Rede des neuen Direktors: Frontex will mehr abschieben
Der neue Frontex-Direktor Fabrice Leggeri legte in Berlin seine Sicht der Dinge dar. Die Rhetorik ist teilweise neu, das Handeln nicht.
Im Laufe diesen Jahres seien über 100.000 Menschen ohne Erlaubnis in die EU eingereist. Frontex verzeichnete eine starke Verlagerung des Fluchtgeschehens vom zentralen ins östliche Mittelmeer. Über Libyen würden vor allem Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia, Sudan und Westafrika kommen. „Die meisten Syrer reisen jetzt über die Türkei nach Griechenland“, sagte Leggeri. Dort stieg die Zahl der irregulären Grenzübertritte im Vergleich zum Vorjahr auf das Sechsfache.
Die Lage dort sei sehr prekär, sagte Leggeri, auch, weil es kaum Infrastruktur zur Aufnahme der Ankömmlinge gebe. Frontex will seine „Poseidon“ genannte Operation in der Ägäis ausweiten und mehr Grenzbeamte entsenden. Das sei mit der Syriza-Regierung abgestimmt.
Leggeri forderte, die EU müsse Griechenland mehr Geld geben, damit das Land neue Flüchtlingsunterkünfte errichten könne. Derzeit freilich streitet die Syriza-Regierung mit Brüssel um die Umwandlung EU-finanzierter Internierungslager in offene Unterkünfte. Brüssel will Millionen zurückverlangen, wenn Athen die Immigranten nicht mehr in den Lagern einsperrt.
Nach den schweren Schiffsunglücken im Mittelmeer im Frühjahr hatte die EU das Frontex-Budget für Mittelmeer-Operationen mit 25 Millionen Euro zusätzlich verdreifacht. Im nächsten Jahr kann die Agentur im Mittelmeerraum rund 45 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Frontex hat jetzt insgesamt sechs Schiffe in de Region im Einsatz, vorher waren es zwei.
50.000 Menschen im Mittelmeer aus Seenot gerettet
Die Fregatten, die die deutsche Bundesmarine ins Mittelmeer entsandt habe, seien aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht Teil der Frontex-Operation: Sie dürfen nicht zum Grenzschutz eingesetzt werden, sagte Leggeri. Deshalb würden sie „bilateral“ die Seenotrettungseinsätze der Italiener unterstützen. Erst im Dezember hatte Frontex Italien aufgefordert, nicht mehr zur Seenotrettung vor der libyschen Küste zu patrouillieren.
50.000 Menschen wurden in diesem Jahr im Mittelmeer aus Seenot gerettet, davon allerdings weit weniger als die Hälfte unter Frontex-Beteiligung. Um die übrigen kümmerte sich vor allem die italienische und maltesische Marine. Leggeri unterstrich erneut, dass die Grenzschutzagentur gar kein Mandat für eigene Rettungsoperationen habe. Frontex könne lediglich „mehr Kapazität für Grenzüberwachung“ in das Seegebiet schicken und die Schiffe und Flugzeuge dann bei Rettungsoperationen helfen lassen.
Leggeri kündigte an, dass die Agentur auf Wunsch des Rates und der Kommission künftig verstärkt Abschiebungen aus Europa organisieren werde. Derzeit führt Frontex etwa zwei Prozent aller Abschiebungen aus der EU durch. Die übrigen schieben die Mitgliedsstaaten direkt ab. Die Agentur hat seit 2011 ein Mandat für Abschiebungen.
Migranten identifizieren
In der kommenden Woche will die EU in Brüssel ihren Einsatzplan für die militärische Anti-Schlepper-Operation in Libyen vorstellen. Leggeri bemühte sich, Frontex hiermit nicht in Verbindung zu bringen. „Wir sind eine zivile Agentur, Grenzschutz ist eine zivile Aufgabe“, sagte er. Aber eben nicht so ganz: Frontex werde sich „natürlich mit der militärischen Komponente der EU koordinieren“ und „kooperieren“.
Migranten, die „von der militärischen Seite gerettet werden“ würden „normal ins zivile Verfahren eingeleitet“ – so, als ob Frontex-Mitarbeiter sie aufgegriffen hätten. Zudem könnten die eingesetzten Militäreinheiten, falls nötig, die Frontex-Patrouillen schützen, sagte Leggeri.
Während der frühere Frontex-Direktor Illka Laitinen immer betont hatte, dass Frontex sich verpflichtet fühlt, unerlaubte Einreisen zu verhindern, klang dies bei Leggeri anders: Der Zweck der Grenzüberwachung sei „nicht, die Migranten abzuschrecken, sondern nur, sie zu identifizieren“, sagte er. „Kein Reisender soll in die EU gelangen, ohne Grenzbeamte zu treffen.“ Und, auch dies keine neue Erkenntnis, aber ein Novum in der Frontex-Rhetorik, es sei „ganz klar, dass legale Wege“ – gemeint war: für Flüchtlinge in die EU – „die Herausforderungen an den Außengrenzen wahrscheinlich erleichtern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind