschet“ unter die Nase reiben. Da muss sogar Merkel lächeln. Als die Kanzlerin in ihrer Rede die WHO, Trumps Lieblingsfeind, unverzichtbar nennt, applaudiert auch die Linksfraktion.
Die FDP bläst zum Kreuzzug gegen Merkel, die Linkspartei gibt die kritische, aber vernünftige Opposition. Ein erstaunliches Bild. Ganz so wie früher ist der Bundestag nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin