Rechtswidriger Steuernachlass: Ohrfeige für die Stadtverwaltung

Kieler Kommunalaufsicht erklärt Entscheidung der Oberbürgermeisterin Gaschke für rechtswidrig und einen Verstoß gegen das Beihilferecht der EU.

Die Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke (SPD) will erstmal schweigen und ist krankgeschrieben. Bild: dpa

HAMBURG taz | Rechtswidrig und ein Verstoß gegen das europäische Beihilferecht war der Steuernachlass, den die Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke (SPD) einem Augenarzt gewährt hat. Zu diesem Schluss ist die Kommunalaufsicht Schleswig-Holsteins gekommen. Ganz überraschend ist das Ergebnis nicht, aber die Vorwürfe, die Innenminister Andreas Breitner (SPD) gestern vorstellte, wiegen schwer.

Geklärt werden muss nun, wie die Einigung zwischen dem Mediziner und der Stadt aufgehoben werden kann. Gaschke hatte dem Augenarzt und Klinikbetreiber Detlef Uthoff für nicht gezahlte Steuern aus Immobiliengeschäften Mahngebühren und Zinsen in Millionenhöhe erlassen. Die Bürgermeisterin schweigt.

Einem säumigen Steuerzahler könnten Schulden unter anderem erlassen werden, wenn der Lebensunterhalt nicht mehr bestritten werden kann, sagte Breitner: „Gemeint ist das Existenzminimum – nicht Yacht, Villa, BMW und Flugzeug.“ Das war – so sehr Breitner sonst betonte, allgemein statt über den konkreten Fall zu sprechen – ein klarer Hinweis auf den Arzt und Unternehmer Uthoff.

Im November 2012 wird Susanne Gaschke zu Kiels Bürgermeisterin gewählt. Die Wochenzeitung Die Zeit kommentiert die Wahl ihrer Mitarbeiterin so: "Susanne hat 54 Prozent bekommen in einer Stichwahl, was deswegen keine echte Überraschung ist, weil sich der gewöhnliche Kieler seit dem Matrosenaufstand von 1918 vor allem fragt, ob es wirklich Gründe gebe, etwas anderes zu wählen als SPD. Es ist daher zu vermuten, dass die meisten Kieler noch gar nicht wissen, welchen Fang sie gemacht haben." Parteiintern hat sich die Redakteurin Gaschke gegen die Gegenkandidatin Manuela Söller-Winkler durchgesetzt, die schon damals die Kommunalaufsicht leitete. Politische Erfahrung hat Gaschke bei den Jusos gesammelt, wo sie im Kreisvorstand saß, als Parteitagsdelegierte und als Asta-Vorsitzende an der Kieler Universität. Als Journalistin hat sie sich vor allem mit Sozial-, Jugend-, Frauen- und Bildungspolitik befasst. Seit 1988 ist sie Mitglied der SPD.

Eine Ohrfeige ist das Gutachten der Kommunalaufsicht nicht nur für die Bürgermeisterin, sondern auch für die Kieler Stadtverwaltung. Offenbar gab es niemanden im Backsteinrathaus, der gemahnt hätte, bevor Gaschke – die kein Verwaltungsprofi ist – die Einigung unterschrieb. Zumindest seien in den vier Aktenordnern, die aus dem Rathaus an die Kommunalaufsicht geschickt wurden, keine entsprechenden Hinweise zu finden, sagte Breitner.

Von der Stadt gab es ein dürres Statement: Peter Todeskino, grüner Bürgermeister der Landeshauptstadt und Stellvertreter Gaschkes, sagte, das Gutachten werde geprüft. Mit der Kommunalaufsicht werde die Stadt sich „selbstverständlich eng abstimmen“. Dies hatte Breitner angeboten, aber er betonte auch: „Der Ball liegt bei der Stadt.“ Kiel sei die größte Stadt des Landes mit der größten Verwaltung. „Ich erwarte, dass die ihren Job tun.“

Dazu gehört, die Einigung mit Uthoff aufzuheben – was nicht einfach zu sein scheint. „Die Einigung ist in der Welt, auch wenn sie rechtswidrig ist“, sagte ein Fachmann des Innenministeriums. Letztlich werde der Vertrag wohl aber aufgehoben.

Dabei spielt eine Rolle, dass die Stadt Kiel zurzeit das EU-Recht auf Gleichbehandlung verletzt: Die Steuer-Millionen, die der Mediziner nicht zahlen muss, werden wie eine staatliche Beihilfe gewertet. Und die wäre in dieser Höhe und ohne überzeugende Gründe nicht zu erklären. Maximal und nur in Ausnahmefällen wäre eine Beihilfe von 500.000 Euro an eine einzelne Firma denkbar – Uthoff wurden 3,7 Millionen Euro erlassen.

Weiter offen ist das politische Schicksal von Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke, die noch bis Ende der Woche krankgeschrieben ist. Inzwischen fordern fast alle politischen Kräfte im Stadtrat wie auf Landesebene, die Quereinsteigerin möge „die Konsequenzen ziehen“, also zurücktreten oder zumindest ihr Amt ruhen lassen. Vermutlich wird die Ratsversammlung in der kommenden Woche einen entsprechenden Antrag beschließen. Gegen Gaschke ermittelt die Staatsanwaltschaft, parallel prüft das Land einen Verstoß gegen das Disziplinarrecht.

Befriedet ist allein ein Nebenkriegsschauplatz: Breitner und Gaschkes Ehemann, der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels, beendeten ihren zivilrechtlichen Streit, bei dem es darum ging, ob Bartels versucht habe, Breitner zu nötigen. Beide Politiker erklären in dem Vergleich, dass sie bei ihren jeweiligen eidesstattlichen Aussagen bleiben, aber Bartels bedauert das Missverständnis.

Offen ist noch, was die Bundesanwaltschaft zu dem Vorwurf sagt: Da Breitner in seiner Funktion als Landesminister betroffen ist, muss auf höchster Ebene entschieden werden – und die Beteiligten können das Verfahren von sich aus nicht niederschlagen.

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