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Reformpaket von Biden vor dem AusJoe schlägt Joe

Ein demokratischer Hinterbänkler bringt das wichtigste Sozial- und Klimaschutzpaket von US-Präsident Biden zu Fall. Die Republikaner jubeln.

Vertritt den Kohle-Staat West Virginia: Senator Joe Manchin Foto: J. Scott Applewhite/ap

New York taz | „Build Back Better“ sollte die USA sozialer und grüner machen. Das Vorzeigegesetz des US-Präsidenten Joe Biden sah unter anderem Reformen wie Kindergeld, bezahlte Krankentage, stärkere Kontrollen der Medikamentenpreise, Hauskrankenpflege für Senioren sowie eine grüne Klimapolitik vor. Neben der Angst vor einer zweiten Amtszeit von Donald Trump war „BBB“ der wichtigste einzelne Grund für viele Wähler, Biden ihre Stimme zu geben.

Jetzt hat ein demokratischer Hinterbänkler aus dem Kohlestaat West Virginia dem Gesetz einen tödlichen Schlag versetzt. Joe Manchin hatte das Gesetz bereits in den zurückliegenden Monaten um die Hälfte auf jetzt noch 1.75 Billionen Dollar heruntergehandelt.

Am Sonntag wählte er den rechten TV-Sender FoxNews aus, um ihm per Interview komplett den Garaus zu machen. „Ich habe alles Menschenmögliche unternommen“, sagte er, „ich kann nicht guten Gewissens zustimmen.“

Manchins Ankündigung löste Jubel bei Republikanern aus und kaum zurückgehaltene Wut bei den Demokraten. Das Weiße Haus sprach von einer „plötzlichen, unerklärlichen Kehrtwende“. Präsident Biden hatte in den zurückliegenden Monaten vielfach mit Manchin gesprochen, um ihm das Gesetz schmackhaft zu machen. Auf Drängen von Manchin hatte Biden zentrale Elemente aus dem Gesetz gestrichen. Unter anderem verzichtete er auf die Tilgung der milliardenfachen Studienschulden, die Millionen von US-Amerikanern – oft noch im Rentenalter – beeinträchtigen.

Manchin vertritt den Kohlestaat West Virginia

Besonders bitter reagierte der linke Senator Bernie Sanders, der als neuer Chef des Haushaltsausschuss im Senat den Weg zu Bidens Reformen vorbereitet hatte. Monatelang hatte Sanders den Sozialreformern im Land versichert, Manchin – und die zweite demokratische Bremserin im Senat, Kyrsten Sinema – würden letztlich auf Parteilinie kommen und BBB zustimmen. Weil das Gesetz, so Sanders, den Wünschen der Mehrheit der US-Amerikaner und der Demokratischen Wähler entspräche.

Am Sonntag machte Sanders Manchin dafür verantwortlich, dass „die Superreichen immer reicher werden, während Millionen von Arbeiterfamilien darum kämpfen, Essen auf den Tisch zu bringen oder ihre Rechnungen zu bezahlen“.

Die demokratische Abgeordnete Ilhan Omar, die zu der Gruppe progressiver Demokraten im Repräsentantenhaus gehört, nannte Manchins Ankündigung „Korruption und Eigeninteresse eines Kohlebarons“. Manchin vertritt den Kohlestaat West Virginia im US-Senat. Kein Senator bekommt mehr Gelder von den Lobbys der fossilen Brennstoffe – Kohle, Gas, Öl – als Manchin. Auch die Pharmaindustrie bedenkt ihn großzügig. West Virginia, wo 1,8 Millionen der 330 Millionen US-Amerikaner leben, ist einer der ärmsten Bundesstaaten der USA. Zugleich einer mit den schwersten Drogenproblemen.

Ursprünglich sollte BBB zusammen mit der Infrastrukturreform von Biden verabschiedet werden. Dieser Deal zwischen den Zentristen und den Linken in der Demokratischen Partei platzte, als im November die Infrastrukturreform getrennt angenommen wurde. Wegen dieser Abtrennung stimmten die progressiven Demokraten im US-Repräsentantenhaus gegen die Infrastrukturreform. Schon damals prognostizierten sie, dass die Parteirechten letztlich die Sozialreformen von BBB zu Fall bringen würden.

Im Repräsentantenhaus war das Reformpaket „BBB“ bereits mit der knappen Mehrheit der demokratischen Stimmen angenommen worden. Im Senat, wo die Demokraten nur eine Stimme Mehrheit haben, war die Abstimmung immer wieder verschoben worden. In der letzten Woche war sie für Januar angekündigt worden. Chuck Schumer, der Demokratische Chef des Senats, wollte die Reformen am Montag noch nicht aufgeben. „Wir machen weiter, bis wir etwas erreicht haben“, versicherte er.

Manchin, der sich in einem Wahlkampf mit einem Video bewarb, auf dem er im Wald schoss, könnte auch noch die demokratische Mehrheit im Senat insgesamt zu Fall bringen. Manche in Washington spekulieren bereits, dass er zur Republikanischen Partei übertritt.

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15 Kommentare

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  • Man sagt nicht grundlos in den USA, dass die Republikaner und Demokraten nur zwei Flügel derselben Partei sind.

  • Herrr Manchin verdient seine Kohle mit Kohle. Millionen Dollar hat er damit gemacht. Sein Wahlkampf ist durch die Kohle-Industrie finanziert worden.

    edition.cnn.com/20...terests/index.html

    Der Mann ist der Fleischgewordene Beweis für die Degeneration der Demokratie in den USA.

    • @Kaboom:

      Joe Biden ist seit 1973 in Senat...



      .... Seit 1973....



      de.wikipedia.or/wiki/Joe_Biden

      Sie glauben die Demokratie in der USA ist *degeneriert*...

      Glauben Sie, dass er in dem "degeneriertem" System ist seit 1973 und trotzdem sauber ist?

  • Manchin ist so offensichtlich korrupt. Die eigentliche Frechheit ist, dass er mit dem "Wählerwillen" seines Bundesstaats argumentiert, obwohl eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in West Virginia den Build Back Better Plan unterstützt. Umfrage für Umfrage. Sogar unter republikanischen Wählern verfügt dieser Plan über eine Mehrheit. Es ist eine Farce.

  • > Jetzt hat ein demokratischer Hinterbänkler aus dem Kohlestaat West Virginia dem Gesetz einen tödlichen Schlag versetzt.



    Der Satz ist ganz einfach nur falsch. Nicht ein Einzelner, sondern eine Mehrheit von 51 demokratisch gewählten Senatoren hat das Gesetz zu Fall gebracht. Selbst ohne Manchins Stimme hätte das Gesetz keine Mehrheit gehabt, sondern die Stimme des Vizepräsidenten hätte das Patt auflösen müssen.



    Nicht in der Taz und nicht in der Faz, wohl aber bei der BBC -- gut daß es sie gibt -- steht auch der Grund für dessen Entscheidung. Bidens Luftgesetz hätte 1'750'000 Millionen[sic!] Dollar gekostet, die der mit jetzt schon 29 Billionen verschuldete Staat nicht hat. Er tut das, was Staaten in dieser Lage immer tun, und versucht, sich aus der Schuldenfalle herauszuinflationieren. Inflation trifft immer die Armen und hilft den Reichen. Arme haben Ersparnisse, Reiche haben Sachwerte und fast immer Geldschulden (Hypotheken). Es ist damit für den Senator eines besonders armen Bundesstaates das einzig richtige, dem nicht zuzustimmen.



    "Es ist das Unglück aller Sozialisten, daß ihnen irgendwann das Geld anderer Leute ausgeht." [Margaret Thatcher]

    • @Axel Berger:

      Ohje, ich befürchte da haben sie einiges durcheinander gebracht, oder die BBC falsch verstanden. Der US-Senat verfügt insgesamt nur über 100 Sitze. Davon fallen 48 auf die Demokraten, 2 auf unabhängige und der Rest an die Republikaner. Nur mit der Stimme von Kamala Harris und der Zustimmung der Unabhängigen bekommen die Demokraten im Senat ihre Mehrheit hin, und auch das nur, wenn all geschlossen abstimmen. Das es nichts wurde liegt an Manchin (und Sinema) hier hat die taz aber auch FAZ recht. Der Satz ist also nicht falsch, vielleicht vereinfacht.

      "Es ist damit für den Senator eines besonders armen Bundesstaates das einzig richtige, dem nicht zuzustimmen."

      Manchin ist ein Kohlebaron, der von der Pharmalobby Millionen kassiert, die Mehrheit der Bevölkerung in seinem Bundesstaat unterstützt in allen Umfragen Bidens Sozialpaket, auch die republikanischen Wähler.

      • @Sandor Krasna:

        Wenn es so wäre, könnte man ihn ja allein dort hinsetzen und alle anderen nach Hause schicken. Es war eben, was Sie zwar unwillig aber dennoch bestätigen, eine eindeutige Mehrheit der Seantoren gegen das Gesetz und die Demokraten hätten selbst mit Manchin keine Mehrheit sondern nur ein Patt zustandegebracht. Eine sehr schwache Basis für das Verschleudern solcher Summen fremden Geldes.

        • @Axel Berger:

          Naja, das mit dem "Verschleudern" ist Ansichtsache. Manchin und viele Republikaner haben letzte Woche für den 778 Milliarden Dollar Militärhaushalt gestimmt. Der BBB-Plan von Biden sah vor allem Investitionen in die Infrastruktur, den ökologischen Umbau der Industrie und für Soziales vor. Die Mehrheit der US-Bevölkerung hätte davon profitiert. Das "fremde" Geld sind die Steuerzahlungen eben jener Menschen, die sich stabile Brücken, besseres Internet, eine saubere Luft, nicht krankmachendes Trinkwasser, eine gute Gesundheitsversorgung, und eine gute Ausbildung für ihre Kinder wünschen. Deswegen ist der BBB-Plan in ALLEN Umfragen so populär.

  • Diese Demokratie ist tot.

    • 6G
      68514 (Profil gelöscht)
      @danny schneider:

      Naja, tot ist sie nicht, funktioniert nur anders als bei uns. Das liegt vor allem am faktischen Zweiparteiensystem und daran, wie die Parteien dort aufgestellt sind. Mehrheiten für bestimmte Themen werden da eben auf anderen Wegen gefunden als bei uns hier im Lande. In den USA gibt es auch andere Parteien als die Demokraten und Republikanern, nur haben die auf bundespolitischer Ebene kaum eine Chance sich durchzusetzen, auf regionaler Ebene aber schon.

    • @danny schneider:

      Hat bei einem Zweiparteiensystem mit Präsidenten, ob Demokraten oder Republikaner, die immer schon im Wahlkampf gekauft werden, jemals Demokratie gelebt?

  • Eigentlich läuft es doch ganz gut für Biden. Das Paket, das im wirklich am Herzen liegt ist durch. Und das Paket, das er nur widerwillig machen wollte, um linke Wähler zu ködern, geht (natürlich ohne seine Schuld :-) ) den Bach runter.

    Also alles so wie früher...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Das ist zu kurz gedacht.



      Das zweite Paket beinhaltet zu viele Bausteine hinter welchen eine große Mehrheit der Bevölkerung steht. Gerade auch im armen Virginia. Gerade die armen Wähler dort wollte Biden unterstützen, schließlich ist es ein demokratischer Staat. Allein sein politischer "demokratischer (?) Freund" Manchin erlag seinen Korruptionsabhängigkeiten. In jedem Falle ist hhr. Manchin eine schlechte politische Interessensvertretung der Bürger von Virginia, da die Verhinderung eins Kohleausstiegs das Bundesland mittelfristig weiterhin in Armut halten wird. Nur regenerative Energieversorgung wird in Zukunft die Wirtschaft auf hohem Niveau halten und damit ausreichend Einkommen für Alle ermöglichen. Auch um zukünftige Zerstörungen durch den Klimawandel bezahlen zu können.

      • @Sonnenhaus:

        Wenn man sich anschaut, was Biden so in den letzten 50 Jahren in der Politik gemacht hat, fällt es einem schwer zu glauben, dass er über das Scheitern eines Sozialpaketes ehrlich traurig ist. Es würde nicht passen.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ja, ich befürchte es ist so.