Rechtspopulismus in Litauen: Die Zerstörung des demokratischen Körpers in Litauen
Die rechte und prorussische Partei Nemuno Aušra gewinnt an Einfluss in dem baltischen Land, auch in der Kulturszene. Künstler:innen haben einen Protestmonat initiiert.
Es geht ums Ganze, das wollen die litauischen Kulturschaffenden dieser Tage mit ihren Aktionen wohl ausdrücken. Zu einem Großstreik rief die „Kultūros asamblėja“ (Kulturversammlung) in Vilnius bereits Anfang Oktober auf, nun hat sie einen Protestmonat bis zum 21. November angekündigt, weil sie die Kulturlandschaft und die Diskursräume des Landes gefährdet sieht. Ein Manifest der Gruppe beginnt mit den Worten: „Es könnte das letzte Mal sein, dass… Kultur die gemeinsame Sprache ist, die wir alle sprechen/ dass Kultur uns inspiriert, nährt und uns Mut macht…“
Der Auslöser: Nach der Neubildung der Regierungskoalition vor wenigen Wochen ging das Kulturministerium in die Hände der rechtspopulistischen und prorussischen Partei Nemuno Aušra (NA) über. Die Partei ernannte Ignotas Adomavičius zum Kulturminister, der zuvor in der Lebensmittelbranche gearbeitet hatte und lange wenig mit der Kultur zu tun hatte.
Erste Proteste gegen die Besetzung formierten sich bereits vor dessen Amstantritt am 25. September. Sie waren erfolgreich: Nach nur neun Tagen im Amt trat Adomavičius zurück, das Ministerium wird nun interimsmäßig geführt.
Für den Filmregisseur und Politikwissenschaftler Karolis Kaupinis, der die Proteste mitorganisiert hat, kann das aber nur ein Anfang sein: „Diese Partei steht für die Zerstörung des demokratischen Körpers, den Angriff auf die Institutionen und die völlige Spaltung der Gesellschaft“, meint er. „Wir wollen, dass die Menschen im ganzen Land aktiv werden und aufstehen gegen die Politik von Nemuno Aušra“, sagt Kaupinis.
Die umstrittene Besetzung des Kulturministeriums ist tatsächlich Symbol für eine größere politische Krise in Litauen. Nach der Wahl Ende vergangenen Jahres gingen die litauischen Sozialdemokraten (LSDP) eine Koalition mit Beteiligung der Rechtsaußen-Partei Nemuno Aušra ein. Die Partei fällt auch durch russlandfreundliche Politik auf – in Litauen eigentlich ein Tabu.
„Die Mitglieder unterstützen die Sanktionen gegen Russland nicht, wollen ukrainische Symbole aus öffentlichen Gebäuden verbannen und sind gegen die Unterstützung der georgischen Proteste“, erklärt Kaupinis. All das spiele Russland in die Hände. Er sei selbst seit acht Jahren in der Freiwilligeneinheit Litauische Schützenunion und bereit, das Land zu verteidigen. „Jetzt scheint es mir, als hätten wir freiwillig das Tor für das Trojanische Pferd geöffnet.“
Gegründet worden ist die Nemuno Aušra („Morgenröte der Memel“) erst 2023. Der Jurist Remigijus Žemaitaitis aus Vilnius rief die Partei ins Leben, nachdem seine vorherige Partei ihn im Mai 2023 wegen antisemitischer Äußerungen rausgeworfen hatte. Deshalb läuft auch noch ein Gerichtsverfahren gegen ihn.
Das Programm der NA ist mit dem der AfD hierzulande vergleichbar, auch dürfte die Ähnlichkeit im Namen zur griechischen Partei „Goldene Morgenröte“ kein Zufall sein. Bei der Wahl im vergangenen Jahr kam die NA auf 15 Prozent, sie hält 20 Sitze im litauischen Parlament Seimas.
Auch Gintarė Masteikaitė hat die Proteste gegen die NA mitinitiiert. Masteikaitė ist Leiterin des Lithuanian Dance Information Centre und Organisatorin der Performance- und Tanzfestivals Festivals New Baltic Dance in Vilnius und ConTempo in Kaunas. Derzeit sei die Kultūros asamblėja dabei, den Widerstand gesellschaftlich breiter aufzustellen, erklärt sie: „Wir haben uns mit Verantwortlichen aus den Bereichen Sport, Gesundheitswesen, Landwirtschaft, Bildung und vielen anderen getroffen, um gemeinsame Ziele zu formulieren.“
Die Rechtspopulisten in der Regierung seien ein Problem, das alle betreffe. „Sie betreiben destruktive Politik, stehen für einen respektlosen Umgang miteinander.“ Der zurückgetretene Minister Adomavičius verbreite noch jetzt Fake News über ihre Institution, behaupte, sie gebe eine halbe Million Euro für eine einzige Tanzaufführung aus.
Langfristig will die Protestbewegung die politische Kultur in Litauen insgesamt verbessern. „Veränderung ist möglich, das haben wir aus der Geschichte unseres Landes gelernt“, sagt Masteikaitė, „es fühlen sich derzeit viele an 1988 erinnert.“ Sie spielt damit auf die Bürgerrechtsbewegung Sąjūdis an, die sich damals formierte und die Unabhängigkeit des Landes erkämpfte.
Sie haben also Größeres im Sinn, die Aktivist:innen von Kultūros asamblėja. Wenn man so will, soll aus dem Protestmonat eher ein Protestwinter werden: Anfang Dezember will man ein Treffen mit zivilgesellschaftlichen Akteur:innen aus der Slowakei, Ungarn, Georgien und Moldau organisieren, im Januar soll es ein großes Konzert in Kaunas geben.
Die Kulturszene hat nun aber erst mal eine Aktion unter dem Motto „Ich werde bis zum Ende durchhalten. Und du?“ ins Leben gerufen, bei der Menschen in verschiedenen Städten für Kultur und gemeinsame Werte eintreten werden, indem sie sich vor öffentlichen Gebäuden versammeln. Durchhaltevermögen werden sie wohl auch brauchen in Litauen.
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